Berlin. In einem Telefonat soll der Papst Israel ermahnt haben, auf Terror nicht mit Terror zu reagieren. In Jerusalem schweigt man betreten.
Der kleinste Staat der Welt irritiert Israel: der Vatikan. Als Papst Franziskus neulich bei Präsident Isaak Herzog anrief, verlor man in Jerusalem hinterher kein Wort darüber. Das ganze Gespräch gilt als geheim. Jetzt wird klarer, warum.
Laut „Washington Post“ merkte Franziskus in dem Gespräch an, es sei verboten, „auf Terror mit Terror zu reagieren“. Der Bericht ist schon ein kleiner Scoop. Als Quelle wird ein „hochrangiger israelischer Beamte“ genannt. Ein Dementi blieb aus.
Papst Franziskus und Israel: Mitgefühl ja, aber – für beide Seiten
Es wäre nicht das erste Mal, dass der Pontifex in Israel Verwunderung auslöst. Das galt schon für den Amtsvorgänger von Franziskus, für Benedikt XVI., den deutschen Papst. Das Muster ist immer gleich: Der Kirchenführer kritisiert nicht nur Anschläge gegen Israel, sondern nicht selten auch die jeweilige Vergeltung. Der Papst bringt Mitgefühl für die Opfer auf – auf beiden Seiten.
Der Heilige Stuhl hat jahrzehntelang Israel nicht anerkannt. Erst am 30. Dezember 1993 schlossen beide Staaten einen Vertrag zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen. Als Ende 2017 der damalige US-Präsident Donald Trump Jerusalem als Israels Hauptstadt anerkannte, schloss sich der Vatikan der weltweiten Kritik an. Spannungsfrei war das Verhältnis nie.
Papst Franziskus: Kein Anschluss unter dieser Nummer?
Nach dem furchtbaren Massaker der Hamas an Zivilisten am 7. Oktober wunderte sich ein katholisches Portal in Deutschland: „Kennt der Papst nicht die Telefonnummer von Israels Präsidenten?“
Verwundert nahm man zur Kenntnis, zu wem sich Franziskus durchstellen ließ: Irans Staatschef Ebrahim Raisi, zum türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und Palästinenserpräsident Mahmud Abbas.
Inzwischen hat der Vatikan den Anruf bei Herzog bestätigt, aber nicht mehr. Ein Sprecher im Büro des israelischen Präsidenten bemerkte seinerseits nur, „wir sind nicht geneigt, uns auf private Gespräche zu beziehen“.
Papst Franziskus erweckt fatalen Verdacht
Laut „Washington Post“ beschrieb Herzog das Leid der israelischen Opfer. Woraufhin der Papst erklärt haben soll, die Verantwortlichen sollten zur Rechenschaft gezogen werden, nicht aber die Zivilisten. Herzog wiederholte den Standpunkt, dass die israelische Regierung in Gaza alles Nötige tue, um ihr eigenes Volk zu verteidigen.
Viele Israelis haben den Verdacht, dass der Heilige Vater ihren Feldzug in Gaza auch als Terrorakt empfinden könnte. „Wie könnte es sonst interpretiert werden?“, sagte der hochrangige Beamte der US-Zeitung.
Für den Papst ist klar, dass durch Krieg nichts gelöst wird. „Nichts“, bekräftigte er in einem Interview mit dem italienischen Sender Rai. „Alles wird mit Frieden, mit Dialog gewonnen.“ Der 86-Jährige warb für eine Zwei-Staaten-Lösung.
- Gerichtsurteil: Paukenschlag in Israel – Ultraorthodoxe müssen zur Armee
- Verletzter Verdächtiger: Palästinenser auf Motorhaube gebunden – Empörung über Israels Militär
- Regierung unter Druck? Massenproteste in Israel – größte Demo seit Monaten
- Islamisten: Stärkste Angriffe seit Kriegsbeginn – Hisbollah beschießt Israel
- Nach Rettung: Geisel Noa Argamani befreit – Das war ihr erster Wunsch
Schon Ende Oktober hatte Franziskus einen Anlass für Irritationen gegeben. Nach einem Treffen mit Angehörigen der Opfer der Hamas, aber auch mit Palästinensern, sagte er bei einer Ansprache auf dem Petersplatz: „Das ist, was Kriege tun. Aber hier sind wir über einen einfachen Krieg hinausgegangen. Das ist kein Krieg. Das ist Terrorismus.“ Es blieb offen, ob Franziskus eine oder beide Kriegsparteien meinte.
