Berlin. Saskia Esken und Lars Klingbeil sind ein ungleiches Paar. Beim SPD-Parteitag werden sie trotz der aktuellen Verwerfungen wiedergewählt.
Gegen Ende ihrer Rede stößt Saskia Esken auf unerwartete Schwierigkeiten. Die SPD-Vorsitzende hat einen Frosch im Hals, sie fängt an zu krächzen und muss einen Schluck Wasser nehmen. „Ich hoffe, es geht bis zum Schluss“, sagt Esken. Mit rauer Stimme spricht sie die letzten Sätze in die Parteitagshalle und bekommt freundlichen Applaus der rund 600 Delegierten. Ihr Mitvorsitzender Lars Klingbeil kommt Esken entgegen, die beiden stoßen die Fäuste aneinander, dann umarmen sie sich.
Das ungleiche Duo an der Spitze stellt sich auf dem Parteitag in Berlin zur Wiederwahl. Das Treffen wird überschattet von der Haushaltskrise der Scholz-Regierung, von den dramatisch schlechten Umfragewerten der SPD. Die 62-jährige Baden-Württembergerin Esken führt die Partei seit 2019, der 17 Jahre jüngere Niedersachse Klingbeil ist seit 2021 als Vorsitzender an ihrer Seite. In den vergangenen zwei Jahren haben sie die SPD mit großer Ruhe gesteuert, die Dauerstreits der Vergangenheit waren vorbei.
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Esken und Klingbeil: Einen Machtkampf gibt es in der SPD nicht
Das hatte auch damit zu tun, dass Esken und Klingbeil sich vertrauen. Sie wisse Lars an ihrer Seite, sagt Esken in ihrer Rede. „Wir arbeiten eng zusammen und geben uns gegenseitig Zuversicht.“ Klingbeil gibt das Lob in seiner Ansprache zurück: Er sei Saskia dankbar für die enge Zusammenarbeit in den letzten beiden Jahren. Einen Machtkampf gibt es zwischen den beiden nicht.
Esken und Klingbeil haben miterlebt, wie die früheren Grabenkämpfe die SPD an den Abgrund führten. Manchen sind die beiden zu brav. Die aktuelle Krise wird aber in erster Linie auf die Ampel-Regierung zurückgeführt, nicht auf die Vorsitzenden.
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Einen Machtkampf gibt es aber auch nicht, weil die beiden nicht in Konkurrenz zueinanderstehen. Esken teilt in ihrer Rede heftig gegen CDU-Chef Friedrich Merz aus. „Für den billigen Erfolg einer Schlagzeile nimmt er in Kauf, das Land zu spalten“, schimpft Esken. „CDU und CSU hetzen im Chor mit der AfD gegen die Ampel. Mit dieser Merz-CDU haben wir wahrhaftig die populistischste Opposition aller Zeiten.“ Starke Worte, der Applaus für Esken bleibt trotzdem verhalten. Ihre Rede ist routiniert, der trockene Hals verhindert einen Schlussspurt.
Klingbeil und Esken gegen Merz, AfD, Schuldenbremse
Anders bei Klingbeil. Er schneidet zwar keine anderen Themen an als Esken: Auch er meckert über Merz („Friedrich von gestern wird niemals die Zukunft“), auch er wirbt für eine Reform der Schuldenbremse („Ein Wohlstandsrisiko für unser Land“), auch er beschwört den Kampf der SPD gegen rechts („Wir sind das Bollwerk gegen die AfD“). Mehrfach wird Klingbeil von Applaus unterbrochen, am Ende stehen Delegierte auf und klatschen.
Klingbeil hat sich bei verschiedenen Gelegenheiten bewusst dafür entschieden, den Parteivorsitz nicht mit einem Regierungsamt zu kombinieren. Doch das muss nicht für immer gelten, auch wenn die derzeitigen Umfragewerte der SPD alles andere als zum Träumen einladen. Im Vorsitzenden-Duo ist der 45-Jährige aber derjenige, dessen Karriere noch weiterführen könnte.
Klingbeil schneidet bei den Delegierten besser ab als Esken
Die Delegierte wissen, was sie an dem harmonischen Duo haben. Esken wird mit 82,6 Prozent wiedergewählt, sie schneidet damit sogar besser ab als bei ihrer ersten Wiederwahl vor zwei Jahren (76,7 Prozent). Klingbeil wird mit 85,6 Prozent als Vorsitzender bestätigt. Er liegt damit trotz starker Rede knapp unter seinem Ergebnis von 2021, als er 86,3 Prozent der Stimmen erhielt. Später beschlossen die Delegierten außerdem eine Reform der Schuldenbremse: Eine starre Begrenzung der Kreditaufnahme, wie sie derzeit in Verfassungen stehe, werde abgelehnt.