Jerusalem. Der Ministerpräsident verscherzt es sich mit den engsten Verbündeten. Einen Plan für die Nachkriegszeit scheint er nicht zu haben.
Die Aussage, die Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock in der vergangenen Woche an den Kopf geworfen haben soll, schlug auch in Israel Wellen: „Wir sind nicht wie die Nazis“, soll der Premier gesagt haben. Israel zeige keine erfundene Realität. In dem hitzigen Gespräch ging es Berichten zufolge um die Lage der Zivilisten im Gazastreifen. Die Vereinten Nationen warnen vor einer Hungersnot. Netanjahu ließ dem Gast aus Deutschland Fotos von gut gefüllten Gemüseständen zeigen. Baerbock soll entgegnet haben, dass die Lage katastrophal sei und es besser wäre, wenn Netanjahu die Fotos nicht verbreitete.
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Deutschlands Botschafter in Tel Aviv, Steffen Seibert, bezeichnete die Medienberichte über das vertrauliche Treffen zwischen Netanjahu und Baerbock als „in wesentlichen Punkten irreführend und falsch“. Da war es aber schon zu spät, die Aufregung war da. Und in Israel herrscht wieder einmal heftiges Kopfschütteln über den Regierungschef, der es erneut geschafft hat, in der schlimmsten Sicherheitskrise des Landes auch noch die engsten Verbündeten zu vergrämen: zuerst die USA, jetzt auch Deutschland.
Wenn man Israelis heute fragt, wer das Land regieren soll, sobald der Krieg vorbei ist, sagen weniger als zwanzig Prozent, dieser Mann solle Benjamin Netanjahu heißen. Es ist unmöglich zu erahnen, welche Strategie Netanjahu in diesen Tagen verfolgt. Bei jedem Auftritt verspricht er den baldigen „vollständigen Sieg“ gegen die Hamas. Aber zugleich ließ er fast alle Bodentruppen aus Gaza abziehen.
Mehr von Israel-Korrespondentin Maria Sterkl
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Netanjahu verspricht die Rückkehr der 129 Geiseln aus der Gewalt der Hamas, aber gleichzeitig stehen alle Versuche still, einen Deal zur Befreiung der Verschleppten zu erreichen. Dann werde man die Geiseln eben mit militärischem Druck befreien, erklärt Netanjahu – aber dieser Druck ist längst Vergangenheit, der Krieg im Gazastreifen köchelt auf winziger Flamme dahin.
Benjamin Netanjahu: Der Premier bleibt wichtige Antworten schuldig
Alle Fäden laufen bei dem 74-Jährigen zusammen. Doch diese Fäden lässt er schleifen. Niemand weiß, was Bibi, wie er von den Israelis genannt wird, nun genau will. Was soll mit Gaza werden, wenn der Krieg vorbei ist? Wenn nicht die Palästinenser dort regieren sollen, wer dann? Bibi schweigt. Wann wird es für die Bewohner der Dörfer im Süden Israels sicher genug sein, in ihre Häuser zurückzukehren? Bibi schweigt. Werden die Dörfer und Städte nahe der Grenze zum Libanon je wieder bewohnbar sein? Kein Kommentar.
Und jetzt auch noch der Iran. War es wirklich notwendig, das iranische Konsulat in Damaskus anzugreifen und damit einen Krieg mit Teheran zu riskieren? Das fragen sich in Israel viele. Dass der Iran so hart reagieren und mehr als 300 Raketen und Drohnen auf Israel abfeuern würde, hatte niemand voraussehen können – auch nicht Netanjahu. Es war aber klar, dass die Mullahs den Vorgang nicht einfach ignorieren würden.
Kein israelischer Politiker hatte in den vergangenen zwanzig Jahren so oft und so deutlich von der iranischen Gefahr gesprochen wie Netanjahu. Seit der Attacke Teherans am 14. April ist er auffallend still. Netanjahu ist schon längst nicht mehr der „Mister Security“, der mit seiner Sicherheitspolitik Wahl um Wahl gewinnt. Im Gegenteil: Die Israelis geben ihm Umfragen zufolge die Hauptschuld für das Versagen des Sicherheitsapparats vor dem Hamas-Überfall am 7. Oktober. Schließlich war er es, der über Monate hinweg alle Warnungen vor einem drohenden Angriff der Hamas in den Wind geschlagen hatte.
Israel: Auf die Unterstützung der Verbündeten ist trotz allem Verlass
Seine Regierung steckte bis weit über den Kopf in ihrem Kampf für die geplante Justizreform, die nach Auffassung etlicher Kritiker die obersten Richter entmachten sollte. Seit dem Machtantritt Ende 2022 bis zum 7. Oktober kannte die Regierung kein anderes Thema. Der „Mister Security“ erklärte die Sicherheit des Staates nun plötzlich zur Nebensache. Hauptsache, seine Koalition blieb am Leben und er selbst an der Macht.
Klar erscheint: Diese Amtsperiode ist Netanjahus allerletzte Chance als Regierungschef. Also muss er diese Periode so weit wie möglich hinausdehnen. Erst wenn der Krieg gegen die Hamas offiziell zu Ende ist, wird es in Israel Neuwahlen geben. Und Netanjahu wird sie nach Lage der Dinge verlieren.
Auf eines kann sich der Langzeitpolitiker dennoch verlassen: Er kann noch so viel Streit mit den Regierungen in Washington und in Berlin vom Zaun brechen – die Unterstützung der engsten Verbündeten ist Israel dennoch sicher. Ein neues US-Hilfspaket für im Umfang von 26 Milliarden Dollar billigte das US-Repräsentantenhaus am Wochenende. Allerdings nicht Benjamin Netanjahu zuliebe. Sondern eher ihm zum Trotz.
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