Berlin. Russland lässt im Krieg verurteilte Mörder kämpfen. Jetzt bekommen nicht nur diese Kriminellen ein Gesicht, sondern auch ihre Opfer.

In den vielen Gefängnissen und Straflagern Russlands hat die Wagner-Söldnertruppe über Monate Häftlinge für den Krieg gegen die Ukraine rekrutiert. Nun bekommen diese für Putins imperiale Träume kämpfenden Kriminellen, ihre früheren Opfer und deren Angehörige ein Gesicht. Einer von ihnen ist Wladislaw Kanjus, der im Januar 2020 seine Ex-Freundin Vera Pechtelewa auf brutale Weise ermordet hat – und dieses Jahr vom russischen Präsidenten begnadigt worden ist.

Auch Sergej Chadschikurbanow kämpfte für die russische Armee in der . Offenbar zum Gefallen seiner Vorgesetzten. Denn Chadschikurbanow hat sogar einen Tapferkeitsorden erhalten.

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Doch der ehemalige Polizist ist nicht irgendeiner der Hunderttausenden Soldaten, die Russland in seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine einsetzt. Sein Name ist fest verbunden mit dem 7. Oktober 2006. Dies war nicht nur der 54. Geburtstag des russischen Präsidenten Wladimir Putin, sondern auch ein Tag, an dem die ganze Welt sah, wie gefährlich Kritiker in Putins Russland leben. An dem Tag starb die international bekannte Journalistin Anna Politkowskaja gegen 16 Uhr im Aufzug ihres Wohnhauses durch vier Schüsse in die Brust und einen in den Kopf.

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Es war ein Mord, der nicht nur in Russland für Aufsehen sorgte. So startete die Organisation Reporter ohne Grenzen eine Unterschriftensammlung, die eine internationale Untersuchungskommission forderte. Die oppositionelle „Nowaja Gaseta“, für die Politkowskaja unter anderem über den Tschetschenien-Krieg berichtet hatte und die seit der russischen Großinvasion in der Ukraine im Exil erscheinen muss, begann mit eigenen Ermittlungen und setzte für Hinweise auf den Mörder 740.000 Euro Belohnung aus. „Solange es die ‚Nowaja Gaseta‘ gibt, werden ihre Mörder nicht ruhig schlafen“, hieß es seitens der Zeitung.

Eine Frau legt in Moskau Blumen vor einem Porträt der ermordeten russischen Journalistin Anna Politkowskaja nieder (Archivbild). Politkowskaja war im Oktober 2006 in ihrem Wohnhaus in Moskau erschossen worden.
Eine Frau legt in Moskau Blumen vor einem Porträt der ermordeten russischen Journalistin Anna Politkowskaja nieder (Archivbild). Politkowskaja war im Oktober 2006 in ihrem Wohnhaus in Moskau erschossen worden. © Pavel Golovkin/AP/dpa | Unbekannt

Vergangene Woche wurde nun bekannt, dass der Ex-Polizist nicht nur seit Ende 2022 in der Ukraine kämpft, sondern von Wladimir Putin auch begnadigt wurde. Die am Samstag publik gewordene Nachricht, wonach Chadschikurbanows Brust nun auch der Tapferkeitsorden schmückt, dürfte für Politkowskajas Kinder und ihre engsten Wegbegleiter wohl nur noch das i-Tüpfelchen der Ungeheuerlichkeit gewesen sein. Diese zeigten verständlicherweise schon wenig Verständnis für Chadschikurbanows Kriegsdienst und präsidiale Begnadigung. Politkowskajas Kinder schrieben in einer Stellungnahme von „Ungerechtigkeit und Willkür“ und stellten klar: „Für uns ist diese Begnadigung kein Beweis für die Sühne und Reue des Mörders.“ Noch deutlicher wurde Dmitri Muratow, der 2021 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Chefredakteur der „Nowaja Gaseta“. „Die Rechte der Opfer werden vom Staat systematisch missachtet“, kommentierte dieser die Begnadigung Chadschikurbanows.

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    Opfer-Angehörige: Der lange Kampf um Gerechtigkeit

    Eines dieser Opfer ist auch Vera Pechtelewa. Im Januar 2020 ermordete Wladislaw Kanjus aus der westsibirischen Stadt Kemerowo seine damals 23-jährige Ex-Freundin, mit der er bis November 2019 zusammen gewesen war. An Pechtelewas Leichnam wurden laut ihrer Familie über 100 Stichwunden und Verletzungen festgestellt. Doch nicht nur die Brutalität dieser Tat erschütterte die Industriestadt, sondern auch das Verhalten der Polizei. Wegen der Schreie einer Frau aus Kanjus‘ Wohnung riefen seine besorgten Nachbarn insgesamt siebenmal die Polizei. Alle Anrufe wurden ignoriert.

    Wladislaw Kanjus hat im Januar 2020 seine damals 23-jährige Ex-Freundin Vera Pechtelewa ermordet.
    Wladislaw Kanjus hat im Januar 2020 seine damals 23-jährige Ex-Freundin Vera Pechtelewa ermordet. © imago images/ITAR-TASS | Maria Pimenova via www.imago-images.de

    Mit dem Tod ihrer Tochter begann für die Pechtelewas ein langjähriger Kampf um Gerechtigkeit. Um eine aus ihrer Sicht angemessene Strafe für den Mörder ihrer Tochter und auch für die Polizisten, die die Notrufe von Kanjus‘ Nachbarn ignoriert hatten. Doch ob es diese jemals geben wird, ist fraglich. Kanjus war zwar im Sommer 2022 zu 17 Jahren in einer Strafkolonie verurteilt worden. Doch im Juni erfuhren Pechtelewas Eltern, dass Kanjus sich gar nicht mehr in der Strafkolonie aufhält, weil er in einer Sträflingseinheit des russischen Verteidigungsministeriums in der Ukraine kämpfte. Zudem wurde den Eltern bekannt gegeben, dass der Mörder ihrer Tochter am 28. April dieses Jahres von Wladimir Putin begnadigt wurde.

    Von alldem hätten Pechtelewas Eltern womöglich nicht erfahren, wenn sie nicht Berufung gegen das Urteil vom vergangenen Jahr eingelegt hätten und Kanjus selbst in den sozialen Netzwerken Fotos von seinem Einsatz in der Ukraine gepostet hätte. Was Kanjus heute macht und wo er sich befindet, ist nicht bekannt. Man weiß lediglich, dass er seinen halbjährigen Kriegsdienst nicht verlängert hat und wieder nach Russland zurückgekehrt ist. Die Menschenrechtlerin Aljona Popowa, die die Pechtelewas unterstützt, fasste dies so zusammen: „Schreien Sie so laut wie möglich. Wenn wir schweigen, werden wir einfach akzeptieren, dass solche Mörder auf unseren Straßen herumlaufen.“