Seoul. Südkorea hat die niedrigste Geburtenrate der Welt. Nun will der Staat gegensteuern – mit großen Dating-Events und einem klaren Ziel.
Der Saal ist gefüllt mit rosa Ballons, auf den Tischen stehen Weinflaschen, im Hintergrund warten Bildschirme mit Videospielkonsolen. Die Anwesenden sollen sich wohlfühlen, vergnügen – und hoffentlich zueinander finden. Damit das Ganze seinen Zweck erfüllt, müssen je die Hälfte der Teilnehmenden weiblich und männlich sein, sich außerdem heterosexuell orientieren. Denn eines Tages sollen die hier zusammengeführten Personen Kinder machen. Wozu sonst würde die Stadtverwaltung das Ganze organisieren?
In weiten Teilen der Welt verblüfft dieses Bild. Aber in Südkorea ist es Teil der Realität: Der öffentliche Sektor betätigt sich als Heiratsvermittler, um junge Menschen zu verkuppeln. In diversen Städten organisieren Behörden seit Jahren Blind Dating und ähnliche Mottoevents. „Es ist die Verantwortung der lokalen Regierung, Bedingungen zu erfüllen, damit Menschen, die heiraten wollen, ihre Partner finden“, sagte etwa Shin Sang-jin, Bürgermeister der Großstadt Seongnam südlich der Hauptstadt Seoul, vor kurzem der New York Times. Viele Amtskollegen würden Shin zustimmen.
Lesen Sie auch:Zu wenig Babys. Wie Japan die Geburtenrate erhöhen will
Denn in Südkorea, das über die vergangenen Jahre ökonomisch immerzu gewachsen ist und durch erfolgreiche Popkulturprodukte von Filmen über Serien bis zu K-Pop einen globalen Beliebtheitsschub erfahren hat, herrscht zugleich eine akute Krise. Der ostasiatische Industriestaat ist das Land mit der niedrigsten Fertilitätsrate der Welt. Jüngste Statistiken zeigen, dass die durchschnittliche Frau hier über ihr Leben 0,78 Kinder zur Welt bringt. Für eine konstante Bevölkerungszahl wäre ein Wert von 2,1 nötig. Da es auch an einer entschlossenen Migrationspolitik mangelt, schrumpft Südkorea.
Für jede Geburt gibt es eine Prämie von umgerechnet 1400 Euro
Das sorgt für Nervosität, denn immerhin gehört Wirtschaftswachstum zu den wichtigsten politischen Zielen. Aber wie soll das funktionieren, wenn so drastisch der Nachwuchs ausgeht? Im vergangenen Jahr begann die Regierung daher auch, eine Geburtsprämie von zwei Millionen Won (rund 1.400 Euro einzuführen). Zudem wird das Kindergeld für Neugeborene bis Ende des ersten Lebensjahres ab 2024 von 700.000 Won (500 Euro) auf eine Million Won (700 Euro) erhöht. Bis Ende des zweiten Lebensjahres werden dann 500.000 Won (350 Euro) statt zuvor 350.000 Won ausgezahlt.
Der Staat gibt sich also ordentlich Mühe. Doch bislang haben weder die staatlich organisierten Kuppelevents noch die Prämien für Kinder eine Wirkung. Für Lee Na-young, Professorin für Genderstudien an der Chung-Ang Universität in Seoul, liegt das an den hohen Erziehungskosten und dem strukturellen Sexismus. „So, wie der Arbeitsmarkt und das Familienleben nach wie vor organisiert sind, müssen sich Frauen in der Regel zwischen Kind und Karriere entscheiden. Beides zu haben, ist fast unmöglich“, sagt Lee.
Hintergrund:Das ist das Land mit der niedrigsten Geburtenrate der Welt
Tatsächlich geht das konfuzianische Familienbild, das in Ostasien bis heute prägend ist, vom Mann als Oberhaupt und -versorger aus, während der Frau eher die Rolle der Erzieherin und Hausfrau zukommt. Im Arbeitsalltag spürt man das bis heute. Gerade in Südkorea, aber auch im benachbarten Japan, berichten selbst hochqualifizierte weibliche Arbeitskräfte immer wieder, dass sie seltener auf Fortbildungen geschickt werden als ihre männlichen Kollegen.
Kind oder Beruf: Für Frauen in Südkorea ist beides unmöglich
Weiblichen Angestellten wird von Vorgesetzten oft klargemacht, dass sie im Fall einer Schwangerschaft nicht erwarten könnten, im Betrieb weiter Karriere zu machen. Männer wiederum geben in Befragungen häufig an, beim Vorgesetzten auf wenig Verständnis zu stoßen, wenn sie Vaterschaftsurlaub machen wollen. So wird am Ende meist die Frau aus dem Beruf gedrängt – es sei denn, die Familienplanung geht über Bord.
Für Lee Na-young sind Kuppelevents und Geburtsprämien nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Südkoreas Staat sieht nur rund zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Familienpolitik vor. Der Durchschnitt der Industrieländer liegt bei knapp 2,5 Prozent. Deutschland, das ebenfalls mit einer niedrigen Geburtenrate von 1,46 kämpft, wendet immerhin 3,3 Prozent des BIP zu diesem Zweck auf. Die skandinavischen Länder unterstützen Familien großzügiger – und haben höhere Fertilitätsraten.
Immerhin: Die staatlich organisierten Datingevents in Südkorea stoßen trotz einiger Kritik in sozialen Medien, die Städte seien mit ihren Angeboten zu aufdringlich, auch auf Interesse. In Seongnam haben sich zuletzt 1000 Personen um einen Platz bei einer der Veranstaltungen bemüht.
In anderen Städte zeigen sich zudem schon ein paar Resultate, allerdings mit Betonung auf „ein paar“: In Gumi, einer Stadt im Zentrum Südkoreas, haben seit 2016 durch öffentliche Kuppelevents 13 Paare zueinander gefunden. Die im Südosten gelegene Stadt Jinju zählte über die vergangenen zwölf Jahre elf Paare. Ob aus diesen Verbindungen aber auch Kinder hervorgegangen sind, ist nicht bekannt.
- Tipps und Tricks:Kindergeld beantragen – So funktioniert es
- Direkt aufs Konto:So funktioniert die Auszahlung des Kindergelds
- Identifikation:Wo findet man die Kindergeldnummer?