Cottbus. Die Stadt im Osten von Brandenburg gilt als Zentrum der Rechten. Was Menschen erleben, die dort gegen Extremisten auf die Straße gehen.
Die, die dabei gewesen sind, die Banner ausgerollt und Regenbogenschirme aufgespannt haben, die „Wehrt euch, leistet Widerstand, gegen den Faschismus hier im Land!“ gesungen haben, – sie sagen, die Stimmung sei anders als sonst gewesen, viele hätten Tränen in den Augen gehabt. Weil sie mehr waren als erwartet, in dieser schwierigen Stadt.
Als sich Menschen am vergangenen Wochenende im ganzen Land versammelten, um gegen Rechtsextremismus auf die Straße zu gehen, versammelten sich in Cottbus 3500 Demonstranten vor der Stadthalle. Gemessen an der Zahl der Einwohner der Stadt war der Protest an diesem Sonntag (21. Januar) größer als jener in Berlin, wo die Polizei 100.000 Teilnehmer zählte.
Verfassungsschutz: Rechtsextreme wollen Cottbus zum Zentrum ihres Netzwerks machen
Das ist aus zwei Gründen bemerkenswert. Erstens, weil es in kleineren Städten mehr Mut benötigt, um sich öffentlich gegen Rechts zu positionieren. Die Wege sind kürzer, man kennt sich. Und zweitens, weil die rechtsextreme Szene in Cottbus ihre Strukturen über Jahre in die Mitte der Gesellschaft gelegt hat.
Der Verfassungsschutz Brandenburg zählt in seinem Jahresbericht etliche Organisationen auf, die in der Stadt aktiv sind. Ein Beispiel ist der rechtsextreme Verein „Zukunft Heimat“, der Cottbus laut Verfassungsschutz als bundesweiten Vernetzungs- und Verschmelzungsort für rechtsextremistische Strukturen zu etablieren versucht.
Partei | Alternative für Deutschland (AfD) |
Gründung | 6. Februar 2013 |
Ideologie | Rechtspopulismus, Nationalkonservatismus, EU-Skepsis |
Vorsitzende | Tino Chrupalla und Alice Weidel (Stand: April 2023) |
Fraktionsstärke | 83 Abgeordnete im Bundestag (Stand: April 2023) |
Bekannte Mitglieder | Jörg Meuthen (ehemals), Alexander Gauland, Björn Höcke |
Die AfD stellt hier längst Stadtverordnete. Sie kam bei den vergangenen Wahlen auf über 22 Prozent und hat einen Kreisvorsitzenden, Jean-Pascal Hohm, der Kontakte zur „Identitären Bewegung“ unterhalten und an einem konspirativen Treffen von Rechtsextremen in Berlin teilgenommen haben soll.
Die Frage ist, welchen Gefahren sich Menschen in Cottbus aussetzen, die lautstark für Demokratie einstehen und sich vor allen Augen gegen Rechts positionieren. Die Suche nach Antworten führt zu der ehemaligen Lokalpolitikerin Barbara Domke, zu einer Museumsdirektorin, die ihre „Contenance“ auf dem Stadtmarkt verloren hat und zu einem Mann, der einen Notfallplan vorbereitet hat, falls die AfD an die Macht kommt.
Die Lokalpolitikerin: Drohanrufe, zerbrochene Scheiben, zerstochene Reifen
Barbara Domke (44) sitzt auf einem Stuhl, in einem Saal des Landesmuseums für moderne Kunst in Cottbus. Den Ort hat sie ausgewählt, um ungestört sprechen zu können. Sie sagt, sie habe schon mit einem Journalisten in einem Café gesessen, als Menschen am Nebentisch angefangen hätten, sie zu beleidigen.
Mitstreiterinnen bezeichnen sie als „Wellenbrecherin“. Domke hat die Demonstration gegen Rechts am Sonntag angemeldet, setzt sich seit Jahren gegen Rechtsextremismus ein. Sie veröffentlicht Strukturen, beobachtet die rechte Szene in der Region, positioniert sich dabei sichtbar auf der Plattform X. Dabei gerät sie immer wieder in das Visier von Rechten in der Stadt.
Domke spricht von einer Nacht an einem Sonntag imAugust 2020. Ihr Telefon klingelt gegen 23 Uhr. Sie nimmt ab. „An eurem Auto hat es geknallt, dann ist jemand weggerannt“, sagt eine Nachbarin. Domke eilt die Stockwerke hinab auf die Straße. Ihren VW Caddy findet sie mit zerbrochenen Scheiben und zerstochenen Reifen vor. Einige Tage später sitzt sie auf ihrem Balkon, raucht eine Zigarette und schaut auf ihr Smartphone. 1000 Euro wurden von einem Unbekannten von ihrem Bankkonto abgebucht. Verwendungszweck: Spende CFC T. Haller. Sie deutet als einer Art von „Bekennerschreiben“. Thomas Haller gilt als Mitbegründer einer rechtsextremen Hooligan-Gruppe in Chemnitz, er verstarb 2019.
