Jerusalem. Waren Mitarbeiter der Vereinten Nationen am Hamas-Terror beteiligt? Länder stellen ihre Zahlungen ein, doch nicht alle ziehen mit.
Mitten in der schweren humanitären Katastrophe, die die Zivilbevölkerung im Gazastreifen Hunger, Seuchen und mangelnden Zugang zu medizinischen Leistungen aussetzt, befindet sich die wichtigste Hilfsorganisation in Gaza in der Krise. Wegen massiver Vorwürfe gegen Mitarbeiter des UN-Hilfswerks für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA) haben deren wichtigste Geldgeber ihre finanzielle Unterstützung eingefroren, darunter die USA, Großbritannien, Deutschland, die Schweiz, Frankreich und Italien.
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Damit droht dem zentralen Betreiber der Hilfsinfrastruktur im Gazastreifen der Kollaps. In Friedenszeiten sind drei Viertel der Menschen im Gazastreifen von der Hilfe der UN-Agentur abhängig. Angesichts des Kriegs und des völligen Erliegens aller wirtschaftlichen Aktivität im Gazastreifen muss die Agentur auch Menschen versorgen, die sonst nicht von UN-Hilfe angewiesen wären. UN-Sonderberichterstatterin Francesca Albanese bezeichnete die Einstellung der Geldflüsse als „unverantwortlich und unmoralisch“.
CDU/CSU will aktive Rolle Deutschlands bei Aufklärung der Vorwürfe
Die Vorwürfe, die Israel gegen zwölf Beschäftigte des Hilfswerks erhebt, wiegen schwer. Laut dem israelischen Inlandsgeheimdienst waren die betreffenden Mitarbeiter in die Hamas-Massaker vom 7. Oktober involviert, konkrete Details sind nicht bekannt. Schon zuvor waren Berichte aufgetaucht, wonach in einer WhatsApp-Gruppe, zu der rund 3000 UNRWA-Mitarbeiter Zugang haben sollen, Hamas-Verbrechen an israelischen Zivilisten verharmlost oder sogar verherrlicht wurden. Gegenüber CNN erhob die israelische Armee zudem den Vorwurf, UNRWA-Räumlichkeiten seien für „terroristische Zwecke“ genutzt worden.
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Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) mahnte auf der Internetplattform X, ehemals Twitter, eine umfassende Aufklärung der Vorwürfe an. Der erste parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Thorsten Frei, sieht auch die Bundesregierung in der Pflicht, sich daran zu beteiligen, sagte er am Sonntag dieser Redaktion. „Als einer der großen Geldgeber muss sich Berlin aktiv in die Aufklärung der schweren Vorwürfe einschalten. Das UNRWA stand wiederholt in der Kritik. Es wird Zeit, diese Organisation gründlich zu kontrollieren. Das sind wir Israel und auch den deutschen Steuerzahlern schuldig“, so Frei.
UNRWA: Israel lehnt die Arbeit der Organisation in Gaza ab
UN-Generalsekretär António Guterres zeigte sich „entsetzt“ über die Berichte und verlangte von der Agentur sofortige Aufklärung. Er forderte, dass sämtliche UNRWA-Beschäftigte, die in die Massaker vom 7. Oktober involviert waren oder sie begünstigten, sofort entlassen und einer strafgerichtlichen Verfolgung übergeben werden. Guterres verwies jedoch darauf, dass von den zwölf mutmaßlich in terroristische Aktivitäten verwickelten UNRWA-Beschäftigten neun bereits entlassen worden seien, ein weiterer sei nicht mehr am Leben, die zwei übrigen Beschäftigten müssten erst ausfindig gemacht werden. UNRWA hatte bereits vor zehn Tagen angekündigt, dass unabhängige Experten die Tätigkeiten der Agentur überprüfen würden.
Israels Regierung ist die UN-Agentur seit langer Zeit ein Dorn im Auge. Israel betrachtet UNRWA als politisches Organ, das nur dazu diene, das palästinensische Flüchtlingsproblem zu verfestigen, um Israel unter Druck zu setzen. Der israelische Außenminister Israel Katz sagte, es sei dringend notwendig, dass UNRWA nach dem Ende des Krieges im Gazastreifen keine Rolle mehr in dem Palästinensergebiet spiele.
Innerhalb Europas ziehen nicht alle Staaten mit
Nicht alle europäischen Staaten schließen sich der UNRWA-Blockade an. Norwegens Vertretung in den Palästinensergebieten betont, man werde seine „Unterstützung für die palästinensische Bevölkerung durch UNRWA aufrechterhalten“. Die Berichte über eine Verwicklung von UNRWA-Mitarbeitern in die Attacken vom 7. Oktober seien jedoch „zutiefst verstörend und, wenn wahr, absolut inakzeptabel“, man erwarte von der UN-Agentur daher eine volle Aufklärung der Vorwürfe. Es sei aber notwendig zu differenzieren, „was Individuen getan haben mögen, und wofür UNRWA steht“. Die Agentur sei die wichtigste humanitäre Organisation in Gaza, die Lage im Gazastreifen sei „katastrophal“, daher werde internationale Unterstützung „jetzt dringender benötigt denn je“.
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Am Freitag hatte der Internationale Gerichtshof (IGH), ein Organ der Vereinten Nationen, der israelischen Regierung eine Reihe sofortiger Maßnahmen angeordnet, um ein weiteres Massensterben im Gazastreifen zu unterbinden. Unter anderem wurde Israel aufgefordert, konkrete Schritte zu ergreifen, damit sich die katastrophale humanitäre Lage im Gazastreifen entspannt. Südafrika hatte Israel vor den Gerichtshof gebracht und verlangt, dass dieser eine sofortige Waffenruhe in Gaza anordnet. Dafür sah der IGH aber keine Notwendigkeit.
Neues Abkommen zu Waffenruhe und Geiselfreilassung?
Nun könnte es aber von anderer Seite zu einem vorübergehenden Schweigen der Waffen in Gaza kommen: Laut US-Medienberichten, die in Israel nicht bestätigt werden, scheint ein neuer Geisel-Deal in Greifweite zu sein. Demnach könnten im Zuge einer temporären Waffenruhe mehr als hundert israelische Geiseln aus der Gewalt der Hamas befreit werden. Am Sonntag trafen sich für weitere Verhandlungen in Paris die Chefs der Auslandsgeheimdienste der USA, Israels und Ägyptens mit dem katarischen Regierungschef Mohammed bin Abdulrahman al-Thani. Bisher waren die Verhandlungen über einen zweiten Geisel-Deal gescheitert, weil die Hamas auf einer unbefristeten Waffenruhe bestand. Israel lehnt das ab, da es zur Folge haben würde, dass die Terrorgruppe auch weiterhin die Kontrolle über den Gazastreifen behält.
Ende November waren im Zuge einer von Katar, Ägypten und den USA vermittelten einwöchigen humanitären Feuerpause 105 Hamas-Geiseln im Gegenzug für 240 in Israel inhaftierte Palästinenser freigekommen.