Berlin. Proteste können Rechte erniedrigen, sagt Expertin Julia Ebner. „Der Glaube, in der Mehrheit zu sein, bekommt Risse.“ Das birgt Risiken.
Julia Ebner forscht seit Jahren zu extrem rechten Netzwerken, aktuell an der Universität Oxford. In ihren Büchern beschreibt sie die Mechanismen der Radikalisierung – und recherchierte auch selbst in der Szene. Die Anthropologin und Autorin ist Senior Research Fellow beim Think-Tank „Institute for Strategic Dialogue“ (ISD). Im Gespräch mit unserer Redaktion sagt Ebner: „Die Demonstrationen von Hunderttausenden, die Debatten über Parteiverbot und Ausschluss aus der Parteienfinanzierung – all das wird die AfD schwächen.“ Und doch sieht die Extremismus-Expertin auch Risiken.
Was können die Proteste gegen AfD und Rechtsextremismus bewirken?
Julia Ebner: Die Demonstrationen sind ein wichtiges Instrument im Kampf gegen Rechtsextremismus. Die teilnehmenden Menschen erkennen, was auf dem Spiel steht. Viele haben Unbehagen oder Angst beim Gedanken, dass die AfD in Deutschland regieren könnte. Dass dieses Unbehagen jetzt in den Protesten Ausdruck findet, ist ein wichtiges Signal. Diese starke Haltung wirkt auch in das persönliche Umfeld, kann andere Menschen in ihren politischen Einstellungen beeinflussen. Massendynamik hat hier einen positiven Effekt. Der Protest kann zugleich für Außenstehende und auch Anhänger der AfD dazu führen, dass mehr Menschen die Konzepte und Ideologie etwa der AfD hinterfragen. Die Demonstrationen von Hunderttausenden, die Debatten über Parteiverbot und Ausschluss aus der Parteienfinanzierung – all das wird die AfD schwächen.
Zugleich sehen wir, dass die Anhänger der AfD die Proteste als „Kampagne“ oder gar „Verschwörung“ abtun.
Das ist die andere Seite der Proteste. Die Massendemonstrationen können einen Teil der extremen Rechten und der AfD radikalisieren. Radikale in der Rechten erleben nun eine Erniedrigung, wenn nun Hunderttausende gegen sie demonstrieren. Der Glaube, in der Mehrheit zu sein, bekommt Risse. Zugleich erhöhen Proteste und Debatten den Druck auf die Aktivisten in der extremen Rechten. Die Gefahr ist, dass für den extremistischen Teil der rechten Bewegung nun Gewalt einen noch größeren Stellenwert in der Strategie bekommt.
Gewalt als Reaktion – das wäre aus Sicht der Demonstrierenden sicher nicht das erwünschte Ziel.
Bestimmt nicht, aber die Bedrohung der freiheitlich demokratischen Grundordnung steht in diesem Fall im Vordergrund und ist eine deutlich längerfristige Bedrohung als die der rechtsextremen Gewalt in Reaktion auf die Proteste. Ein großer Teil des rechtsextremen Netzwerks diffamiert die Proteste, in den sozialen Netzwerken teilen sie Falschmeldungen, die alternativen Medien bespielen das Narrativ der Verschwörung von Linken, Staat und Regierung. Rechte Aktivisten streiten ab und manipulieren, zugleich sehen sie ja, dass Hunderttausende sich ihnen in den Weg stellen. Da greift bei extrem rechten Akteuren eine kognitive Dissonanz. Das ist eine entkoppelte Welt. Und wir erleben schon jetzt, dass in diesen Netzwerken auch Gewalt geschürt wird.
Was hilft im Kampf gegen Rechtsextremismus?
Die extreme Rechte will die Debattenkultur in Deutschland und anderen Staaten verändern. Sie führt Wörter wie „Remigration“ ein, will den Diskurs zugunsten ihrer politischen Begriffe und Ideologie verschieben. Das ist das Fundament, um dann auch bei Wahlen an Macht zu gewinnen. Es wird für das demokratische Spektrum wichtig sein, diesem Kulturwandel damit zu begegnen, sich nicht von rechten Ideologien treiben zu lassen, und die Hoheit über die Themen und die Begriffe nicht abzugeben.
Lesen Sie auch: Hat es bei Hitler auch so angefangen, Frau Faeser? Interview mit der Bundesinnenministerin