Berlin. Zur Halbzeit der Ampel hat die Koalition ihren innenpolitischen Tiefpunkt erreicht. Was Olaf Scholz an diesem Wochenende bevorsteht.
Es sind Bilder aus einer anderen Zeit: Stolz winkend steht Olaf Scholz im Bundestag, von den vollbesetzten Reihen des Plenarsaals wird ihm applaudiert. Sein Lebenstraum wird in diesen Minuten wahr. Die führenden SPD-Abgeordneten stehen um Scholz herum und klatschen, alle tragen eine Corona-Schutzmaske. Auf der Besuchertribüne des Bundestags sitzen nicht nur die Eltern von Olaf Scholz, sondern auch der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder mit seiner Ehefrau.
Olaf Scholz: Eigentlich wollte er ein neues Kapitel aufschlagen
Die Szenen sind genau zwei Jahre alt und stammen vom 8. Dezember 2021. Scholz ist gerade mit den Stimmen der frisch geschlossenen Ampel-Koalition zum Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt worden. Die Corona-Pandemie hat das Land fest im Griff. Russlands Überfall auf die Ukraine mit all seinen Folgen auch für Deutschland steht noch bevor, Gerhard Schröder ist wegen seiner Freundschaft zu Wladimir Putin noch nicht zum Paria in der SPD geworden.
Olaf Scholz will ein neues Kapitel aufschlagen: in seiner politischen Karriere – und vor allem für das Land. Eine Ära des Fortschritts soll in Deutschland anbrechen, ein sozialdemokratisches Jahrzehnt unter seiner Führung. „Viel Glück für Ihre Aufgabe“, gibt Parlamentspräsidentin Bärbel Bas ihm mit auf den Weg, nachdem Scholz den Amtseid abgelegt hat.
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Haushaltssperre: Jetzt ist die Regierung endgültig in der Krise
Zwei Jahre später erleben Scholz und seine Regierung ihre dunkelsten Tage seit Amtsantritt. „Das ist gerade die größte innenpolitische Krise, die diese Ampel zu bewältigen hat“, räumt SPD-Chef Lars Klingbeil ein. Gut drei Wochen ist es inzwischen her, dass das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil zur Haushaltspolitik nicht nur die Geschäftsgrundlage der ungleichen Partner in der Ampel-Koalition zunichtegemacht hat. Hin ist auch das Image von Scholz als oberstem Regierungsfachmann des Landes, der immer noch einen Plan B in der Aktentasche hat.
Die von den Karlsruher Richtern als verfassungswidrig erklärte Strategie, Milliardenausgaben aus Nebentöpfen zum regulären Haushalten zu bestreiten, geht auf den früheren Finanzminister zurück. Das Urteil haben den Kanzler und seine Regierung kalt erwischt. Krisensitzung nach Krisensitzung brachte bisher keine Lösung dafür, wie die Regierung ein nun klaffendes zweistelliges Milliardenloch im Haushalt 2024 stopfen kann. Als „peinlich“ bezeichnet jemand in der SPD diese Hängepartie.
SPD: Partei sucht den richtigen Kurs – auch beim kommenden Parteitag
Und jetzt steht auch noch ein dreitägiger SPD-Parteitag an, ab diesem Freitag kommen in Berlin 600 Delegierte zusammen. Geplant war das Treffen von der Parteispitze einmal als sozialdemokratisches Lagerfeuer nach zwei durchwachsenen Jahren in der Ampel-Regierung. Nach zwei Jahren voller Krisen, in denen sozialdemokratische Erfolge von einer Erhöhung des Mindestlohns bis zur Einführung des Bürgergelds oft untergingen angesichts der vielen schlechten Nachrichten wie den hohen Energiepreisen oder dem Koalitionschaos um das Heizungsgesetz.
SPD-Politik pur von Mindestlohn bis Reichenbesteuerung sollten von den Delegierten diskutiert werden, ohne dass Finanzminister Christian Lindner dabei nervte, ohne dass Grüne und FDP mit ihrem ständigen Streit störten. Zur Mitte der Legislaturperiode sollte der Parteitag Kraft und Zuversicht sowie inhaltliche Orientierung auf dem Weg zur nächsten Bundestagswahl bringen. Nach all den Kompromissen in der Koalition sehnt sich die SPD nach einem klaren sozialdemokratischen Profil.