Palästinenser gingen noch weiter. Nach dem Treffen mit dem Pontifex beteuerten sie: „Als wir die Geschichten der Familien erzählten, die (im belagerten Gazastreifen) getötet wurden, sagte er: ‚Ich sehe Genozid‘“, so Shireen Hilal bei einer Pressekonferenz.
Terror der Hamas: Gräueltaten auf einer Stufe mit Selbstverteidigung?
Die in den USA ansässige jüdische Menschenrechtsorganisation Simon Wiesenthal Center schrieb auf ihrer Webseite, der Papst solle nicht vergessen, „dass all diejenigen, die gekommen sind, um zu ihm zu sprechen und bei ihm Trost zu suchen, all ihr Leid, all ihren Verlust den Hamas-Terroristen zu verdanken haben, die am 7. Oktober auf brutalste Weise den schlimmsten Massenmord an Juden seit der Niederlage Nazideutschlands und dem Zweiten Weltkrieg begangen haben.“
„Mitgefühl für Palästinenser zu zeigen, die in Gaza geliebte Menschen verloren haben, ist eine anständige Sache. Aber was der Papst anstrebte, und ich hoffe, er hat es nicht geschafft, war, dem mittelalterlichen Gemetzel (des Hamas-Angriffs) und den Taten eines demokratischen Landes eine moralische Gleichsetzung zu verleihen“, erklärte Rabbiner Abraham Cooper, Direktor für globale soziale Aktionen am Simon Wiesenthal Center.
Das American Jewish Committee verlangte nach der Rede, der Papst möge das Missverständnis aufklären. Es sei zwar gut, dass er die Familien empfangen habe, aber man könne die Gräueltaten der Hamas nicht mit der Selbstverteidigung Israels gleichsetzen.
Israel und Papst Franziskus: Wie der Vatikan mit der Debatte umgeht
Kardinal Matteo Zuppi, Präsident der Italienischen Bischofskonferenz und Vertrauter des Papstes, versuchte zu interpretieren: „Das bedeutet nicht, alle auf die gleiche Ebene zu bringen“, sagte Zuppi letzte Woche gegenüber Reportern. „Der 7. Oktober war eine Tragödie, Punkt. Es war eine Tragödie.“
Der Kardinalstaatssekretär des Vatikan, Pietro Parolin, antwortete auf Nachfrage, dass „Genozid“ ein sehr technischer Begriff sei. Dieser beziehe sich auf bestimmte Situationen. „Ich weiß nicht, ob wir in diesem Fall von Völkermord sprechen können“, sagte er laut der Nachrichtenagentur Ansa.
Papst Franziskus: Wer 1,3 Milliarden Katholiken vertritt, beeinflusst die öffentliche Meinung
Der Vatikan ist zwar nur ein Zwergstaat, ein halber Quadratkilometer mit nicht mal 1000 Einwohnern. Aber der Papst ist kein normaler Politiker, sondern eine moralische Instanz. Er vertritt 1,3 Milliarden Katholiken. Franziskus kann die öffentliche Meinung beeinflussen.
Deswegen wohl hält sich Israel zurück. Mit anderen Kritikern geht man nicht gerade zimperlich um, beispielsweise mit UN-Generalsekretär António Guterres. Zum vermeintlichen Privatgespräch mit Franziskus aber schweigt Israel.
Es ist ein betretenes, ein missbilligendes Schweigen. Es ist das Schweigen, das Distanz ausdrückt.
Lesen Sie dazu: Guterres: Wer ist der Mann, der Israels Wut auf sich zieht?
- Einfach erklärt: Israel und seine Feinde – Darum geht es im Nahost-Konflikt
- Verfeindete Staaten: Woher kommt der Hass zwischen dem Iran und Israel?
- Umstrittenes Gebiet: Gibt es Palästina? Die Geschichte der Region
- Israel gegen die Hamas: Feuerpause oder Waffenstillstand? Begriffe einfach erklärt
- IDF: Atombombe, Drohnen & Co. – So mächtig ist Israels Militär