Seoul. In Südkorea gehört E-Sports zu den populärsten Beschäftigungen – und steht inzwischen auf dem Lehrplan. So sehen Eltern das neue Fach.
In Deutschland ist es noch ausdrücklich verboten: Computerspiele im Schulunterricht zocken. Nicht so in Südkorea. In dem ostasiatischen Land stehen Videospiele in immer mehr Bildungseinrichtungen ebenso auf dem Lehrplan wie Mathematik, Geschichte oder Biologie. Eine kuriose Eigenheit des technikfaszinierten Landes? Oder bereitet Südkorea seinen Nachwuchs damit auf Jobs in einer Boombranche vor?
Die Schülerinnen und Schüler lernen populäre Computerspiele wie League of Legends, Hearthstone oder Dota. „E-Sports“ heißt dieses Fach meist und erfreut sich wachsender Beliebtheit. Die Hanshin-Universität nahe der Hauptstadt Seoul hat zuletzt sogar einen Studienkurs zum Thema eingeführt. Denn E-Sports gehört für die meisten Koreaner zur Bildung dazu und zählt zu den populärsten Freizeitbeschäftigungen – und Traumjobs.
Eine Karriere als Gaming-Profi verspricht ein hohes Einkommen
Schon 2018 ergab eine Umfrage des Bildungsministeriums, dass Profigamer unter Schülern einer der beliebtesten Berufswünsche ist. Eine Karriere als Gaming-Profi verspricht ein hohes Einkommen und großes Ansehen. Die E-Sports-Branche, unterstützt von großen Unternehmen, ist längst ein florierender Wirtschaftszweig. Zwischen 2015 und 2019 wuchs das Geschäft um 18 Prozent pro Jahr, setzt mittlerweile weit mehr als 100 Millionen US-Dollar um.´
E-Sports ist also eine Boombranche, die in der Jugend viel Energie freisetzt – und in der es Jobs gibt. Schließlich haben E-Sports-Profis in Südkorea längst den Status von Popstars. Wichtige Partien finden in großen Arenen statt, werden live im Fernsehen übertragen. Orchester spielen in Konzertsälen die Hymnen der populärsten Spiele nach. „Korea ist das Mekka für E-Sports“, erklärte zuletzt auch Karen Koo vom US-amerikanischen Spieleentwickler Riot Games, das das populäre Spiel League of Legends vermarktet.
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Das Onlinespiel Starcraft Ende der 90er Jahre markiert den Beginn einer Ära
„Das Interesse dort ist unglaublich“, so Koo, die sich damit nicht nur auf das Spielen an sich bezog, sondern auch die vielen Fans drumherum, die sich bei Turnieren teils als Games-Charaktere verkleiden und Merchandise der besten Spieler kaufen. Wegen dieses umfassenden Booms gehörte E-Sports bei den noch bis zum 8. Oktober im chinesischen Hangzhou laufenden Asian Games – eine Art Olympische Spiele für Asien – erstmals zu den offiziellen Sportarten.
In Europa verwundert das, in Südkorea aber schon lange nicht mehr. Denn das, was heute als E-Sports bezeichnet wird, hat seinen Beginn Ende der 1990er Jahre, im Onlinespiel Starcraft. Darin gilt es, in Echtzeit mit eigens aufzubauenden Truppen Schlachten gegen einen Gegner zu gewinnen. In Südkorea boomte das Strategiespiel auch deshalb früh, weil die Infrastruktur passte: Das Internet war relativ schnell, zudem boten Internetcafés viele leistungsfähige Rechner nebeneinander. Nach Ende eines Schul- oder Arbeitstages füllten sich die Cafés – ideale Bedingungen für Turniere.
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Sport wird unterrichtet – warum nicht auch E-Sport?
Im Bildungssektor drängte sich irgendwann die Frage auf: Warum dieses Phänomen nicht in die Schule integrieren, wie man es schließlich auch mit konventionellem Sport oder Musik schon Jahrzehnte zuvor gemacht hatte? Private Gaming-Akademien, wo Schülerinnen sowie Erwachsene gegen Gebühr stundenlang ihre Spielfähigkeiten trainieren, gibt es schon länger. Erst in den vergangenen Jahren sprangen dann auch Schulen und Universitäten auf.
Der Staat hatte in Sachen E-Sports und Gaming über lange Zeit eher die Rolle des Spielverderbers: 2011 verabschiedete das Parlament ein Gesetz, das unter 16-Jährigen verbot, Onlinegames zu spielen. 2021 wurde das Gesetz nach Petitionen und Protesten wieder abgeschafft. Der damalige Bildungsminister Hwang Hee erklärte dazu: „Für die Jugend sind Games ein wichtiges Medium der Kommunikation.“
Die Schulbildung soll fitmachen für den Arbeitsmarkt
Gaming auf dem Lehrplan stieß bei Eltern zunächst oft auf Skepsis. So erklärte eine Mutter der Nachrichtenagentur Yonhap: „Ich kenne mich mit Gaming nicht aus, für mich ist das ein neuer Karriereweg. Aber es sieht ja so aus, als würde die Industrie wachsen.“ In anderen Worten: Solange ihr Sohn damit wirklich einen Job landen könne, habe er ihren Segen. Viele Eltern in Südkorea sehen es ähnlich pragmatisch: Die Schulbildung solle fitmachen für den Arbeitsmarkt. Und wenn der E-Sports-Sektor mehr und mehr Jobs bietet, warum nicht dafür ausbilden?
Hinzu kommt: Durch Strategiespiele wie Starcraft lernen junge Menschen indirekt auch einiges über das wahre, analoge Leben. Als Kriegsherrin in Starcraft muss man zum Beispiel unter begrenzten ökonomischen Mitteln Entscheidungen treffen, auf welche Weise man seine Truppe aufbauen will. Dabei geht es auch um den Zugang zu Rohstoffen und Bauprojekte. Man kann dies als einen Schnellkurs in politischer und ökonomischer Bildung interpretieren.
Schüler geben zu, dass Zeit für das Lernen in herkömmlichen Fächern oft fehlt
Nachdem die Eunpyeong Meditech High School in Seoul vor einigen Jahren als erste Schule E-Sports zu einem Wahlfach ab der zehnten Klasse gemacht hatte, sind weitere Schulen nachgezogen. Doch nur die Hälfte eines Jahrgangs darf auch den Abschluss in E-Sports machen. Erste Schüler geben zu, dass durch die hohe Intensität beim Zocken teils die Zeit zum Lernen für herkömmliche Fächer fehle. Ob dies ein größeres Problem für Lernfortschritte ist, darüber gibt es in Südkorea noch keine Statistik.
Unterdessen verbuchte Südkorea diese Tage Erfolge im internationalen Wettbewerb: Bei den Asian Games in China hat das Land gleich mehrere Goldmedaillen im E-Sport gewonnen. Der Branche – und deren Stellenwert im Bildungssektor – dürfte dies weiteren Auftrieb geben.