Berlin. Fit, erfahren und händeringend gesucht: Alte arbeiten immer länger. Experten sprechen von einer „Verlängerung der Lebensarbeitszeit.“
Die Zahlen lassen aufhorchen: Immer mehr Menschen in Deutschland arbeiten auch im Alter von 63 bis 67 noch. Fast 1,7 Millionen Frauen und Männer in dieser Altersgruppe waren im vergangenen Jahr sozialversicherungspflichtig oder geringfügig beschäftigt, hatten also zumindest einen Minijob. Im Jahr zuvor waren es rund 1,5 Millionen. In einem Alter, in dem andere schon in den Ruhestand gehen, klotzen diese Personen also noch ran. Die Daten, die aus einer Anfrage der Linken im Bundestag hervorgehen, sagen eine Menge aus über den Zustand des Rentensystems und des Arbeitsmarkts in Deutschland. Fest steht, dass die Entwicklung politisch gewollt ist. Ein Überblick.
Warum gibt es immer mehr ältere Arbeitnehmer?
Die Politik hat in der Vergangenheit diverse Maßnahmen auf den Weg gebracht, um die Erwerbstätigkeit von Älteren zu erhöhen. Es ging darum, die Rentenkasse zu stabilisieren und einer Verknappung von Arbeitskräften entgegenzuwirken. Zugleich entwickelt sich der Arbeitsmarkt seit ungefähr 15 Jahren ausgesprochen günstig. Anders als früher können es sich etliche Betriebe heute gar nicht mehr leisten, ältere und erfahrene Mitarbeiter vor der Zeit in den Ruhestand zu schicken. Wer als Arbeitnehmer im fortgeschrittenen Alter seinen Job verliert, findet heute oft wieder schnell einen neuen.
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Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit zeigte unlängst in einer Studie, dass sich der Anteil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten der Alterskohorte von 60 bis 64 Jahre binnen zwei Jahrzehnten mehr als vervierfacht hat. Fast jeder Zweite geht hier inzwischen einem regulären Job nach, der Anteil der geringfügig Beschäftigten ging deutlich zurück. „Im Zuge des demografischen Wandels und der veränderten gesetzlichen Rahmenbedingungen für den Rentenbezug wird der Anteil älterer Beschäftigter weiter zunehmen. In einer steigenden Beschäftigung dieser Gruppe liegt also erhebliches Potenzial“, schreiben die Nürnberger Forscher.
Wann gehen die Deutschen in Rente?
Das durchschnittliche Rentenzugangsalter für Altersrentner lag zuletzt bei 64,4 Jahren – und zwar gleichermaßen bei Frauen wie bei Männern. Auch hier ist im langfristigen Trend ein deutlicher Anstieg zu beobachten: Im Jahr 2000 lag das durchschnittliche Zugangsalter laut Rentenversicherung noch bei 62,2 Jahren.
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Der Gesetzgeber will ausdrücklich, dass die Menschen in Deutschland länger dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen: Das gesetzliche Renten-Eintrittsalter steigt bis 2031 schrittweise auf 67 Jahre. Wer 2024 ohne Abschläge in Rente gehen will, muss 66 Jahre alt sein. Es gibt überdies die Möglichkeit für langjährig Versicherte, ohne Abschläge vorzeitig in den Ruhestand zu gehen. Dieses umstrittene Instrument ist auch als „Rente mit 63“ bekannt. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sagte dazu unlängst im Interview mit unserer Redaktion: „Die Altersgrenze liegt inzwischen über 64 und wird auf 65 ansteigen. Zum anderen ist es nur fair, dass Menschen nach 45 Beitragsjahren abschlagsfrei in Rente gehen können.“ Mit Blick auf die Wirtschaft ergänzte der Minister: „Die Frage ist ja nicht nur, ob Menschen bereit sind, länger zu arbeiten, sondern auch, ob man sie lässt.“
Wie sehen Fachleute die Entwicklung?
Rentenexperte Johannes Geyer vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) sagt: „Wenn man von einem Trend sprechen will, dann vom Trend der Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Wir können sagen, dass aktuell jede Geburtskohorte etwas später in Rente geht.“ Martin Werding, Mitglied des Sachverständigenrates Wirtschaft, zufolge lieget das auch an vielen Unternehmen. Der Fachkräftemangel greife um sich. „Das führt auch dazu, dass sich Arbeitgeber mittlerweile mehr Mühe dabei geben, altgediente Mitarbeiter zu halten“, so der Wirtschaftsweise, der auch auf den häufig guten Gesundheitszustand von Menschen im rentenfähigen Alter verweist. Viele fühlten sich oftmals noch zu jung, um das Berufsleben hinter sich zu lassen.