Scholz‘ Rede am Samstag soll ein Höhepunkt sein
Nach der Wiederwahl der Parteispitze am Freitag sollte der Auftritt von Olaf Scholz der Höhepunkt des zweiten Tages sein: Der Kanzler in der Rolle des Mäuserichs Frederick einnehmen, der mit seiner Rede am Samstagvormittag die anderen Mäuse in kalten Wintertagen zum Träumen bringt und sie mit seinen Visionen von besseren Zeiten wärmt. Doch das Leben ist kein Kinderbuch – und die Bundespolitik schon gar nicht.
Aller Voraussicht nach wird die ungelöste Haushaltskrise den Parteitag überschatten. Im Willy-Brandt-Haus war in den vergangenen Tagen gehofft worden, dass sich Scholz, Lindner und Vizekanzler Robert Habeck rechtzeitig vor dem Eintreffen der Delegierten einigen, wie und wo gespart werden soll. Dass sie ganz im Sinne der SPD vereinbaren, auch im kommenden Jahr die Schuldenbremse noch einmal auszusetzen. Inzwischen ist immer häufiger nur noch die Rede davon, dass es eine politische Einigung „in diesem Jahr“ geben solle. Mit einem Bundestagsbeschluss des Haushalts 2024 vor dem Jahreswechsel rechnet die SPD nicht mehr.
Haushaltssperre: SPD-Mitglieder haben Angst vor schlampiger Lösung
Die anhaltende Unsicherheit wird als große Belastung empfunden. Es brauche zügig Klarheit, wie der Bund den Haushalt 2024 gestalten wolle, mahnte Mecklenburg-Vorpommerns SPD-Regierungschefin und Bundesratspräsidentin Manuela Schwesig am Donnerstag. „Darauf warten die Bürgerinnen und Bürger vor Ort, darauf wartet vor allem die Wirtschaft.“ Von anderer Seite in der SPD heißt es, die Regierung solle sich lieber die Ruhe nehmen, das Problem richtig zu lösen. Denn am schlimmsten sei eine schlampige Lösung, die später wieder überarbeitet werden müsse.
Die Haushaltskrise dürfte nun die Parteitagsregie durcheinanderbringen. Anstatt vor allem über eigene Ideen und Vorhaben zu sprechen, wird in den Debatten die FDP-Forderung nach Sozialkürzungen voraussichtlich großen Raum einnehmen. Zur miesen Laune tragen auch die Umfragen bei: Die persönlichen Werte des Kanzlers sind schlecht, die der SPD und der Ampel insgesamt ebenso.
Olaf Scholz wurde in der SPD nie geliebt
Scholz wurde noch nie geliebt in der Partei, sein Wahlsieg ließ dies nur in den Hintergrund treten. Inzwischen wird das als verstockt kritisierte öffentliche Auftreten des Kanzlers in der SPD diskutiert. Die Parteilinke ist entsetzt über eine von Scholz vorangetriebene Kursverschärfung in der Flüchtlingspolitik. Aus dem Kreis der SPD-regierten Länder sind keinesfalls nur Lobeshymnen auf die Regierung und ihren Chef zu hören.
Der Wahlsieg von Scholz hatte die chronisch zerstrittene SPD geeint. Zwei Jahre später nimmt die Unruhe jedoch zu, auch wenn die Sozialdemokraten weit von den selbstzerstörerischen Grabenkämpfen früherer Zeiten entfernt sind. Auf dem Parteitag wird sich Scholz deutliche Kritik anhören müssen.
Jusos machen Druck auf den Kanzler
„Olaf Scholz muss auf den Parteitag eine starke Rede mitbringen“, fordert der neue Juso-VorsitzendePhilipp Türmer. Der Kanzler müsse zeigen, dass er die Signale aus der Partei gehört habe. „Wir brauchen einen Aufbruch: Er muss nicht mehr nur der Moderator der Ampel sein, sondern ein Kämpfer für sozialdemokratische Politik.“ In der aktuellen Haushaltslage heißt das für den Juso-Chef: „Wir brauchen endlich eine Lösung.“ Es dürfe keine Sozialkürzungen geben, Investitionen in die Klimatransformation müssten erhalten bleiben.
Die Jungsozialisten wollen auf dem Parteitag die Abschaffung der Schuldenbremse durchsetzen. Eine heftige Debatte wird auch über den Kurs der Regierung in der Einwanderungspolitik erwartet. Setzen sich die Kanzler-Kritiker durch, könnten die Parteitagsbeschlüsse Scholz‘ Handlungsspielraum in der Regierung weiter einschränken.
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