Berlin. Die Kinder vors Tablet setzen, damit sie still sind – das nervt die Generation Z. Auf Tiktok wird das zum globalen Hashtag: iPadKids.
Die riesige Brille mit dem dicken schwarzen Rand vergrößert die aufgerissenen Augen noch. „Warum“, ruft sie, „sind eure Kinder so schrecklich?“ Die junge Frau in den 20-ern, und damit eine Vertreterin der Generation Z (Gen Z), setzt nach: „Sie können nicht lesen. Sie können nicht schreiben. Sie verhalten sich krankhaft. Und sie sind Monster.“
Es eine Wutrede, die die Gen-Z-Vertreterin auf Tiktok hält. Wut gegenüber der jüngeren Generation Alpha, Wut aber vor allem gegenüber den Millennials, also der Generation, die zwischen 1981 und 1996 geboren ist und nun Kinder großzieht. Tatsächlich ist es in den sozialen Medien gerade ein globaler Trend, dass sich die Generation Z, zwischen 1997 und 2023 Geborene, die als wenig belastbar, fokussiert auf die Work-Life-Balance und bisweilen unmotiviert gescholten wird, auflehnt:
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Unter dem Hashtag #iPadKids attackieren sie nicht nur die jüngere Generation Alpha, die heutigen Kinder, sondern vor allem deren Eltern, die Millennials. Sie seien kaum in der Lage, mit ihren Kindern fertig zu werden. Terrorattacken der Kleinkinder würden mit Äußerungen wie „Ist er nicht süß“ abgetan – und wenn das „süße Monster“ nerve, dann werde ihm zur Ruhigstellung ein Tablet in die Hand gedrückt, mit dem es sich auf dem YouTube-Kinderkanal berieseln lassen könne.
Kinder als „süße Monster“ – #iPadKids trendet weltweit
Mittlerweile hat der Hashtag #iPadKids weltweit 525 Millionen Klicks. Besonders beliebt neben all den Ansprachen und Aufrufen, den Kindern niemals ein Tablet in die Hand zu drücken: Reels – also Kurzvideos mit den Kindern vor dem Bildschirm, vollkommen entrückt. Doch die gescholtenen Millennials schlagen auch zurück: Bekommt ihr erst mal Kinder, so der Tenor, dann wisst ihr, wie wichtig auch mal fünf Minuten Ruhe sind im Alltag zwischen Job und Familie.
Dass man mal ein ruhiges Gespräch im Restaurant braucht. Oder mal Zeit mit dem Partner, ohne dass immer das Kind dazwischenschreit. Der Krieg der Generationen um die richtige Erziehung ist entbrannt. Wieder einmal. Doch was sagen Experten dazu? Und wie kommt die Gen Z überhaupt dazu, so heftig andere Generationen zu attackieren?
Stefan Düll, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, hat Verständnis für die Gen Z. „Die Generation muss viel Kritik ertragen“, sagt er unserer Redaktion. Und zwar Kritik, die nicht fair sei. „Die Gen-Z-Vertreter hatten ihre Kindhei, jetzt wollen sie den Spieß umdrehen“, so der Deutschlehrer, der diese Generation unterrichtet hat. Nun steht er allerdings vor den Jüngeren, der Generation Alpha. Und da stimmt er der Gen Z in einem Punkt durchaus zu.
Schule: Bei Generation Alpha lässt die Aufmerksamkeit nach
Durch das Smartphone habe sich total viel innerhalb und außerhalb des Familienlebens verändert, erklärt Düll. Das könne jeder sehen, der S-Bahn fährt oder ins Restaurant gehe. „Keiner ist mehr ohne Smartphone unterwegs“, sagt er. Und das habe Folgen: „Es gibt tatsächlich einen großen Anteil an jungen Menschen, die eine sehr verringerte Aufmerksamkeitsspanne haben.“ Aber im Schulunterricht müsse man sich auf die gestellten Aufgaben konzentrieren können – „und zwar ohne ein digitales Gerät“.
Kinder müssten lernen, dass sie nicht alles mit einem Smartphone oder Tablet lösen könnten – und da komme es auf die Eltern an. Diese könnten meist jedoch selbst ihr Gerät nicht aus der Hand legen. Die Freundin schreibt eine WhatsApp-Nachricht? Muss sofort beantwortet werden. Die Cousine hat Geburtstag? Schnell einen witzigen Text schreiben. Dazu die Insta-Koch-Reels neben den Nachrichten aus dem Büro. Und ständig bimmeln Portale ihre Eilmeldungen durch.
