Berlin. Der FDP-Verkehrsminister spricht von Fahrverboten, wenn das Klimaschutzgesetz nicht reformiert wird – doch das Echo ist vernichtend.
Volker Wissing weckt die Geister der Vergangenheit. An vier „autofreien Sonntagen“ mussten die Deutschen 1973 ihre Autos stehen lassen. Die Ölkrise zwang die Bundesrepublik damals zu drastischen Sparmaßnahmen. Wiederholt sich mit der Klimakrise gut 50 Jahre später die Geschichte? Davon spricht zumindest der Verkehrsminister. Denn sein Ministerium kann derzeit die Klimaziele im Verkehrssektor nicht einhalten. Müssen die Deutschen jetzt ihr stehen lassen? Die wichtigsten Fragen und Antworten:
Fahrverbote: Was fordert Volker Wissing?
In einem offenen Brief an die Chefs der Ampel-Fraktionen droht Wissing „Maßnahmen wie flächendeckende und unbefristete Fahrverbote an Samstagen und Sonntagen“ an. Hintergrund sind Verhandlungen über das Klimaschutzgesetz, mit dem Treibhausgasemissionen bis 2030 um 65 Prozent gegenüber 1990 reduziert werden sollen. Bislang sind bestimmte Sektoren wie der Verkehr an jährliche Ziele gebunden. Doch Wissings Haus hat diese 2023 nicht eingehalten, wie das Umweltbundesamt zuletzt mitgeteilt hatte.
Die Ampel-Regierung hatte sich jedoch vergangenes Jahr darauf verständigt, die Ziele dahingehend aufzuweichen, dass sie sektorübergreifend, in die Zukunft gerichtet und über mehrere Jahre gewertet werden. Sollte die Gesetzesnovelle nicht kommen, ist Wissing dazu verpflichtet, ein Sofortprogramm vorzulegen. In dem Brief verweist er auf Zahlen des Umweltbundesamtes, nach denen er umgehend 22 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente einsparen müsste. Diese seien laut Wissing nur mit Fahrverboten zu erreichen. Es sei daher unumgänglich, dass die geplante Novelle vor Mitte Juli kommt.
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Klimaschutz: Sind Fahrverbote das richtige Mittel?
Claudia Kemfert, Verkehrsexpertin vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), geht mit dem Vorschlag Wissings hart ins Gericht: „Die Forderung von Fahrverboten ist faktisch falsch, reine Panikmache und soll davon ablenken, dass Verkehrsminister Wissing eine Klimaschutzpolitik noch immer vermissen lässt“, sagte sie unsererRedaktion. Fahrverbote seien zwar zur Einhaltung von Stickoxid-Werten in Städten ein gängiges Mittel. Doch Wissing muss die CO₂-Emissionen senken. „Mit Fahrverboten allein kann man die Sektorziele nicht einhalten“, so Kemfert. Dazu bräuchte es mehrere und andere Komponenten.
Was sagen die Koalitionspartner?
Auch innerhalb der Koalition stößt Wissing mit seinem Vorstoß auf Verwunderung. „Wir Grünen halten Fahrverbote für kein sinnvolles Mittel“, sagte Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge unserer Redaktion. Es sei wenig verantwortungsvoll, dass Wissing damit unbegründete Ängste schürt. Ähnliche Töne sind aus der SPD-Fraktion zu vernehmen, die Fahrverbote ablehnt.
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„Panikmache durch abwegige Vorschläge helfen dem Klimaschutz im Verkehrsbereich überhaupt nicht, im Gegenteil“, urteilte der SPD-Verkehrspolitiker Detlef Müller. „Der Vorschlag führt nicht zu unserem gemeinsamen Ziel der CO₂-Einsparung, sondern zur unnötigen Verunsicherung der Menschen in unserem Land.“
Welche Alternativen gibt es zum Fahrverbot?
Im Raum steht ein Tempolimit, das mit den Koalitionsverhandlungen 2021 zunächst vom Tisch war. Erst kürzlich hatte Wissing im Interview mit unserer Redaktion betont, dass Geschwindigkeitsbegrenzungen keine Lösung seien. Doch nicht nur die Grünen-Fraktion spricht sich dafür aus. Auch DIW-Verkehrsexpertin Kemfert bezeichnet ein Tempolimit als eine von mehreren Komponenten zur Einhaltung des Sektorziels: „Ein Tempolimit ist aber kein Fahrverbot“, so Kemfert.
Eine Studie des Umweltbundesamts aus dem vergangenen Jahr hatte ergeben, dass ein Tempolimit von 120 Kilometern pro Stunde die Treibhausgasemissionen um rund 6,7 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente senken könnte. Darüber hinaus schlägt Kemfert die Aufhebung von Dieselsteuer- und Dienstwagenprivileg, die Förderung von ÖPNV, Schienenverkehr und emissionsarmen Fahrzeugen sowie der Elektromobilität vor. Auch der Ausbau von Fuß- und Radwegen sei ein wichtiger Faktor.
Ließe sich ein Fahrverbot überhaupt kontrollieren?
Bilder von 1973 zeigen leere Straßen, als an vier Sonntagen die Autos in Westdeutschland stehen blieben. „Die Überwachung eines Fahrverbotes ist nicht die größte Herausforderung für die Polizei“, sagte Michael Mertens zu den Kontrollmöglichkeiten heute. Laut dem stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei (GdP) braucht jeder Fahrer eine Genehmigung – und die ließe sich leicht überprüfen.
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Kontrollen könnten wegen des großen Straßennetzes jedoch nur stichprobenartig durchgeführt werden, sagte Rainer Wendt, Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), unserer Redaktion. „Der Aufwand würde sicher an die Maßnahmen während der Pandemiebekämpfung heranreichen.“ Außerdem müsste es zahlreiche Ausnahmen geben, um die Aufrechterhaltung wichtiger Lieferketten zu gewährleisten.
Wie reagieren betroffene Branchen?
Nicht nur Privatleute müssten sich bei Fahrverboten an Wochenenden darauf einstellen, nicht wie gewohnt von A nach B zu kommen. An das Straßennetz sind zahlreiche Branchen gebunden. Wissing selbst spricht in seinem Brief von einer nachhaltigen Störung von Lieferketten und Einbußen für den Tourismus. Teile der Branche reagieren jedoch recht unterschiedlich. Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes, bezeichnete die Debatte um Fahrverbote am Wochenende als Gift für den Einzelhandel. Gerade der Samstag sei oft der umsatzstärkste Tag.
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Sowohl Lieferketten als auch Kunden dürften nicht behindert werden. „Die Konsumstimmung ist schon schlecht genug“, so Genth im Gespräch mit unserer Redaktion. Verständnisvoller zeigte sich sie Logistikbranche für das Vorgehen des Verkehrsministers: „Der Verkehr kann tatsächlich heute ad hoc nur mit einem Mobilitätsverzicht der Gesellschaft und mit Versorgungseinbußen einen Beitrag zur CO₂-Reduktion liefern“, sagte Frank Huster vom Bundesverband Spedition und Logistik. Durch bereits geltende Sonn- und Feiertagsfahrverbote sei die Branche nur unter Umständen an Samstagen negativ betroffen.
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