Berlin. Scholz hält eine Rede, auf die seine Partei gewartet hat. Die SPD stärkt ihm dafür den Rücken, denn Scholz hat weiterhin ein Problem.
Die SPD hat einen Entschluss gefasst: Den lassen wir uns nicht kaputttreten. Auf dem Berliner Parteitag scharen sich die Delegierten um ihren durch die Haushaltskrise schwer angeschlagenen Bundeskanzler Olaf Scholz. Und der dankte es den Genossen am Samstag mit einer Rede, die minutenlangen Applaus bekommt. Ein Problem hat Scholz jedoch: Der Konflikt in der Koalition um das Milliardenloch in Haushalt ist noch immer nicht gelöst.
Schon zu Beginn des Parteitags am Freitag hatten die Sozialdemokraten Scholz demonstrativ mit langem Applaus begrüßt. Im Vorfeld war darüber spekuliert worden, ob den Kanzler ein Scherbengericht erwartet. Die Zustimmung zur SPD ist dramatisch gesunken, die persönlichen Umfragewerte des Kanzlers sind katastrophal. In der Haushaltskrise machte Scholz bisher keine gute Figur, die Opposition wittert seine Schwäche und fordert ihn zur Vertrauensfrage auf.
Haushaltskrise: Olaf Scholz ist angezählt
Den Genossinnen und Genossen ist klar, dass ihr Kanzler angezählt ist, dass die Haushaltskrise ihn und die Ampel-Koalition in höchste Gefahr gestürzt haben. Die mit einer absoluten Mehrheit im Saarland regierende und in der SPD höchst respektierte Anke Rehlinger führt Scholz am Samstag ein und gibt den rund 600 Delegierten im Saal ein Signal, was sie nun von ihnen erwartet: „Wir wünschen dir allen Erfolg der Welt und wollen dir Rückenwind von diesem Parteitag geben.“
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Die Delegierten haben verstanden. Olaf Scholz betritt um kurz nach 10 Uhr die Bühne. „Liebe…“, sagt Scholz, dann wird er von Applaus unterbrochen. Er setzt erneut an: „Liebe Genossinnen und Genossen…“. Wieder hält Scholz inne und lässt den anhaltenden Applaus auf sich wirken. Er nimmt einen dritten Anlauf: „Liebe Genossinnen und Genossen, ich danke euch für dieses Zeichen von Solidarität und Unterstützung.“
Parteitagsrede gehört zu den wichtigsten Momenten seiner Amtszeit
Diese Rede gehört zu den wichtigsten Momenten seiner Amtszeit. Die bisherigen Auftritte von Olaf Scholz seit dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts waren schwach: Der Kanzler erklärte nicht, fand keine Worte des Bedauerns für diese selbstverschuldete Krise, wirkte blass und leblos. Mehr als drei Wochen sind seit dem Urteil vergangen, ohne dass er eine Lösung präsentieren konnte. Scholz weiß, dass er nun liefern muss.
Parteitagsreden liegen ihm nicht. Die SPD fremdelte in der Vergangenheit immer wieder mit dem nüchternen, oft steifen Scholz. Eine für diesen Samstag bereits ausformulierte Rede hat Scholz kurzfristig verworfen. Ans Pult tritt er mit Karten, auf denen nur die wichtigsten Punkte stehen. Am Morgen vor dem Auftritt war Scholz höchst konzentriert, in sich gekehrt, heißt es in seinem Umfeld. Nun spricht er weitgehend frei, ohne Krawatte.
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Christian Lindner bringt die SPD zum Schäumen
Scholz tut die Rückendeckung der SPD erkennbar gut. Er lobt die Geschlossenheit der Partei, blickt auf seine bisherige Amtszeit zurück und zählt die Krisen auf, mit denen er zu kämpfen hatte: von der Corona-Pandemie über Russlands Überfall auf die Ukraine, der Energiepreiskrise, den knapp eine Million nach Deutschland gekommenen ukrainischen Flüchtlingen bis hin zum Krieg im Nahen Osten. Schließlich kommt Scholz zur Haushaltskrise.
Das Bundesverfassungsgerichtsurteil stelle die Ampel-Regierung vor „eine sehr schwere Aufgabe“, besonders, wenn „man das nicht nur so machen kann, wie man das selber richtig findet, sondern sich auch noch mit anderen einigen muss“, spricht Scholz die schwierigen Verhandlungen mit Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) an. Die SPD würde am liebsten die Schuldenbremse für 2024 aussetzen – doch das lehnt Lindner ab, der im Gegenzug Sozialkürzungen vorschlägt. Beides lässt die Sozialdemokraten schäumen.
Olaf Scholz verspricht: Es wird keinen Abbau des Sozialstaats geben
Scholz betont unter dem Applaus der Delegierten: „Es wird in einer solchen Situation keinen Abbau des Sozialstaats in Deutschland geben.“ Die von FDP und Union geforderte Kürzung des Bürgergelds lehnt er ebenfalls ab. Details zu den Verhandlungen mit Lindner und Habeck nennt Scholz nicht, auffallend deutlich betont er jedoch die Notwendigkeit, in den Klimaschutz zu investieren und die Ukraine auch „im nächsten und im übernächsten Jahr“ im Kampf gegen Russland zu unterstützen.
„Deswegen müssen wir, wenn es erforderlich wird und andere schwächeln, auch unseren Beitrag möglicherweise noch größer leisten können“, sagt Scholz. Die Bundesregierung befürchtet, dass die USA ihre Hilfe für die Ukraine einstellen, sollte Donald Trump 2024 als US-Präsident wiedergewählt werden. Mit der Ukraine-Hilfe und den anhaltenden Folgen des Krieges könnten Ausnahmen von den durch das Verfassungsgerichtsurteil geschärften Schuldenregeln begründet werden.
Scholz, Lindner und Habeck beraten am Sonntag über Haushaltskrise
Nach gut 50 Minuten ist Scholz fertig, in seiner Rede war er emotional und energisch. Endlich, scheinen die Genossen zu denken, fast fünf Minuten applaudieren die Delegierten. In der folgenden Debatte gibt es nur vereinzelt Kritik. Juso-Chef Philipp Türmer fordert von Scholz, auf Angriff zu spielen: „Du bist der Chef der Regierung, nicht der Paartherapeut von Robert und Christian.“ Türmer fügt hinzu: „Olaf, du hast mal gesagt, wer Führung bestellt, soll sie bekommen. Hiermit bestelle ich sie, und wir warten dringend auf Lieferung.“
Im Hintergrund des Parteitags liefen die Haushaltsverhandlungen weiter. An diesem Sonntagnachmittag will Scholz sich erneut mit Habeck und Lindner treffen, um das zweistellige Milliardenloch im Haushalt 2024 zu stopfen. Die Hoffnung im Kanzleramt ist, dass Scholz über eine Lösung sprechen kann, wenn er seine nächste wichtige Rede hält: Am Mittwoch ist eine Regierungserklärung im Bundestag angesetzt.