Berlin. Der Paragraf 218 soll weg. Doch ein Blick auf das Ausland zeigt: Andere Länder sind weiter – abgesehen von zwei krassen Ausnahmen.
Erst im vergangenen Jahr hat die Ampel-Regierung den Paragrafen 219a zum Werbeverbot für Abtreibung abgeschafft. Seitdem dürfen Ärztinnen und Ärzte darüber informieren, ob und wie sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Nun stellt die rot-grün-gelbe Bundesregierung den Paragrafen 218 auf den Prüfstand. Er beinhaltet ein grundsätzliches Abtreibungsverbot.
Allerdings bleibt der Schwangerschaftsabbruch straffrei, wenn er bis zur 12. Schwangerschaftswoche vorgenommen wurde und Frauen sich vorher einer Beratung an einer anerkannten Stelle unterzogen haben. Auch nach einem Sexualdelikt oder aus medizinischen Gründen bleibt der Abbruch in Deutschland straffrei.
Hintergrund zur Abtreibung: So will die Ampel betroffenen Frauen helfen
Während die FDP weiter an der Regelung festhält, wollen SPD und Grüne den Paragrafen 218 kippen. Eine Kommission aus Ärzten, Medizinethikern und Juristen soll nun prüfen, ob eine neue Regulierung der Abtreibung außerhalb des Strafgesetzbuches möglich ist. Wie das Bundesgesundheitsministerium dieser Redaktion mitteilte, sollen erste Ergebnisse Ende März 2024 vorliegen. Nach einer Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen spricht sich die Mehrheit der deutschen Bevölkerung (54 Prozent) dafür aus, den Paragrafen 218 beizubehalten. 36 Prozent wollen ihn abschaffen, drei Prozent wollen Abtreibung ohne Ausnahme verbieten.
In Deutschland gibt es jährlich etwa 100.000 Schwangerschaftsabbrüche mit leicht steigender Tendenz, so die Daten des Statistischen Bundesamtes. Die Quote liegt 4,5 Abbrüchen je 1000 Frauen im europäischen Vergleich eher niedrig. Mit dem Paragrafen 218 geht Deutschland vergleichsweise restriktiv mit Abtreibung um, das zeigt der Blick auf Europa und die Welt. Denn generell nimmt die Tendenz zu, Abtreibung weiter zu legalisieren. Zwei Länder bilden dabei aber eine krasse Ausnahme.
In den Niederlanden übernehmen die Krankenkassen die Kosten für eine Abtreibung
In den Niederlanden ist die Gesetzgebung besonders liberal. Schon in den 1970er Jahren entstanden Abtreibungskliniken, die auch von Frauen aus anderen Ländern mit strengen Gesetzen aufgesucht wurden. Seit 1981 dürfen Frauen bis zur Lebensfähigkeit des Kindes abtreiben, in der Regel ist das die 22. bis 24. Woche. Arzt oder Ärztin müssen sich vorher vergewissern, dass sich die Schwangere den Schritt gut überlegt hat. Seit 2022 ist die fünftägige Bedenkzeit, die zwischen Beratung und Abtreibung liegen muss, weggefallen. Die Kosten für den Abbruch übernehmen in den Niederlanden die Krankenkassen.
In Frankreich waren 1975 die Widerstände enorm, als Gesundheitsministerin Simone Veil das Gesetz zur Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs durchsetzte. Doch es etablierte sich schnell – seither dürfen Frauen im ersten Schwangerschaftsdrittel abtreiben. Die staatliche Krankenkasse übernimmt dafür auch die anfallenden Kosten. Im März 2022 wurde die Frist zudem von zwölf auf 14 Wochen verlängert. Wenn das Leben der Mutter in Gefahr ist oder schwere Fehlbildungen beim Fötus vorliegen, ist eine Abtreibung bis zur 24. Woche erlaubt. Theoretisch drohen bei einem Verstoß gegen die gesetzliche Regelung Geld- oder sogar Freiheitsstrafen. Allerdings sind in Frankreich aufgrund der generell liberalen Haltung in der Abtreibungsfrage Strafverfolgungen die große Ausnahme.
Giorgia Meloni ist gegen Abtreibung – und setzt auf Hilfen für Schwangere
In Italien war bis 1978 der Schwangerschaftsabbruch strafrechtlich verboten, seitdem ist er innerhalb der ersten 90 Tage und mit einem obligatorischen Beratungsgespräch plus einer Woche Bedenkzeit erlaubt. Diese Regelung wurde 1981 durch ein Referendum bestätigt. Für Spätabtreibungen bei schweren fetalen Anomalien, Krankheiten des ungeborenen Kindes oder der Mutter kennt das italienische Gesetz allerdings keine zeitliche Grenze.
