London. Das kann Premier Sunak nun wirklich nicht gebrauchen: die Rückkehr von Brexiteer Nigel Farage. Seine neue Partei sorgt für Wirbel.
Als die Tories am vergangenen Freitag in Nachwahlen in England zwei schwere Niederlagen einsteckten, rieb sich Richard Tice die Hände. Seine Partei, „Reform UK“, gewann zwar keinen Sitz, aber in beiden Wahlkreisen erzielte sie mehr als 10 Prozent der Stimmen. Es ist ihr bislang bestes Resultat. Der Parteivorsitzende Tice sprach von einem „riesigen Schritt nach vorne“. Besonders freute er sich, dass er seinem Erzfeind, den Tories, eine Ohrfeige versetzen konnte.
Der Aufstieg von „Reform UK“, einer Partei, die irgendwo zwischen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus politisiert, sorgt derzeit in Großbritannien für Aufregung. Und bei den regierenden Tories geht die Angst um. Die Reform-Partei hat sich in den vergangenen Monaten zu einer ernstzunehmenden Konkurrenz entwickelt, laut Tory-Abgeordneten und politischen Beobachtern könnten sie den Konservativen ein gutes Stück der Wählerschaft wegschnappen. Ihre erklärte Absicht ist es, die Tories „plattzumachen“, wie Tice einmal sagte.
„Reform UK“ ist die Nachfolgerin der migrations- und EU-feindlichen Brexit Party, die Nigel Farage im März 2019 gründete. Die Ein-Themen-Partei machte den Tories damals das Leben schwer und zwang sie, einen harten Brexit-Kurs einzuschlagen. Als 2020 der EU-Austritt folgte, hatte die Partei erst mal ihren Daseinszweck verloren. Sie änderte ihren Namen in Reform UK, Farage trat 2021 vom aktiven Engagement zurück und überließ die Parteiführung seinem Vertrauten Richard Tice, einem eher farblosen Unternehmer.
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Großbritannien: Migration stellt Regierung vor ein Dilemma
Lange Zeit interessierte sich kaum jemand für die Partei, Reform UK blieb ein Randphänomen. Das änderte sich erst im Lauf des vergangenen Jahres, als die Tories die Migration in den Mittelpunkt der politischen Debatte rückten – und etwas versprachen, was sie nicht halten konnten.
Rishi Sunak verpflichtete sich, die Bootsüberfahrten über den Ärmelkanal vollends zu unterbinden. Dies war eines seiner zentralen fünf Versprechen. „Das war ein dummer Slogan, denn das ist schlichtweg nicht umsetzbar“, sagt Rob Ford, Politikwissenschaftler an der Universität Manchester. „Und so kam es auch: Im Herbst war klar geworden, dass Sunak die Boote nicht würde stoppen können.“ Für Reform UK war dies eine goldene Gelegenheit, sagt Ford: „Die Partei konnte der Regierung Wortbruch vorwerfen.“ Die Tories hätten die britische Bevölkerung „verraten“, indem sie eine „unkontrollierte Masseneinwanderung in ungekannter Höhe“ zuließen, schimpfte Richard Tice im Januar.
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Mit solchen Argumenten sei es für Reform UK einfach, Leute zu mobilisieren, sagt Ford: Migrationsfeindlichkeit sei das entscheidende Kriterium, ob jemand Reform UK wählt. „Die Partei unterscheidet sich in diesem Sinn nicht von der AfD, von den Schwedendemokraten, oder den Fratelli d’Italia von Georgia Meloni.“ Auch profitiert Reform UK von der allgemeinen Unbeliebtheit der Tories – die Regierungspartei sitzt seit über einem Jahr in einem tiefen Umfrageloch, bei den nächsten Wahlen wird eine krachende Niederlage erwartet. „Für sozialkonservative, Brexit-begeisterte Wähler, die niemals Labour oder die Liberaldemokraten wählen würden, bietet Reform UK ein Gefäß, um eine allgemeine Unzufriedenheit zum Ausdruck zu bringen“, sagt Ford.
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„Reform UK“: Bei diesem Schritt von Farage hätten die Tories ein Problem
Aber laut dem Politologen lässt sich derzeit noch nicht abschätzen, ob die Partei einen nachhaltigen Aufstieg erlebt – oder ob es sich eher um ein Strohfeuer handelt. „Ein Teil der Unterstützung könnte ‚weich‘ sein“, sagt er. Das heißt: „Viele Leute sagen, sie werden aus Frustration mit den Tories Reform wählen. Aber wenn es dann tatsächlich darauf ankommt, werden sie ihr Kreuz dennoch bei den Konservativen machen.“
Ob „Reform UK“ den Tories in den kommenden Monaten ernste Schwierigkeiten bereiten wird, hängt vor allem von einem Mann ab: Nigel Farage. Der berüchtigtste und effektivste Rechtspopulist Großbritanniens ist zwar der Präsident der Partei, aber er mischt sich derzeit nicht aktiv in die Geschäfte ein. Mit seinem Job als Moderator auf dem rechtskonservativen Sender GB News hat Farage genügend Möglichkeiten, die öffentliche Debatte mitzuprägen. Ebenso medienwirksam war sein Auftritt im Dschungelcamp: Im November ging Farage in den australischen Busch, um sich dort beim Verzehr von Pizza mit Kameleuter und Schweinepenis filmen zu lassen.
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Aber wenn er in den aktiven Dienst für „Reform UK“ zurückkehren sollte, dann hätten die Tories wohl ein Problem, sagt Rob Ford. „Sollte er sich entscheiden, als Reform-Politiker an Parteikundgebungen, im Fernsehen und im Radio aufzutreten, dann würde er den Konservativen ernste Kopfschmerzen bereiten“. Niemand unterschätzt Farages politisches Talent. Mehr als jeder andere Politiker habe er die Grundlagen für den Brexit gelegt, schrieb das Magazin New Statesman im vergangenen September. Unter seiner Führung erreichten die rechtspopulistischen Parteien Ukip und die Brexit Party ihre größten Triumphe. In jüngerer Zeit habe er auch den Premierminister unter Zugzwang gesetzt: „In einem Versuch, sein politisches Überleben zu sichern, hat Sunak Farages Programm übernommen.“ Sunak sei zwar an der Spitze der Regierung, aber an der Macht sei in vielerlei Hinsicht Farage, so das Magazin.
Noch hält sich Farage bedeckt. Die endlosen Spekulationen über eine mögliche Rückkehr passen ihm ganz gut. So beschränkt er sich derzeit darauf, das Geschehen von außen zu kommentieren – und die Tories zu warnen. „Die Konservative Partei hat keine Ahnung, was auf sie zukommt“, sagte er im Januar.