Bochum/Dortmund. Die Vorhersagen aus dem Herbst 2023 trafen zu, dass es sehr viele Grippefälle geben könnte. Und Corona? Dürfte immer wieder aufflammen.

Der Winter hatte sich im April nochmal zurückgemeldet, in manchen Regionen NRWs gar mit Schneefall. Trotz des Winterwetters galt die Grippe-Saison 2023/24 vorzeitig als beendet - acht Wochen früher als der standardmäßig definierte Zeitraum bis Mitte Mai. So hatte es das zuständige Robert-Koch-Institut (RKI) festgestellt. Die Bilanz für NRW fällt recht entspannt aus - auch wenn die Zahl der gemeldeten Grippefälle im Vergleich der vergangenen Jahre nur in zwei Wintern übertroffen wurde.

Letztlich wurden bei Abschluss der Zählung in der 20. Kalenderwoche 2024 31.768 Grippe-Kranke in dieser Saison in NRW gemeldet, laut Influenza-Saisonbericht des Landeszentrums für Gesundheit NRW (LZG). Das waren gut 11.000 weniger als im Winter-Halbjahr 2022/23, mit der stärksten Grippe-Saison seit Jahren, und etwas über 4000 Fälle weniger als in der Vor-Corona-Grippe-Saison 2017/18, die einen langjährigen Höchstwert markiert hatte. Lesen Sie auch:Landesamt für Gesundheit: Warum es wichtig ist für NRW

Grippe-Saison 2023/24 in NRW war nicht so stark wie befürchtet

Manche Experten hatten im Vorfeld dieses Winters mit einer besonders kräftigen Grippe-Saison gerechnet, weil das zuvor auf der Südhalbkugel der Erde so beobachtet worden war - wo Winter ist, wenn bei uns noch Sommer herrscht. „Zurückblickend war die Grippe-Saison nicht so stark wie vielleicht befürchtet“, sagt der Immunologe Carsten Watzl von der TU Dortmund. Der eine Beobachtung ergänzt: Der Influenza B-Stamm Yamagata sei auch dieses Jahr „nicht mehr aufgetreten.“ Der Stamm sei immer noch in unserem Grippeimpfstoff enthalten. Sollte er tatsächlich verschwunden sein, „könnte man das in Zukunft ändern.“

Gleichwohl gab es auch in diesem Winter insgesamt wieder höhere Werte bei Atemwegsinfektionen, von denen viele nicht meldepflichtig sind, als vor der Corona-Pandemie, sagt Watzl. „Das könnte noch ein kleiner Nachholeffekt sein“, meint er.

Der „Nachholeffekt“ war im Winter 2022/23 auffallend kräftig, was Prof. Ulf Dittmer, Direktor des Instituts für Virologie am Uniklinikum Essen damals so erklärte: „Es gibt so etwas wie ein trainiertes Immunsystem, welches besser gegen Erreger wirkt als ein untrainiertes Immunsystem. Durch die Corona-Schutzmaßnahmen war das Immunsystem vieler Menschen nicht mehr gut trainiert.“

Grippe in NRW: Mehr als 10.000 Erkrankte kamen ins Krankenhaus

Was im Winter 2023/24 bei der Grippe noch auffiel: Beim LZG sagt ein Sprecher, „die Influenza-Saison 2023/2024 ist den vorpandemischen Influenza-Saisons sehr ähnlich.“ Es blieb bei einer einzigen Ansteckungs-Welle, die zudem erst kurz vor Weihnachten an Fahrt aufnahm, „nicht besonders früh“, erklärt Immunologe Carsten Watzl.

Obwohl in diesem Winter viel weniger Grippe-Fälle gemeldet worden waren, waren 10.022 Menschen so schwer erkrankt, dass sie wegen Grippe ins Krankenhaus kamen: Das waren 423 Erkrankte mehr, als in der extrem starken Grippe-Saison des Vorjahres, wo die Hospitalisierungsrate bei 30,4 Prozent lag, statt jetzt bei 42 Prozent. Beim LZG sieht man diesen Wert als weiteren Beleg dafür an, dass sich das Grippe-Geschehen bei uns wieder dem von vor der Corona-Pandemie angleicht, wo die Hospitalisierungsrate je Saison ähnlich war. Ebenfalls kaum verändert: Der überwiegende Teil der im Krankenhaus behandelten Grippe-Patienten war ungeimpft. Lesen Sie auch: Rekordjahr: So sehr war NRW 2023 von Krankheiten geprägt

Dem letzten Stand von Mitte April nach sind in der Grippe-Saison 2023/24 insgesamt 83 Grippe-Tote in NRW gemeldet worden. Das heißt: „Grippe“ war als Todesursache im Totenschein eingetragen. Die Zahl gibt das LZG nur auf Anfrage bekannt, weil man sie einordnen muss, warnt der Sprecher: Nicht alle Todesfälle wurden auf Influenzaviren untersucht und nicht selten würde eine andere Todesursache eingetragen, der aber eine Grippe vielleicht vorangegangen war.

Coronavirus: Immunologe sieht „gute Grundimmunität“ in der Bevölkerung

Unterdessen habe sich laut Immunologe Carsten Watzl auch in diesem Winter gezeigt, dass die Bevölkerung beim Coronavirus eine „gute Grundimmunität“ aufweist. Das habe zu einer „geringen Krankheitslast“ geführt. Jetzt im April „spielt Corona keine Rolle mehr, weil die meisten Infektionen noch vor dem Jahreswechsel waren“, sagt Watzl. Sein Fazit dazu: „Für die allgemeine Bevölkerung mache ich mir bei Corona aktuell keine Sorgen.“ Auch interessant: Millionen Tote: Lebenserwartung wegen Corona stark gesunken

Es deute sich aber an, „dass auch in den nächsten Jahren so hohe Corona-Zahlen zum Jahresende wahrscheinlich wären“, meint Watzl. Denn es zeige sich, „dass wir mit SARS-CoV-2 einen Erreger mehr haben, der Atemwegsinfektionen auslösen kann“ - nach wie vor auch sehr schwere, wie Watzl betont. Er warnt deshalb: „Bei Älteren mit Vorerkrankungen und bei Personen mit Immunschwäche kann eine Infektion immer noch gefährlich sein. Daher sollte man immer noch daran erinnern, dass sich diese Personen ähnlich wie bei der Grippe im nächsten Herbst wahrscheinlich noch mal impfen lassen sollten.“

++++ AKTUALISISIERUNG 23. Mai 2024 (Der ursprüngliche Bericht stammte vom 20. April): Die offizielle Zählung der Grippe-Fälle läuft bis zur jeweils 20. Kalenderwoche eines Jahres. Nun liegt die komplette Bilanz vor: Das Landeszentrum für Gesundheit NRW bilanziert für die Grippe-Saison 2023/24 insgesamt 31.768 gemeldete Grippefälle. Sie ist laut LZG die drittstärkste Grippe-Saison der vergangenen zehn Jahre. „Insofern hat sich die Vorhersage einer starken Influenza-Saison bestätigt, auch wenn sie nicht die stärkste jemals dokumentierte Saison in NRW war“, teilte eine Sprecherin auf Anfrage mit. Insgesamt seien den jüngsten Zahlen nach 84 Todesfälle im Zusammenhang mit Grippe erfasst worden. In 32 Prozent der Fälle wurden Angaben zum Impfstatus gemacht. Demnach waren 78 Prozent der Verstorbenen nicht gegen Grippe geimpft.