Jerusalem. Ein Teil der Justizreform tritt in Kraft. Die Verfassungsänderung schützt nicht zuletzt Netanjahu selbst vor einer möglichen Anklage.
Seit Montag, 16 Uhr, haben Minister in Israel ein gutes Stück mehr Macht als zuvor. Israels rechts-religiöse Koalition unter Benjamin Netanjahu hat den ersten Teil der seit Monaten massiv umkämpften Justizreform im Parlament verabschiedet.
Die Opposition boykottierte die Abstimmung – sodass das Verfassungsgesetz mit 64 Pro-Stimmen und null Gegenstimmen beschlossen wurde. Justizminister Jariv Levin, der selbst dem Drängen aus Teilen seiner eigenen Partei, sich auf einen Kompromiss mit der Opposition einzulassen, nicht nachgeben wollte, strahlte nach der Abstimmung übers ganze Gesicht. Aus Itamar Ben Gvirs rechtsextremer Otzma Jehudit-Partei war bereits zu hören, dass das „nur der erste Teil“ war – und dass man weitere Schritte ergreifen werde, um die Justiz unter Regierungskontrolle zu bringen.
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Justizreform in Israel: Um was geht es konkret?
Das oberste Gericht hatte bisher die Möglichkeit, alle Entscheidungen der Verwaltung nach dem Kriterium zu prüfen, ob sie „grob unangemessen“ seien. Diese Art der Prüfung ist vor allem bei Korruptionsverdacht relevant: Wird ein Beamtenposten in einem Ministerium mit jemandem besetzt, dessen einzige Qualifikation ein freundschaftliches Verhältnis zum Minister ist, dann wäre das so ein „grob unangemessener“ Schritt, der vom Gericht aufgehoben werden konnte. In Zukunft wird das in vielen Fällen nicht mehr möglich sein.
Vertreter der Koalition hatten zuletzt erklärt, dass es sich bei dieser Verfassungsänderung um „eine Kleinigkeit“ handle, „eine Reform ohne große Bedeutung“, wie es etwa Bildungsminister Joav Kisch zuletzt in einem Interview formulierte. Dem widerspricht Yochanan Plesner, Leiter des Israelischen Demokratieinstituts (IDI), vehement.
Die Prüfung der „groben Unangemessenheit“ von Verwaltungsentscheidungen habe vor allem eine wichtige Zähmungsfunktion in den Verwaltungsapparaten. „Sie stellt sicher, dass die Juristen und fachlich kompetenten Beamten in die Entscheidungen eingebunden werden“, sagt Plesner. Künftig müsse sich ein Minister nicht mehr um solch fachliche Sorgfalt kümmern, weil es keine gerichtliche Prüfung der Entscheidungen mehr gibt.
Korruptionsverdacht: Netanjahu schützt sich selbst
Eine der ersten faktischen Auswirkungen der aktuellen Verfassungsänderung könnte eine höchst brisante Personalie sein: die Ablösung von Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara, einer scharfen Kritikerin der Justizreform. Sollte sie durch einen regierungsfreundlicheren Nachfolger ersetzt werden, dann könnte das dem unter Korruptionsverdacht stehenden Netanjahu die Tür für einen vorteilhaften Deal mit den Anklagebehörden öffnen – und ihn vor einer gerichtlichen Verurteilung schützen.
Das Knessetvotum am Montag war von heftigen Protesten in Jerusalem begleitet. Die Polizei setzte Wasserwerfer gegen die Demonstranten ein, die sich immer wieder rund um das Parlament aneinanderketteten oder mit Sitzblockaden die Zufahrten versperrten.
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Es ist zu erwarten, dass die Proteste in den nächsten Tagen an Intensität gewinnen werden. Der Streik, der am Montag nur wenige Sektoren wie Banken, Anwaltskanzleien und Teile des Handels umfasste, dürfte sich ausweiten – der Gewerkschaftsverband Israels beriet am Montag über einen Generalstreik.
Justizreform: Israel kapselt sich international weiter ab
Die Justizreform der Regierung spaltet nicht nur Israels Gesellschaft. Das Land steht auch international isolierter da denn je. Das zeigt sich schon in der Art, wie Washington zuletzt mit Jerusalem kommunizierte: Um seinen unmissverständlichen Aufruf, die Justizreform zu stoppen, an Israels Regierung zu übermitteln, griff US-Präsident Joe Biden zum Telefon – aber nicht, um Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu anzurufen, sondern um mit dem israelischen Journalisten Barak Ravid zu telefonieren.
Der transportierte dann verlässlich über alle Kanäle den Appell, Netanjahus Regierung solle „angesichts der Bedrohungen und Herausforderungen, vor denen Israel derzeit steht, einen breiten Konsens suchen“. Immerhin sind es die USA, die als stärkster Geldgeber dafür sorgen, dass Israel diese Bedrohungen militärisch effektiv abwehren kann.
Justizreform: Verhandlungen mit der Opposition scheitern
Genau diese Effektivität der Armee steht nun jedoch auf dem Prüfstand. Jeden Tag ziehen Hunderte Reservisten ihre Bereitschaft zum Einsatz zurück. Zuletzt erklärten mehr als 900 Mitglieder des Militärgeheimdienstes, nicht mehr einzurücken. Für die Armee sind das empfindliche Einbußen, die nur schwer auszugleichen sind.
Der Abstimmung im Parlament waren in der Nacht zu Montag und am Morgen stundenlange Verhandlungen über einen möglichen Kompromiss vorangegangen. Die Opposition war bereit, der Koalition entgegenzukommen, die Hardliner in der Regierung blockten schließlich ab. Oppositionsführer Jair Lapid verkündete das Scheitern der Gespräche und konstatierte: „Wir sehen hier die feindliche Übernahme der israelischen Mehrheit durch eine extremistische Minderheit.“
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Premiere in Israel: Verfassungsgesetz landet vor dem Obersten Gerichtshof
Das Protestlager plant nun bereits nächste Schritte. Neben massiven Straßenblockaden will man die Verfassungsänderung auch beim obersten Gericht anfechten. Eine entsprechende Beschwerde wurde bereits am Montag beim Obersten Gerichtshof eingebracht. Das stellt die Richter nun vor eine komplexe Aufgabe: Noch nie wurde in Israels Geschichte ein Verfassungsgesetz aufgehoben, stets waren es nur einfache Gesetze. Es ist neuer Zündstoff für einen Konflikt, der sich seit Monaten um die Frage dreht, wie weit die Macht der Justiz gehen darf.
Nahost-Konflikt- Linkschwanz – die News und Hintergründe