Ist die Gen Z faul und empfindlich? Das deckt eine Studie schonungslos auf
Alles immer beantworten müssen und sich gleichzeitig unterhalten lassen: „Die Erwartung an das Kommunikationsverhalten ist sehr hoch. Früher ließ man das Telefon klingeln, wenn das Kind schrie. Heute ist man immer da, sogar nachts werden Nachrichten beantwortet“, sagt Jugendforscher Simon Schnetzer. Er hält nichts von einer pauschalen Kritik an Generationen: „So wenig wie die Gen Z faul ist, genauso wenig besteht die Generation Alpha aus verzogenen iPad-Kids“, betont er.
Jugendforscher: Vollzeit arbeitende Eltern sind oft überfordert
Schnetzer ist selbst ein Millennial und Vater von drei kleinen Jungs. Zwar nimmt er ebenfalls die Eltern in die Pflicht, zeigt aber auch Verständnis: Sie seien oft überfordert, vor allem wenn beide Vollzeit arbeiteten und nicht wüssten, wie sie alles unter einen Hut bekommen sollen. „Sie geben überall Vollgas, im Job, in der Familie, bei der Erziehung. Dann muss es auch noch ein Privatleben geben“, sagt er. In diesem beschleunigten Lebensstil müsse man auch mal durchschnaufen. „Und dann setzt du die Kinder vor das iPad – und sie sind ruhig und zufrieden.“
Bei allem Verständnis für den familiären Stress: Dirk Heyartz, Vorsitzender des Bundeselternrats, will Väter und Mütter nicht aus der Verantwortung nehmen. Schließlich gehe es darum, die Kinder vor den Gefahren der Digitalisierung zu schützen und dabei die „echte Welt“ nicht aus den Augen zu verlieren. Das dürfe nicht den Schulen überlassen bleiben. „Eltern müssen sich bewusst sein, dass Vorlesen, Gespräche und gemeinsam verbrachte Zeit für die sprachliche Entwicklung unserer Kinder von großer Bedeutung sind“, sagt er.
Lehrerpräsident Stefan Düll wird konkreter: Weg mit Smartphone und Tablet am Familientisch. Bei gemeinsamen Unternehmungen nicht immer alles fotografieren, denn dann gehe es gleich weiter mit Insta und Posts in der Familiengruppe. Nicht immer die Kinder bei Ausflügen überreizen, einfach mal wandern gehen statt in den Vergnügungspark.
Gabe Escobar: „Warum gebt ihr ihnen iPads im Restaurant?“
Jugendforscher Schnetzer setzt auf die Oma, wenn er und seine Frau eine Auszeit brauchen, gibt aber zu: „Ich kenne Familien, die haben das nicht.“ Seine Kinder hätten sehr begrenzte Screen-Zeiten, die gemeinsam mit den Eltern verbracht würden. „Wir schauen Angel-Videos oder Videos zu den Liedern, die sie gerne hören.“ Unkontrollierte Sitzungen vor dem Tablet und Smartphone hält er für gefährlicher als das Fernsehglotzen.
Schnetzer rät zu digitalen Auszeiten für die gesamte Familie. Und vor allem, solange es geht, den Kindern erst gar kein digitales Gerät in die Hand zu drücken – sei es Smartphone, Smartwatch oder Tablet. „Das iPad ist noch näher, spannender, aufregender. Die Schnitte sind schneller, die Tonlagen übersteuert“, erklärt der Experte. Zudem zeigten Tiktok und Instagram: „Sobald ein Inhalt langweilt, wird er einfach weggeschoben, statt sich damit auseinanderzusetzen.“
Glaubt man den Reels der Gen Z, reicht das nicht. Der 21-jährige Influencer Gabe Escobar, drei Millionen Follower auf Tiktok, schwört seine Generation ein: „Gen Z, bitte, wenn wir älter sind: Versprechen wir, niemals iPad-Kids zu erziehen.“ Dann richtet er sich an die Millennials: „Warum gebt ihr ihnen iPads im Restaurant, statt mit euren Kindern zu sprechen? Sollen sie still sein?“, fragt er und macht eine Pause. Dann setzt er nach: „Warum sind sie überhaupt da?“
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