Der Zugang zur Schwangerschaftsunterbrechung ist laut Frauenverbänden in Italien oft schwierig, da zahlreiche katholische Ärzte aus Gewissensgründen eine Abtreibung ablehnen – in manchen Regionen bis zu 90 Prozent. Die seit Oktober amtierende Premierministerin Giorgia Meloni ist Abtreibungsgegnerin. Das Gesetz verschärfen will sie aber nicht. Ihr Ziel sei, die Zahl der Abtreibungen durch staatliche Hilfen für Schwangere zu senken, erklärte die postfaschistische Regierungschefin im Wahlkampf.
In England, Schottland und Wales sind Abtreibungen seit 1968 erlaubt – und zwar bis zu 24 Wochen nach der Empfängnis. Zwei Ärzte müssen ihre Zustimmung geben, bevor die Schwangerschaft abgebrochen werden darf. Bis zu zehn Wochen nach der Empfängnis erfolgt eine Abtreibung in der Regel per Pille und kann zu Hause vorgenommen werden. Danach ist ein chirurgischer Eingriff üblich. Nach der 24-Wochen-Frist ist der Abbruch in Großbritannien nur noch erlaubt, wenn das Leben der Mutter in Gefahr ist oder wenn das Kind eine schwere Behinderung hätte. In Nordirland war Abtreibung bis vor wenigen Jahren verboten – erst 2019 wurde ein Gesetz erlassen, das den Schwangerschaftsabbruch in den ersten 12 Wochen entkriminalisiert.
In Polen starben Schwangere, weil sie keinen Arzt fanden
In Polen erließ die ultrakonservative Regierung 2020 faktisch ein Abtreibungsverbot. Selbst wenn der Fötus schwere Fehlbildungen aufweist, darf nicht mehr abgetrieben werden. Nur wenn das Leben einer Frau gefährdet ist oder die Frau vergewaltigt wurde, ist eine Beendigung der Schwangerschaft erlaubt. Doch ob betroffene Frauen dann einen Arzt oder eine Ärztin finden, ist alles andere als selbstverständlich. So wurde ein 14-Jähriges, geistig behindertes Mädchen, das von ihrem Onkel vergewaltigt worden sein soll, erst im Januar dieses Jahres von mehreren Kliniken abgewiesen.
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Nach Recherchen des EU-Parlaments starben in Polen bis Ende 2022 mindestens sechs Frauen, weil Ärzte oder Ärztinnen sich weigerten, einen Abbruch vorzunehmen. Als im Juni dieses Jahres die 33-jährige Dorota starb, kam es zu landesweiten Protesten. Die junge Frau war in der 20. Schwangerschaftswoche ins Krankenhaus eingeliefert worden, weil sie Fruchtwasser verlor. Drei Tage später war sie tot. Wäre ein Abbruch vorgenommen worden, könnte Dorota vielleicht noch leben, werfen Frauenorganisationen nun den Ärzten vor.
Mexiko folgt Ländern wir Kolumbien und Argentinien, wo Abtreibung kürzlich entkriminalisiert wurde. Zwar ist in Mexiko-Stadt sei 15 Jahren eine Abtreibung legal möglich. Doch in vielen Staaten des Landes galt der Schwangerschaftsabbruch bis Anfang des Monats noch immer als illegal. Am 6. September aber hat der Oberste Gerichtshof in einer Grundsatzentscheidung die Abtreibung landesweit entkriminalisiert.
Diese historische Entscheidung hat zur Folge, dass keine Frau wegen eines Schwangerschaftsabbruchs ins Gefängnis muss. Damit wird einem juristischen Wirrwarr ein Ende gesetzt und die Rechtslage bei Abtreibungen für ganz Mexiko vereinheitlicht. Die feministische „Informationsgruppe für selbstbestimmte Reproduktion“ (GIRE) begrüßte die Entscheidung.
Die USA sind auch bei der Abtreibung ein geteiltes Land
In den USA waren mehr als ein halbes Jahrhundert Schwangerschaftsabbrüche legal. Dieses Recht hat der durch Donald Trump mehrheitlich konservativ gewordene Oberste Gerichtshof im Sommer 2022 aufgekündigt. Seitdem sind die Vereinigten Staaten ein geteiltes Land. Im Süden und in den Bundesstaaten der ländlichen Mitte ist die „abortion” de facto verboten; auch nach Vergewaltigung oder Inzest. In Georgia und Florida gilt ein Abtreibungsverbot nach sechs Wochen; dann also, wenn viele Frauen noch gar nicht definitiv wissen, dass sie schwanger sind.
An der liberalen Ost- und Westküste sind Schwangerschaftsabbrüche wie bisher unter Auflagen gestattet. Die Folge: Möchte etwa eine Frau in Louisiana abtreiben, muss sie mehr als 1000 Kilometer reisen, um in einen Bundesstaat zu gelangen, in dem das erlaubt ist.
Der Kampf um die Abtreibung hat den Republikanern bei den Kongresswahlen 2022 viele Stimmen gekostet. Eine Mehrheit der Amerikaner lehnt diese staatliche Gängelung ab. Darum geht Donald Trump jetzt in die Gegenposition. Verbote ab der 6. Woche nennt er plötzlich „schrecklich”.