Berlin. Der Verfassungsschutz ist alarmiert, denn vom Gaza-Krieg angestachelte Täter könnten „weiche Ziele“ angreifen – etwa in Innenstädten.
Die Terrorgefahr in Deutschland ist nach aktueller Einschätzung der deutschen Sicherheitsbehörden so hoch wie lange nicht. Ein konkreter Fall lässt die Befürchtung aufkommen, dass Islamisten Weihnachtsmärkte ins Visier nehmen. Infolge des Terrorangriffs der Hamas auf Israel und der Gegenreaktion des israelischen Militärs auf Ziele im Gazastreifen befinden sich verschiedene Extremistengruppen in Aufruhr. Angestachelt wird die Stimmung durch Hass, Propaganda und Falschnachrichten in sozialen Medien. Antiisraelischer Hass und Judenfeindlichkeit wird zudem auf deutsche Straßen getragen.
Der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, äußerte sich jetzt extrem besorgt. „Wir beobachten bereits seit längerem den erklärten Willen von Islamisten, Anschläge im Westen zu verüben, und ich habe immer wieder betont, dass jeden Tag auch in Deutschland ein islamistischer Anschlag verübt werden kann“, sagte Haldenwang. „Doch nun zeichnet sich eine neue Qualität ab.“
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Im dschihadistischen Milieu beobachten die Sicherheitsbehörden demnach Aufrufe zu Attentaten. Außerdem wollen nach Beobachtung des Verfassungsschutzes Terrorgruppen wie al-Qaida und die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) den Nahostkonflikt für ihre Zwecke nutzen. Der Verfassungsschutz spricht von einer „Sogwirkung“.
Verfassungsschutz: Aufrufe zu Attentaten im dschihadistischen Milieu
Ideologisch waren sich der IS und die vom Iran unterstützte Hamas bisher spinnefeind. Die weltweite Wirkung des Terrorangriffs der radikalislamischen palästinensischen Terrororganisation auf Israel führten nun aber zu Unterstützungsbekundungen des „Islamischen Staats“ und al-Qaida, „die zuvor kaum denkbar erschienen“, analysiert der Verfassungsschutz. Diese Entwicklung sei „lageverschärfend und in dieser Form neu“. Die Gefahr für mögliche Terroranschläge gegen Einzelpersonen, jüdische Einrichtungen sowie pauschal gegen „den Westen“ sei somit „deutlich“ angestiegen.
„Diese Gefahr trifft nun auf hoch emotionalisierte, durch Trigger-Ereignisse inspirierte Personen“, berichtete Haldenwang. „Dies kann zur Radikalisierung von allein handelnden Tätern führen, die ‚weiche Ziele‘ mit einfachen Tatmitteln angreifen.“ Als Angriffe auf „weiche Ziele“ zählen die Sicherheitsbehörden zum Beispiel Messerattacken in öffentlichen Verkehrsmitteln, Attacken auf Menschenmengen etwa mit fahrenden Autos – oder auch Anschläge auf Weihnachtsmärkte oder Sportereignisse.
Anschlag auf Weihnachtsmarkt: Verdachtsfall alarmiert Behörden
Der islamistische Attentäter Anis Amri war am 19. Dezember 2016 mit einem Lastwagen auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz gerast. Dabei hatte er zwölf Menschen getötet und rund 50 weitere teils schwer verletzt. Von der Tat fühlte sich nach Informationen dieser Redaktion jetzt ein 15-Jähriger inspiriert: In einer Telegram-Gruppe postete er ein Video, in dem er zum „Heiligen Krieg“ aufrief und einen Anschlag am 1. Dezember ankündigte. Als mögliche Ziele nannte er einen Weihnachtsmarkt, eine Synagoge oder einen Stripclub. Ebenso wie ein möglicher Komplize wurde der Terrorverdächtige am Dienstag in Gewahrsam genommen. Die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf teilte am Mittwoch mit, dass das Amtsgericht Leverkusen gegen den 15-Jährigen einen Haftbefehl wegen des einen Haftbefehl wegen des Verdachts der Planung und Vorbereitung eines terroristisch motivierten Anschlages erlassen habe.
