Berlin. Der Militärexperte erläutert, warum die islamistische Terrororganisation vom Ende der Feuerpause im Gazastreifen profitiert.
Nach sieben Tagen ist die Feuerpause im Gazastreifen vorbei, Israels Armee geht wieder gegen die Hamas vor. Der Politologe Carlo Masala hält das aus Sicht beider Seiten für zwingend. Der Professor der Bundeswehr-Universität München erläutert auch, warum die USA zunehmend ungeduldig werden.
Professor Masala, Israels Armee hat die Kämpfe im Gazastreifen wieder aufgenommen. Wie schlagkräftig ist die Hamas noch?
Carlo Masala: Das ist schwer einzuschätzen. Wir haben seit Beginn der Militäroperation nicht viel Widerstand vonseiten der Hamas gesehen. Und wir wissen nicht genau warum. Entweder waren sie schlecht vorbereitet – oder der Widerstand ist zusammengebrochen. Oder sie sparen ihre Kräfte für bevorstehende Aktionen auf. Die Israelis hatten schon vor der Feuerpause gesagt, der Widerstand der Hamas im Norden des Gazastreifens kollabiere. Ob das stimmt, lässt sich von außen nicht beurteilen.
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Die Hamas soll Israel in der Nacht wieder mit Raketen beschossen haben. Will die Organisation eine Fortsetzung der Kämpfe?
Aus der Hamas-Logik muss es zwingend eine Fortsetzung der Kämpfe geben. Wenn es jetzt eine längerfristige Feuerpause gäbe, würde der Druck auf Israel steigen, die Militäroperation gänzlich einzustellen und in eine Phase der Diplomatie überzugehen. Dort wäre die Hamas aber sehr wahrscheinlich kein Akteur. Eine Wiederaufnahme der Kämpfe bedeutet aus Hamas-Sicht, im Spiel zu bleiben.
In den vergangenen Tagen war aus US-Quellen zu lesen, dass Verhandlungen mit Israel und Regionalmächten geführt würden mit dem Ziel, über eine lange Feuerpause hin zu einem dauerhaften Waffenstillstand zu kommen. Ist dieser Ansatz jetzt gescheitert?
Das lässt sich noch nicht abschließend sagen. Klar ist aber, dass sich zwei widerstreitende Interessen gegenüberstehen: Auf der eine Seite hat die israelische Regierung ein ganz klares Ziel herausgegeben. Sie will die Hamas zerstören. Wenn der Krieg jetzt eingestellt würde, könnte Israel dieses Ziel nicht erreichen und die Hamas dies als Sieg für sich deklarieren. Das gegenläufige Interesse der USA – und vermutlich auch der Europäer – besteht darin zu verhindern, dass sich die Kämpfe vom Norden Gazas in den Süden ausweiten und sich die Zahl ziviler Opfer noch einmal dramatisch erhöht.
US-Außenminister Antony Blinken hat gerade die israelische Regierung öffentlich aufgefordert, die Zivilisten im Gazastreifen besser zu schützen. Verliert Washington die Geduld?
Den USA wäre es vermutlich lieber gewesen, wenn die Israelis ihre Militäroperation im Gazastreifen gar nicht erst gestartet hätten. Da sich das nicht verhindern ließ, drangen die Amerikaner auf eine bessere Vorbereitung. Deshalb hat es auch so lange gedauert, bis die Israelis in Gaza eingerückt sind. Angesichts des internationalen Drucks und der fürchterlichen Bilder, die täglich produziert werden, wäre es Washington vermutlich am liebsten, wenn die Kämpfe morgen aufhörten.
Hat die US-Regierung auch die Sorge, dass die Stimmung im eigenen Land und der Demokratischen Partei gegen Israel kippen könnte?
Das ist ein Faktor, aber den würde ich derzeit nicht zu hoch hängen. Präsident Joe Biden erfährt aber, dass es angesichts des Kriegs in Nahost für ihn schwieriger wird, weitere Unterstützung für die Ukraine zu organisieren. Und zwar nicht nur im US-Kongress, sondern auch bei den Staaten des Globalen Südens. Ihm droht also ein Rückschlag weltpolitischer Art.