Berlin. Zu viele Frauen verlassen sich in Sachen Geld auf ihre Männer, beklagt die Chefin des Sozialverbands VdK – und gibt einen klaren Rat.
Verena Bentele ist eine Frau, die sich nicht aufhalten lässt. Die 42-Jährige ist seit ihrer Geburt blind, gleichwohl machte sie als Weltklasse-Biathletin und Sozialpolitikerin Karriere. Seit 2018 ist Bentele Präsidentin des größten deutschen Sozialverbands VdK mit mehr als zwei Millionen Mitgliedern. Zum Internationalen Frauentag erläutert sie, warum auch hierzulande die Gleichberechtigung immer noch nicht erreicht ist.
Am Freitag ist Internationaler Frauentag. Ist der überhaupt noch zeitgemäß?
Verena Bentele: Auf jeden Fall. Es braucht den Internationalen Frauentag, weil Frauen jeden Tag aufs Neue erfahren, dass sie nicht wirklich gleichberechtigt sind. Das gilt auch für Deutschland, obwohl das Grundgesetz ganz eindeutig die Gleichberechtigung garantiert. Natürlich haben es Frauen heute teils leichter als vor 50 Jahren. Aber: Sie verdienen immer noch weniger als Männer, arbeiten häufiger in Niedriglohn-Jobs, haben in der Folge niedrigere Renten, sind seltener in Führungspositionen und leisten im Privatleben viel mehr unbezahlte Sorgearbeit.
Im Land Berlin und in Mecklenburg-Vorpommern ist der Internationale Frauentag ein gesetzlicher Feiertag. Betriebe, Schulen, Geschäfte sind geschlossen. Sollten die anderen Bundesländer nachziehen?
Ich wünsche mir, dass der Frauentag in ganz Deutschland ein gesetzlicher Feiertag wird. Auf diese Weise würde mehr Aufmerksamkeit auf die Situation und die Rechte der Frauen gelenkt. Denn das war der Frauentag ja ursprünglich ab der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg: Er war ein Aktionstag, an dem Frauen auf die Straße gingen, um für das Frauenwahlrecht und für Gleichberechtigung zu kämpfen.
Sind Frauen in Deutschland strukturell benachteiligt?
Ja, das sind sie, aus den unterschiedlichsten Gründen. Ein Beispiel: Weibliche Führungskräfte, ob in Wirtschaft oder Politik, bekommen ständig die Frage gestellt, wer sich eigentlich um ihre Kinder kümmere. Männer werden das kaum zu hören bekommen. Gerade in Unternehmen werden die Regeln überwiegend von Männern gemacht. Und deshalb ist häufig auch die Kreativität und Vorstellungskraft beschränkt, wenn es um die Frage geht, wie sich Berufstätigkeit und Familienleben der Beschäftigten in Einklang bringen lassen.
Sie selbst haben sich trotz widriger Umstände im Leben immer wieder durchgeboxt, haben studiert, waren Spitzensportlerin und sind jetzt Chefin eines großen Verbands. Gibt es einen Rat, den Sie jungen Frauen mit auf den Weg geben?
Es ist schon so, dass man sich hin und wieder durchboxen muss. Aber das sollte nicht der einzige Weg sein, um voranzukommen. Mein wichtigster Rat lautet: Such‘ Dir Unterstützerinnen und Unterstützer, die dich beraten und die dir Mut machen. Als Biathletin, die nicht sehen kann, könnte ich auch sagen: Such‘ Dir Begleitläuferinnen und Begleitläufer. Das nimmt auch den Druck, als Frau fünf Mal so gut und hart sein zu müssen wie ein Mann.
Frauen müssen häufig Entscheidungen treffen, die Konsequenzen haben für ihr gesamtes Leben. Wir würden gern mal ein paar Bereiche mit Ihnen durchgehen. Stichwort Ausbildung und Job: Nach welchen Kriterien sollten Frauen ihren Beruf wählen?
Jeder Mensch sollte einen Beruf ergreifen, der ihn erfüllt und zufrieden macht. Aber die Tätigkeit sollte es auch ermöglichen, das Leben so zu führen, wie man es will: Es geht auch darum, finanziell möglichst unabhängig zu sein. Oder Zeit zu haben für die Familie und Angehörige.
Das klingt nicht wie ein Plädoyer im Sinne von: Liebe Frauen, wählt Männerberufe, dann geht’s Euch besser.
Richtig. Am Ende muss jeder wissen, was sie oder er gut kann und will.
Sollten sich Frauen einen Partner suchen, der mehr verdient als sie selbst – oder ist das genau die Falle, in die viele Frauen laufen?
Wichtig erscheint mir eher, dass beide Partner Ziele und Vorstellungen teilen können, etwa in Bezug auf Sorgearbeit in der Familie. In der Tat verlassen sich aber zu viele Frauen auf das Einkommen ihrer Männer und versäumen es, selbst ausreichend für das Alter vorzusorgen. Sie arbeiten phasenweise gar nicht oder nur in Teilzeit. Oder sie jobben freiberuflich, ohne sozialversichert zu sein. Das kann sich bitter rächen – spätestens im Alter, wenn die Rente nicht reicht. Oder vielleicht auch schon früher, falls die Beziehung in die Brüche geht. In der Beratungspraxis unseres Verbands haben wir ständig mit solchen Problemen zu tun.