Nach Informationen des WDR handelt es sich bei dem 15-jährigen Verdächtigen um einen Deutsch-Afghanen aus dem nordrhein-westfälischen Burscheid bei Leverkusen. Demnach soll er sich mit einem 16-jährigen Russen aus Wittstock in Brandenburg verabredet und über einen islamistischen Terroranschlag in Köln mit Brandsätzen oder einem Kleinlaster ausgetauscht haben. Die beiden Jugendlichen gelten dem Bericht zufolge als IS-Sympathisanten.
Auch dieser Fall fließt in die aktuelle Lagebewertung des Verfassungsschutzes ein. „Die Gefahr ist real und hoch wie lange nicht mehr“, warnte Verfassungsschutzpräsident Haldenwang eindringlich. Die Sicherheitsbehörden befassten sich intensiv mit allen möglichen Szenarien. „Wir arbeiten mit Hochdruck daran, um potenzielle Planungen gegen die Sicherheit von Jüdinnen und Juden, israelische Einrichtungen, aber auch Großveranstaltungen zu durchkreuzen.“
Islamismus: Koranverbrennungen in Schweden stacheln auf
Als „Trigger-Ereignis“, das radikalisierte Einzeltäter aus der dschihadistischen Szene zu Anschlägen bewegen könnte, ordnen die Sicherheitsbehörden auch Koranverbrennungen in Schweden ein, die dort bereits Ausschreitungen ausgelöst haben. Der Krieg im Nahen Osten hat die Lage nun verschärft.
Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober sprechen die deutschen Sicherheitsbehörden davon, dass dies auch Auswirkungen auf die Sicherheitslage in Deutschland habe. Seitdem beobachten die Behörden die Kommunikation im Netz und das Demonstrationsgeschehen im Land. Im Zuge pro-palästinensischer Kundgebungen war es zu Straftaten bis hin zu Angriffen auf die Polizei gekommen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sprach Anfang November ein Betätigungsverbot für die Hamas und ein Vereinsverbot für den deutschen Ableger von Samidoun aus.
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Bisher sprachen die deutschen Sicherheitsbehörden von einer „abstrakten“ Terrorgefahr, Hinweise auf konkrete Anschlagsplanungen lagen ihnen nicht vor. Die aktuelle Terrorwarnung des Verfassungsschutzpräsidenten geht in seiner Eindringlichkeit über bisherige öffentliche Äußerungen hinaus.
Haldenwang: „Bilderflut kann als Radikalisierungsfaktor fungieren“
Bilder vom Krieg in Gaza sowie Judenhass im Netz spielen für die aktuelle Gefahrenlage nach Einschätzung des Verfassungsschutzes eine wichtige Rolle. „Die digitale Bilderflut in sozialen Medien, oft gepaart mit Fake News, trägt zur Emotionalisierung bei und kann als Radikalisierungsfaktor fungieren“, warnte Haldenwang. „Verschärft wird die Situation durch ausländische staatliche Akteure, die diese Stimmungslage für sich auszunutzen oder gar zu verstärken suchen.“ Welche Staaten der Chef des Inlandsgeheimdienstes konkret meint, sagte er nicht.
Aus Sicht der Verfassungsschützer ist außerdem bemerkenswert, dass Extremisten unterschiedler Couleur in ihrem Antisemitismus und Hass gegen Israel vereint werden. Neben Islamisten und palästinensischen Extremisten treten nach Angaben der Behörde türkische Rechtsextremisten, aber auch deutsche und türkische Linksextremisten als „Scharfmacher und Mobilisierungstreiber“ auf, sie riefen zu pro-palästinensischen Kundgebungen auf und verbreiteten Hass und Propaganda im Netz. „Das gemeinsame Feindbild Israel bringt zwischen einigen dieser Akteure alte, aber auch neue Verbindungen hervor, die künftig in Einzelfällen zu einer stärkeren Zusammenarbeit führen könnten“, sagt Haldenwang.
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In verschiedenen europäischen Nachbarländern habe es in den vergangenen Wochen bereits Terroranschläge gegeben, deren Täter teils ausdrücklich Bezug auf den Nahost-Konflikt genommen hätten, warnt der Verfassungsschutz. „Mehrere EU-Partnerstaaten haben vor diesem Hintergrund bereits ihre nationale Terrorwarnstufe erhöht.“
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