Berlin. Eine Kommission empfiehlt, Abtreibungen in den ersten zwölf Wochen zu legalisieren. Warum eine Ärztin noch einen Schritt weiter denkt.

Streicht die Ampel den Abtreibungsparagrafen 218? Werden Schwangerschaftsabbrüche generell straffrei? Die Debatte um die Legalisierung von Abtreibungen geht in eine neue Runde: Eine Expertenkommission der Regierung hat eine konkrete Idee, wie das Strafgesetz reformiert werden kann. Was sich für Frauen jetzt ändern könnte – und warum die streitbare Ärztin Kristina Hänel schon einen Schritt weiter denkt.

Abtreibungen: Was schlägt die Kommission vor?

Es geht nicht um eine komplette Abschaffung des Paragrafen 218 – sondern vor allem um die ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft: Einem Bericht des „Spiegel“ zufolge empfiehlt die Expertenkommission die generelle Straffreiheit von Schwangerschaftsabbrüchen innerhalb der ersten drei Monate. Aber: Abbrüche sollen weiter grundsätzlich verboten bleiben, sobald der Fötus eigenständig lebensfähig ist. Diese Grenze liege den Fachleuten zufolge ungefähr in der 22. Woche seit Beginn der letzten Menstruation. In den Wochen dazwischen könne der Gesetzgeber nach eigenem Ermessen festlegen, „bis zu welchem Zeitpunkt er einen Schwangerschaftsabbruch mit Einwilligung der Frau erlaubt“, zitiert der „Spiegel“ aus dem Abschlusspapier der Kommission. Ob an der Beratungspflicht festgehalten werde oder nicht, liege im Ermessen des Gesetzgebers. Heißt: Denkbar wäre, dass Abtreibungen auch über die zwölfte Woche hinaus grundsätzlich erlaubt würden.

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Die renommierte Medizinerin Kristina Hänel begrüßte die Empfehlungen: Es sei grundsätzlich richtig, den Schwangerschaftsabbruch aus dem Strafgesetzbuch zu nehmen. „Der Paragraf 218 StGB hat in über 150 Jahren Leid, Krankheit und Tod für unzählige Betroffene mit sich gebracht, aber Abtreibungen niemals verhindert“, sagte die Gießener Ärztin dieser Redaktion. Die Herausnahme aus dem Strafgesetzbuch würde auch endlich eine Übernahme der Behandlung durch die Krankenkassen bedeuten, so Hänel.

Die Politik habe jetzt die Aufgabe, die Empfehlungen umzusetzen, forderte die Medizinerin. Dabei müsse der Zugang zu Beratung und die medizinische Versorgung beim Schwangerschaftsabbruch gewährleistet bleiben. Eine Beratungspflicht halte sie dagegen nicht für sinnvoll. Hänel war in den vergangenen Jahren durch ihren Einsatz für ein liberaleres Abtreibungsrecht bundesweit bekannt geworden.

In der Ampel-Koalition wollte am Dienstag zunächst niemand die Empfehlungen kommentieren. Das Familienministerium von Grünen-Politikerin Lisa Paus verwies auf den kommenden Montag, wenn die Kommission die Ergebnisse offiziell vorstellen will. Hinter dem Auftrag stehen neben Paus auch Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Justizminister Marco Buschmann (FDP).

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Was gilt im Moment?

Paragraf 218 enthält eine klare Ansage: „Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Eine Abtreibung ist also in Deutschland grundsätzlich strafbar. Entscheidend im Alltag ist aber der Folgeparagraf 218a. Er regelt Fälle, in denen Schwangerschaftsabbrüche dennoch straflos bleiben: wenn sie innerhalb der ersten zwölf Wochen stattfinden und die Frau sich zuvor beraten lässt. Oder wenn medizinische Gründe vorliegen. Oder wenn sie vergewaltigt worden ist.