Die Anfeindungen gegen Domke lassen seither nicht nach. Im vergangenen Jahr tritt sie nach einer rechten Hasskampagne als Stadtverordnete der Grünen zurück. Ihren bisher letzten Drohanruf erhält sie am 10. Januar. „Dich werden wir kriegen ...“ Nach sechs Sekunden legt der Anrufer wieder auf.
Domke sagt, die Zeiten von glatzköpfigen Baseball-Schlägern seien vorbei. Doch was Domke erlebt, ist nicht minder schlimm. Weshalb sollte man sich das antun? „Mich greifen sie vielleicht körperlich nicht an, weil ich zu viel Öffentlichkeit habe“, sagt Domke. Und normalerweise sei es für Demonstranten gegen Rechts auch nicht gefährlich, in Cottbus auf die Straße zu gehen. Doch Domke spricht auch von einer „unsicheren Variablen“, die immer mitspiele. Bei der Pressearbeit für Kundgebungen etwa überlege sie sich genau, ob Klarnamen genannt werden sollten, um im Zweifel Mitstreiter vor ähnlichen Anfeindungen zu schützen. Dennoch ist sie überzeugt: „Angst haben muss man nicht, wir sind mehr.“
Die Museumsdirektorin: Große Wut auf „Faschos“ und „Radikalinskis“
Ulrike Kremeier ist Direktorin des Brandenburgischen Landesmuseums für Moderne Kunst in Cottbus. Am Sonntag stand sie auf der Bühne der Kundgebung. Wehret den Anfängen – das sei vorbei, es sei schon zehn nach zwölf, sagte sie.
Spricht man mit ihr zwei Tage später, dann spürt man ihre Wut auf „Faschos“ und „Radikalinskis“. Man kann sich dabei leicht vorstellen, wie die 57-Jährige über den Marktplatz in Cottbus lief und ihre „Contenance“ verlor, als ein stadtbekannter „Nazi“ übelste Parolen ins Mikrophon brüllte. Kremeier brüllte zurück.
Im Gegensatz zu Domke steht Kremeier aber nicht im Fokus der Öffentlichkeit. Auch weil sie sich „subtiler“ gegen Rechtsextreme positioniere, sagt sie. Ein Blick in den Sammlungsbestand des Museums sei ausreichend, um „wunderbarerweise“ zu wissen, welche politischen Haltungen sich dahinter verbergen würden: Kremeier setzt in der Sammlung auf Kunst von Widerstandskämpfern im Nationalsozialismus, von Frauen und Männern, die ihre Erfahrungen mit dem Faschismus in ihren Werken verarbeitet hätten. „Wir greifen immer wieder in den Sammlungsbestand, um zu zeigen: So hat das in der Kunst in den 1930er Jahren funktioniert.“ Auf diese Weise könne man über Kunst Aufklärung betreiben – gerade auch mit Schülergruppen.
Kremeier zeigt sich angesichts der hohen Wählerzustimmungen für die AfD in Brandenburg besorgt. Vor einer Woche gaben fast 30 Prozent an, die AfD wählen zu wollen. Sollte es so kommen, befürchtet sie, dass Gelder für die Kunst, aber auch für andere Projekte gestrichen werden könnten. Sie sagt, Ähnliches sei schon geschehen, seit die AfD fast ein Dutzend Stadtverordnete in Cottbus stellt, etwa bei der Kürzung der Gelder für die AIDS-Hilfe in der Region.
Der queere Aktivist: „Wir gehen dann in den Untergrund“
Christian Müller (45) nimmt Platz auf der Couch im Regenbogenkombinat Cottbus, dem Sitz des örtlichen Vereins des Christopher-Street-Days (CSD). Er hat vor 15 Jahren den ersten CSD in Cottbus organisiert, setzt sich seither für Sichtbarkeit von queeren Menschen in der Region ein. Wenn rechte Kräfte an die Macht kämen, so seine Befürchtung, könnten seinem Verein Gelder, Räumlichkeiten und Unterstützung gestrichen werden.
Müller verweist auf andere Länder, in denen rechte Parteien die queere Szene bekämpft hätten. Auch sie in Cottbus hätten schon Workshops und Gespräche für „Worst-Case-Szenarien“ gehabt. „Wir gehen dann in den Untergrund“, sagt er. „Um uns dort weiter zu vernetzen. Wir werden nicht aufgeben.“
An diesem Dienstag - zwei Tage nach der großen Demonstration - hängt ein Banner an der Stadthalle in Cottbus. In weißen Lettern steht auf buntem Hintergrund: „Cottbus ist bunt“. Manchmal wird es abgerissen - aber die Menschen in der Stadt hängen es immer wieder auf.