Washington. Die historische Androhung einer Bomben-Blockade des US-Präsidenten ist wegen der bevorstehenden Invasion im Süden Gazas überfällig.
Auch die Geduld eines amerikanischen Präsidenten ist endlich. Und weiß Gott: Israels dysfunktionale Regierung, getrieben von religiösen Fanatikern, hat Joe Bidens Langmut in den vergangenen Monaten reichlich strapaziert.
Jede noch so gut gemeinte Mahnung, den legitimen Rachefeldzug gegen die Mörderbande der Hamas in Gaza nicht auf dem Rücken der ohnehin schon geschundenen palästinensischen Zivilbevölkerung ausufern zu lassen, wurde mehr oder weniger in den Wind geschlagen.
Bisher 34.000 Tote, darunter viele Frauen, Greise und Kinder, stehen für die Unverhältnismäßigkeit, mit der Israel auf die islamistischen Todesschwadronen vom 7. Oktober reagierte.
Jetzt, wo Israel ernsthafte Anstalten macht, in der von rund einer Million Menschen übervölkerten Enklave Rafah im Süden von Gaza der Hamas den Todesstoß zu versetzen, hat Biden genug.
Er will nicht länger Komplize sein eines Premierministers, der sich als beratungsresistent erweist und aus politischem Selbsterhaltungstrieb über Leichen geht.
Mehr von Israel-Korrespondentin Maria Sterkl
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Bidens Drohung – eine Zeitenwende
Bidens Drohung (mehr ist es zur Stunde noch nicht) – keine Bomben und Artilleriegeschosse mehr aus den USA, wenn die Invasion in Rafah tatsächlich stattfindet – markiert eine Zeitenwende in den seit 76 Jahren bestehenden Beziehungen zwischen Israel und seiner Schutzmacht Nr. 1 – Amerika.
Noch nie zuvor hat Washington, das seit 1948 Hilfe im Volumen von rund 160 Milliarden Dollar nach Tel Aviv gelenkt hat, Israel so unmissverständlich zu einer Kurskorrektur angehalten. Wobei klar ist: Selbstverteidigungs-Mittel wie das Raketen-Abfang-System „Iron Dome” bleiben von den potenziellen Einschränkungen unberührt.
Biden ist überzeugt, dass in Rafah eine humanitäre Katastrophe droht, falls Israel einmarschiert
Die Botschaft aus Amerika ist klar: Ohne ausreichende Vorkehrungen zum Schutz der Zivilbevölkerung, was in der Sackgassen-Situation von Rafah schwer möglich ist, ist bei einer militärischen Boden-Offensive eine humanitäre Katastrophe kaum vermeidbar. Daran will Joe Biden nicht mitwirken. Er darf es nicht.
Die Gründe dafür sind, anders als die nach Wahlkampf-Munition suchenden Republikaner um Kandidat Donald Trump glauben machen wollen, nicht allein mit der innenpolitischen Lage in Amerika sechs Monate vor der Präsidentschaftswahl am 5. November zu erklären.
Dort glaubt eine Mehrheit der Amerikaner schon seit geraumer Zeit, dass Israels Vergeltungszug in Gaza aus der Bahn geraten ist. Dass viel zu viele Unschuldige sterben und gestorben sind. Dass dringend humanitäre Hilfe für die von Hungersnot bedrohten Menschen von israelischer Seite gezielt erschwert oder vereitelt wird.
An Dutzenden US-Universitäten ertönt der pro-palästinensische Ruf „Schluss mit dem Genozid - keine Waffen mehr für Israel”. Und in der demokratischen Partei wird das Rumoren über Bidens Beistandspolitik gegenüber Benjamin Netanjahu immer lauter.
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Joe Biden könnte, wenn sich nichts ändert, im November darüber viele hunderttausend Stimmen einbüßen und so Donald Trump den Sieg bescheren, weil man ihm, dem Demokraten, Beihilfe zum Völkermord unterstellt.
Ein Amtsinhaber, der darauf nicht reagiert, wäre töricht. Biden hat dies getan, als er am Mittwoch zum ersten Mal öffentlich selbstkritisch einräumte, dass in Gaza Zivilisten durch amerikanische Bomben getötet wurden.
Biden räumt erstmals ein, dass in Gaza Zivilisten durch amerikanische Bomben getötet wurden
Aber es geht um mehr: Amerikas ohnehin angekratztes Ansehen in der Welt steht auf dem Spiel. Schnellt der zivile Blutzoll in Gaza durch 2000-Pfund-Bomben aus Amerika noch weiter in die Höhe, ohne dass die Supermacht vorher alle Hebel in Bewegung gesetzt hat, könnte die geplante Befriedigung des Nahen Ostens unter Einbindung Saudi-Arabiens und Ausgrenzung des Iran platzen.
Kurzfristig wären wohl auch die seit Monaten laufenden Verhandlungen über eine Waffenruhe und die Freilassung von über 120 von der Hamas festgehaltenen Geiseln zum Scheitern verurteilt.
Joe Biden lässt Israel nicht fallen. Er will den wichtigsten Partner im Nahen Osten von einem verhängnisvollen Fehler abhalten. Netanjahu kann es sich nicht leisten, den Weckruf aus Washington zu überhören.