Berlin. Die Koalition hat ein riesiges Finanzproblem. Die FDP lehnt höhere Steuern ab – und macht einen Vorschlag, der Sprengstoff birgt.
Nach dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts steht die Ampel-Regierung noch unter Schockstarre. 60 Milliarden fehlen der Koalition plötzlich für den Klimaschutz – das sorgt für Spannungen innerhalb des Bündnisses: Während die SPD in diesem und dem kommenden Jahr noch einmal die Schuldenbremse aussetzen will, kontert der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr und bringt Sozialkürzungen ins Spiel. Die Grünen widersprechen. Allerdings könnte es noch schlimmer kommen: Der nächste Milliardentopf wackelt.
Worum geht es?
Wenn Vertreter der Ampel-Koalition ihre Erfolge aufzählen, fehlt nie der Hinweis: Wir haben das Land gut durch den Winter 2022/23 gebracht. Mit dem Knallerurteil aus Karlsruhe erscheint diese Aussage allerdings in neuem Licht. Denn die Energiepreisbremsen, mit denen die Regierung nach extremen Preissteigerungen die Kosten der Verbraucher für Strom und Gas begrenzt hatte, könnten ebenfalls verfassungswidrig finanziert worden sein.
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Warum kommt das Problem jetzt auf?
Das Bundesverfassungsgericht hatte die Haushaltspolitik der Regierung vergangene Woche auf den Kopf gestellt. Die Koalition hatte ungenutzte Corona-Kredite in einen Sonderfonds verschoben, um damit Klimaschutzmaßnahmen zu finanzieren. Dieser Finanztopf existierte neben dem regulären Haushalt. Das Gericht sah darin einen verfassungswidrigen Verstoß gegen die Schuldenbremse. Nun fehlen der Regierung 60 Milliarden Euro, die fest für den Klimaschutz eingeplant waren.
Was hat das mit der Energiepreisbremse zu tun?
Die Energiehilfen finanzierte die Regierung aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF), auch das ein Sondervermögen. Der WSF war 2020 als Corona-Rettungsschirm für die deutsche Wirtschaft aufgespannt worden. Im Herbst 2022 beschloss die Koalition, den Topf zur Bekämpfung der Energiekrise umzuwidmen und mit Kreditermächtigungen in Höhe von 200 Milliarden Euro auszustatten.
Wie funktioniert die Preisbremse?
Die Regierung garantierte Verbrauchern den Großteil ihres Strom- und Gasverbrauchs zu einem festgelegten Preis. Kanzler Olaf Scholz (SPD) sprach von einem „Doppelwumms“. Inzwischen wurde die staatliche Preisgarantie bis Ende April 2024 verlängert. Allerdings liegen die Energiekosten mittlerweile oft unter dem Niveau der Preisbremse. Insofern ist sie ein Notfallinstrument für den Fall, dass die Preise in diesem Winter noch einmal in die Höhe schießen sollten.
Warum gibt es an dem Vorgehen Zweifel?
In seinem Urteil zum Klimafonds hatte das Verfassungsgericht beanstandet, dass die Regierung bei ausgesetzter Schuldenbremse Kreditermächtigungen aufgenommen hatte, um diese in späteren Jahren zu nutzen. In der Regierung gibt es nun die Befürchtung, dass damit auch das Vorgehen beim WSF verfassungswidrig gewesen sein könnte. Als mögliche Lösung gilt, für dieses Jahr eine Notlage auszurufen und somit die Schuldenbremse erneut auszusetzen. So hatte es SPD-Chefin Saskia Esken gefordert.
Kommt eine erneute Klage?
Der Chef-Haushaltspolitiker der Unionsfraktion, Christian Haase, erwartet, dass der WSF ebenfalls verfassungswidrig ist. „Jetzt will die Koalition für das Haushaltsjahr 2023 diesen Verfassungsbruch mit einem anderen Verfassungsbruch heilen, indem sie die Notlage kurzfristig für 2023 ausruft“, sagte Haase dieser Redaktion. „Es gibt aber keine ökonomische Notlage, denn sonst hätte die Bundesregierung diese ja schon kurz nach ihrer Herbstprognose im Oktober erklären müssen.“ Die Union erwägt, in Karlsruhe gegen den WSF zu klagen. Die SPD-Klimaexpertin Nina Scheer rief CDU und CSU auf, „an Lösungswegen auch zur Finanzierung unserer Zukunftsaufgaben“ zu arbeiten, „statt weiter unsere Handlungsfähigkeit zu beeinträchtigen“. Scheer sagte dieser Redaktion: „Alle demokratischen Akteure sind aufgerufen, dieser Aufgabe gerecht zu werden.“
Drohen Folgen für Verbraucher?
Das ist unklar, solange hinter der Haushaltspolitik der Regierung ein großes Fragezeichen steht. Sicher dürfte sein, dass Verbraucher nicht damit rechnen müssen, rückwirkend etwas zurückzuzahlen. Wer also von der Strom- und Gaspreisbremse profitiert hat, muss keine Rückforderungen des Staates fürchten. Künftige Ausgaben der Regierung stehen aber auf dem Prüfstand.
Wie will die Koalition damit umgehen?
Auf die Frage hat bisher keiner der Ampelpartner eine Antwort. Für die Koalition birgt das Finanzproblem Sprengstoff. Eine weitere Aussetzung der Schuldenbremse ist für die FDP kein Thema. FDP-Fraktionschef Dürr fordert Einsparungen anstatt höhere Schulden. „Die Koalition ist aufgefordert, Lösungen zu finden, um die Staatsfinanzen weiter zu konsolidieren“, sagte Dürr dieser Redaktion. „Dabei müssen wir auch darüber reden, wo der Sozialstaat seinen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung leisten kann.“ Dürr fügte hinzu: „Tatsache ist, dass Geld erst erwirtschaftet werden muss, bevor es verteilt werden kann.“ Steuererhöhungen lehnt die FDP ab.
Sozialkürzungen sind für die Ampel-Partner SPD und Grüne jedoch ein rotes Tuch. „Kürzungen im sozialen Bereich kommen aus unserer Sicht nicht in Frage, weil das gerade in Zeiten hoher Inflation den sozialen Zusammenhalt gefährden würde“, sagte Grünen-Politikerin Katharina Dröge dieser Redaktion. Die Fraktionschefin fordert eine Reform der Schuldenbremse. „Es können darüber hinaus Spielräume im Haushalt geschaffen werden durch den Abbau umweltschädlicher Subventionen.“
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