Für die Ampel wäre es nicht die erste Reform beim Abtreibungsrecht: Sie hat bereits den umstrittenen Paragrafen 219a abgeschafft, der zuvor das Werbeverbot für Abtreibungen geregelt und immer wieder dazu geführt hatte, dass Ärztinnen und Ärzte sich strafbar machten, wenn sie öffentlich Informationen über Schwangerschaftsabbrüche zur Verfügung stellten.

Wer sitzt in der Kommission?

Die Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin ist ein interdisziplinär zusammengesetztes Gremium, das aus 18 Expertinnen und Experten besteht – unter anderem aus Medizin, Psychologie, Soziologie und Rechtswissenschaft. Neben der Frage, wie Schwangerschaftsabbrüche außerhalb des Strafgesetzbuches geregelt werden können, geht es auch um die Legalisierung der Eizellspende und neue Regeln für die Leihmutterschaft.

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Welche Reaktionen gibt es?

Sie sei „fassungslos“, sagte CSU-Politikerin Dorothee Bär dieser Redaktion, „dass der Lebensschutz des ungeborenen Kindes offenbar keine Rolle mehr spielen soll“. Das Lebensrecht Ungeborener sei verfassungsrechtlich geschützt. „Es gibt keinen Grund, aus einem Unrecht ein vermeintliches Menschenrecht der selbstbestimmten Frau zu zimmern.“ Die Kommission habe wenig überraschend geliefert, was von der Ampel bestellt worden sei, so Bär.

Unionspolitiker kündigten umgehend eine Verfassungsklage an, sollte die Ampel den Paragrafen 218 aufweichen oder abschaffen: CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sprach von einem „weiteren Baustein in der Polarisierung der Gesellschaft“. Mit dem Paragrafen 218 sei vor 30 Jahren ein schwierigster Kompromiss erarbeitet worden – „der für viele nicht zufriedenstellend ist, der aber einen gesellschaftlichen Frieden hergestellt hat über dieses Thema“.

Kritik an der Empfehlung der Regierungskommission kam auch von kirchlicher Seite: „Uns überzeugt ethisch nicht, dass der Embryo in der frühen Phase der Schwangerschaft weniger Schutzrechte haben soll“, sagte die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp, dieser Redaktion. Die jetzige Regelung sei gut so, wie sie ist: „Das ZdK befürwortet weder eine vollständige Liberalisierung noch eine strengere Handhabe.“

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Wie geht es jetzt weiter?

Am kommenden Montag wollen die drei Minister eine erste Einschätzung abgeben. Klar ist aber jetzt schon: Innerhalb der Ampel gibt es bislang keine gemeinsame Linie. FDP-Justizminister Buschmann ist maximal skeptisch, was eine Änderung des Strafrechts angeht: Die Ergebnisse der Kommission sollten „mit größter fachlicher und politischer Achtsamkeit“ besprochen werden, hatte der Minister im Vorfeld gegenüber dieser Redaktion erklärt. Die Räume, die das Bundesverfassungsgericht in der Frage des Lebensschutzes lasse, seien sehr eng. „Was keinesfalls passieren darf, ist, dass eine Regelung gefunden wird, die zwei Jahre später in Karlsruhe für verfassungswidrig erklärt wird. Das hätte unzumutbare Folgen für die betroffenen Frauen, die Ärzte und die Beratungsstellen.“

Familienministerin Paus dagegen hatte schon zum Start der Kommission vor einem Jahr klargemacht: „Frauen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, sollen nicht stigmatisiert werden.“ Sie erhoffe sich deswegen Vorschläge, „wie die reproduktive Selbstbestimmung von Frauen in Zukunft gestärkt werden kann“. Die liegen nun vor. Denkbar ist jetzt, dass die Ampel die Entscheidung am Ende zu einer ethischen Grundsatzfrage erklärt: Wie bei den Entscheidungen über die Sterbehilfe oder die Organspende könnte das Parlament in einer fraktionsoffenen Abstimmung eine neue Regelung beschließen.