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Was muss sich verändern, um ältere Arbeitnehmer länger im Berufsleben zu halten?
Auch, wenn die Erwerbsquote der Älteren in den vergangenen Jahren stärker gestiegen ist als in allen anderen Altersgruppen, sehen Experten mit Blick auf Anreize, länger zu arbeiten, noch Verbesserungsmöglichkeiten. Martin Werding regt konkrete Reformen an. Derzeit sei es so, dass Anreize den frühen Erwerbsaustritt immer noch attraktiver machten, als er sein sollte. „Um das zu ändern, sollten wir aus meiner Sicht Zugeständnisse bei den Sozialversicherungsbeiträgen machen. Was ich mir vorstellen kann: Ältere Arbeitnehmer unterliegen bei den Beiträgen etwas anderen Regeln als jüngere Beschäftigte. Das kann auf zwei Wegen erfolgen: Wer im Alter weiterarbeitet und möchte, dass das auch noch rentensteigernd wirkt, soll die Wahlmöglichkeit haben, weiter Rentenbeiträge zu zahlen. Die andere Option ist, jenseits der Regelaltersgrenze auf diese Beiträge zu verzichten. Das betrifft dann auch die Arbeitslosenversicherung“, so Werding gegenüber unserer Redaktion.
Wie reagieren Sozialpartner?
Der Sozialverband Deutschland (SoVD) lehnt eine längere Lebensarbeitszeit ab und pocht auch auf ein Ende der Diskussion um eine mögliche Abschaffung der „Rente mit 63“. „Sollen die Menschen arbeiten, bis sie krank sind? Sicherlich nicht! Es gibt keinen Zwang, in Rente zu gehen. Wer kann, darf heute schon so lange arbeiten, wie er oder sie möchte, und den Eintritt in die Rente nach hinten schieben“, so SoVD-Vorstandsvorsitzende Michaela Engelmeier.
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Was sagt die Wirtschaft?
Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) sieht in dem Fachkräftemangel „eines der größten Geschäftsrisiken für deutsche Unternehmen“. „Daher ist es wichtig, auf alle Beschäftigungspotenziale zu setzen. Ältere Beschäftigte spielen mit ihrem fachlichen Know-how und ihrer langjährigen Berufserfahrung eine wichtige Rolle in den Unternehmen“, sagt der DIHK-Arbeitsmarktexperte Stefan Hardege.
Was will die Politik?
Bundesarbeitsminister Heil hatte sich auch ausgesprochen für „flexible Übergänge in den Ruhestand und kluge Anreize, damit Menschen freiwillig länger arbeiten, die das können und wollen“. Eine weitere Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters lehnt er ab. Der Wirtschaftswaise Werding sieht das kritisch. „Der Sachverständigenrat hat im letzten Herbst vorgeschlagen, dass die Regelaltersgrenze alle 20 Jahre um ein Jahr steigt. Dann reden wir eben nicht mehr über die Rente mit 67, sondern mit 68 und dann irgendwann mit 69. Erst etwa 2090 würden wir ein Rentenalter mit 70 erreichen, wenn die Lebenserwartung weiter so steigt wie bislang angenommen. Das ist also in ganz weiter Ferne“, so Werding. Angesichts der demografischen Szenarien müsse man aber über das Thema reden.
Die FDP im Bundestag will Menschen durchaus dazu bewegen, noch länger zu arbeiten. „Unsere Aufgabe ist es, die Weiter- und Neubeschäftigung von Älteren arbeitsrechtlich zu vereinfachen“, sagt die rentenpolitische Sprecherin Anja Schulz. Die SPD hingegen bleibt bei der Linie ihres Ministers. Der Fokus liege darauf, dass Menschen gesund ins Renteneintrittsalter kommen, so die Abgeordnete Tanja Machalet. Sie verweist auch auf das Fachwissen, das ältere an jüngere Arbeitnehmer vermitteln könnten. Das funktioniere aber nur, „wenn die Beschäftigten gesund und zufrieden im Arbeitsleben sind“.