Kiew. Awdijiwka steht für die russische Winteroffensive wie kaum eine andere Kleinstadt. Die Zwischenbilanz ist bitter für den Kreml.
Nach der Offensive ist vor der Offensive: Im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine gehen die heftigen Kämpfe an der gesamten Front unvermindert weiter. Auf den wichtigsten Richtungen der russischen Angriffe, um die Stadt Awdijiwka im Bezirk Donezk sowie um Kupjansk in der Region Charkiw, ist die Intensivität der Kämpfe im Vergleich zu Anfang Februar stark gesunken. Die große russische Winteroffensive, die der russische Präsident Wladimir Putin im Oktober beginnen ließ, ist an ihrem natürlichen Ende angelangt.
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Die ukrainischen Offiziellen, darunter auch der Präsident Wolodymyr Selenskyj, deuten nun an, dass Russland Ende Mai oder zu Beginn des Sommers wieder einen größeren Angriffsversuch unternehmen könnte. Selenskyj berichtete sogar von angeblichen russischen Plänen, bis zum 1. Juni 300.000 zusätzliche Soldaten einzuziehen.
Putins Offensive in der Ukraine brachte nicht den gewünschten Erfolg
Die Bilanz der russischen Winteroffensive fällt unterschiedlich aus. Auf zwei Richtungen haben die Russen aktiv versucht, die Gewinne der ukrainischen Sommeroperation im südlichen Bezirk Saporischschja, wo die Ukrainer bis zu 17 Kilometer in die Tiefe voranstoßen konnten, möglichst wegzumachen. Dies ist trotz andauernder Kämpfe nicht gelungen. Ähnliches gilt für die Angriffe Richtung Kupjansk im Bezirk Charkiw: Hier gab es Ende Januar wenige Kleinerfolge, die nicht ausgeweitet werden konnten. Allerdings fürchtet die ukrainische Armeeführung, dass Russland hier weitermachen wird – aktuell wird ein Verteidigungswall um die Stadt herum errichtet.
In der Region Donezk kann die russische Armee schon mehr vorweisen. Ende Dezember haben es die Russen geschafft, die Ukrainer aus Marjinka zu vertreiben – der südwestlicheren Vorstadt von Donezk, um die seit Kriegsausbruch gekämpft wird und von der kaum etwas übrig geblieben ist. Am 17. Februar hat die Armee der Ukraine den Rückzug aus Awdijiwka, der nördlichen Donezk-Vorstadt auf ähnlicher Entfernung wie Marjinka von der einstigen Millionenstadt, angekündigt.
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Bei Awdijiwka sind die Russen dann noch etwas westlicher vorgestoßen – und haben einige Dörfer besetzt. Im Moment kommt die russische Armee auf diesem Frontbschnitt aber nur marginal weiter. Die Ukrainer schaffen es weiterhin, ihr Aufmarschgebiet nahe des Dorfes Krynky auf dem russisch-kontrollierten Ufer des Flusses Dnipro im teilbesetzten südlichen Bezirk Cherson zu behalten. Obwohl der russische Verteidigungsminister Sergej Schojgu noch im Februar dem Kremlchef Putin von der Vertreibung der ukrainischen Präsenz in Krynky berichtete, geben sogar russische Kriegspropagandisten zu: Das stimmt nicht.
Harter Winter in der Ukraine
Die Ukrainer haben einen sehr harten Winter erlebt. Gerade der große Mangel an Artilleriemunition, der durch das Ausbleiben der US-Hilfe verstärkt wurde, hat das Leben für ukrainische Soldaten noch schwieriger gemacht. Der Fall von Awdijiwka mag keine allzu hohe strategische Bedeutung zu haben, er öffnet aber mehr Wege für das Weiterkommen der Russen als einst der von Bachmut.
Von einer erfolgreichen russischen Winteroffensive kann jedoch keine Rede sein. Denn nach Monaten der massiven Angriffsversuche hat Russland mit Awdijiwka und Marjinka de facto nur zwei völlig zerstörte Kleinstädte besetzt – mit immensen Verlusten. Nach vorsichtigen Schätzungen des russischen Exilmediums Meduza mit Sitz in Riga hat Russland zwischen Oktober und Ende Januar mindestens 21.000 Soldaten verloren – Tote und Schwerverletzte zusammengerechnet.
Doch was folgt nun? Der ukrainische Militäranalyst Kostjantyn Maschowez sowie ukrainische Offizielle gehen davon aus, dass Russland eine neue Offensivwelle starten wird – sie könnte frühestens zum Ende des Frühlings beginnen. Auf der ukrainischen Seite hat Kyrylo Budanow, Chef des Militärgeheimdienstes HUR, zwischenzeitlich sogar eine neue Offensive der Ukraine noch im Frühling angedeutet. Doch das gilt nach Einschätzung anderer Analysten als wenig wahrscheinlich.
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Ukraine braucht Sicherheit – auch aus den USA
Denn die politische Krise in den USA lähmt auch die Ukraine. Bei den Unterstützern im Westen wurde die Produktion von Artilleriemunition erst langsam hochgefahren. Sie wird erst gegen Jahresende ein Niveau erreicht haben, bei dem größere Offensivoperationen überhaupt machbar sind. Schon die ukrainische Sommeroffensive 2023 wäre ohne die heimliche Lieferung der Munition aus Südkorea unmöglich gewesen.
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Tschechien arbeitet gerade an der Organisierung der Munitionseinkäufe bei Drittländern außerhalb der EU – und so äußerte sich der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal neulich positiv, dass sich die Munitionslage im April deutlich verbessern könnte. Das wäre für die Ukraine zwar enorm wichtig, ist jedoch keine prinzipielle strategische Lösung, sondern allenfalls eine Zwischenoption.
Die schnellstmöglichste Verabschiedung der US-Hilfen ist für Kiew vor allem deswegen eine Überlebensfrage, um der unausweichlichen neuen russischen Angriffswelle im Sommer standzuhalten. Darüber hinaus muss die Ukraine bis Jahresende vor allem eines: durchhalten. Und wenn die Munitionsproduktion endlich dort angekommen ist, wo sie sein sollte, kann die ukrainische Armee in die Lage gebracht werden, die Russen stark zurückdrängen zu können.