Befassen sich Frauen generell zu selten mit Finanzen?
Ich gebe zu, dass Vermögensbildung und Altersvorsorge nicht unbedingt zu den Themen zählen, mit denen sich junge Frauen mit Anfang oder Mitte 20 vorrangig beschäftigen wollen. Sollten sie aber. Die Armutsgefährdung bei Frauen steigt mit dem Alter, das lässt sich statistisch klar nachweisen.
Trägt das Ehegattensplitting zu solchen Schieflagen bei?
Ja. Ich bin der Auffassung, dass das Ehegattensplitting abgeschafft und durch ein Besteuerungsmodell für Familien ersetzt werden sollte. Nicht der Trauschein sollte der entscheidende Faktor für die steuerliche Förderung sein, sondern der Umstand, ob jemand Kinder großzieht oder nicht. Ob die Eltern ihrerseits verheiratet sind oder nicht, sollte hingegen keine Rolle spielen.
Sollte das Ehegattensplitting nur für neue Ehen wegfallen oder auch für bestehende?
Für bestehende Ehen wird sich das kaum abschaffen lassen. Natürlich weiß ich auch, dass keine politischen Mehrheiten für eine grundlegende Reform in Sicht sind. Dahinter steht ein verfestigtes Rollenbild. Und viele Politikerinnen und Politiker befürchten, dass sich unter den gegebenen Umständen Kinderbetreuung und Pflege von Angehörigen in der Breite kaum noch organisieren ließen, wenn plötzlich viel mehr Frauen Vollzeit arbeiten gingen.
Mehr als jede zweite Frau bekommt weniger als 1.250 Euro Rente pro Monat, bei den Männern ist ungefähr jeder Vierte. Was sagt uns das?
Hier zeigt sich, dass immer noch sehr viele Frauen in schlechtbezahlten, traditionell mehrheitlich von Frauen besetzten Berufen arbeiten – etwa in der Pflege, der Beauty-Branche oder im Einzelhandel. Frauen haben überdies längere Lücken in ihren Erwerbsbiografien, arbeiten viel häufiger in Teilzeit. Und es gibt weiterhin relativ wenig Frauen in gut bezahlten Führungspositionen. Ich bin der Ansicht, dass wir in Verwaltung und Wirtschaft eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern in Führungspositionen brauchen. Führende Frauen sind Vorbild für viele Mädchen und Frauen.
Braucht es dafür eine Frauenquote?
Wo eine Quote rechtlich möglich ist, sollte es sie geben. Es hindert aber auch niemand Unternehmen oder Parteien daran, sich selbst eine Quote zu geben. Allein mit Anreizen und gutem Zureden wird sich Gleichberechtigung nicht herstellen lassen. Auch in der Politik brauchen wir mehr Verbindlichkeit. Ich möchte darauf hinweisen, dass im Deutschen Bundestag nur ein Drittel der Abgeordneten weiblich sind und der Frauenanteil dort mit Beginn der Wahlperiode sogar wieder abgenommen hat. Auch die Bundesregierung ist nicht mehr paritätisch mit Frauen und Männern besetzt, obwohl Kanzler Olaf Scholz ursprünglich dieses Ziel hatte.
Sollte das nächste Staatsoberhaupt weiblich sein, ist es Zeit für eine Bundespräsidentin?
Auf jeden Fall! Wir haben hierzulande genug qualifizierte Frauen mit Strahlkraft. Im Artikel 3 des Grundgesetzes ist die tatsächliche Gleichberechtigung von Frauen und Männern festgeschrieben. Deshalb ist es nach zwölf Bundespräsidenten endlich an der Zeit für eine Frau im höchsten Amt der Bundesrepublik.
Mit der Einführung der Grundrente 2018 wollte der Gesetzgeber die Altersarmut bekämpfen, insbesondere bei Frauen. Wie fällt Ihre bisherige Bilanz aus?
Es ist gut, dass es die Grundrente gibt und damit niedrige Alterseinkommen aufgewertet werden. Aber insgesamt sind wir nicht zufrieden damit, dass weit weniger Frauen und Männer den Zuschlag erhalten als ursprünglich vorgesehen. Statt drei Millionen waren es zuletzt nur etwas mehr als eine Million. Hinzu kommt: Der durchschnittliche Auszahlbetrag liegt bei 80 Euro. Das ist besser als nichts, war für viele Empfänger aber trotzdem enttäuschend.
Was schlagen Sie vor?
Der Gesetzgeber sollte dringend die Einkommensanrechnung des Partners abschaffen. Die ist nicht nur ein riesiger bürokratischer Aufwand, sondern steht auch dem eigentlichen Ziel der Grundrente entgegen: Die sollte kein Almosen sein, sondern die Würdigung einer individuellen Lebensleistung.
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