Berlin. Das Verfassungsgericht könnte mit seinem Urteil die Haushaltspläne der Ampel sprengen. Die Koalition stünde vor einem neuen Stresstest.
Die Ankündigung klingt nüchtern – doch sie birgt neuen Sprengstoff für die Ampel: Am Mittwoch, um 10 Uhr, will das Bundesverfassungsgericht verkünden, wie der Zweite Senat geurteilt hat in Sachen „Zweites Nachtragshaushaltsgesetz 2021“. Es die Entscheidung über eine Normenkontrollklage der Unionsfraktion, über die das Gericht im Sommer verhandelt hatte. Das Brisante hinter der trockenen Sprache: Das Karlsruher Urteil könnte ein großes Loch in die Pläne von Bundesfinanzminister Christian Lindner reißen – und für die Koalition einen neuen Stresstest bedeuten.
Worum geht es?
Vor dem „Doppel-Wumms“ kam der „Wumms“: Damit wollte Olaf Scholz (SPD), damals noch Finanzminister in der Großen Koalition, die Wirtschaft aus der corona-bedingten Schieflage herausbeschleunigen. Dafür setzte der Bund 2021 die Schuldenbremse aus und nahm 240 Milliarden Euro Kreditermächtigungen auf.
Doch dann entwickelte sich die Wirtschaft besser als befürchtet, und von den 240 Milliarden Euro wurden nur 180 Milliarden tatsächlich genutzt. SPD, Grüne und FDP – Ende 2021 neu im Amt als Ampelkoalition – ahnten, dass sie den zusätzlichen Spielraum irgendwann gut brauchen könnten, und verschoben die übrigen 60 Milliarden Euro per Nachtragshaushalt in den Klima- und Transformationsfonds.
Was ist der KTF?
Der Klima- und Transformationsfonds (KTF, früher: Energie- und Klimafonds) ist ein Sondervermögen, das sich vor allem aus den Einnahmen der europäischen und der nationalen CO2-Bepreisung speist und aus dem die Bundesregierung zahlreiche Projekte bezahlt. Der Schwerpunkt der Ausgaben liegt auf Vorhaben zum Klimaschutz. Aus dem KTF wird etwa die Bundesförderung für effiziente Gebäude bezahlt, mit der energetische Sanierungen, aber auch der Austausch alter Heizungen unterstützt werden. Als 2022 die EEG-Umlage abgeschafft wurde, wanderte auch die Förderung von Anlagen erneuerbarer Energie in den Aufgabenbereich des Fonds.
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Unter dem großen Begriff der „Transformation“ wird Geld aus dem KTF aber inzwischen auch für Dinge eingesetzt, die höchstens mittelbar eine Klimaschutzwirkung haben – zum Beispiel die Förderung der Mikroelektronik. Ein gut gefüllter KTF ermöglicht der Regierung im Verlauf der gesamten Legislaturperiode Investitionen, die ansonsten unter Einhaltung der Schuldenbremse nicht möglich gewesen wären.
Warum klagt die Union?
Nach Ansicht der Parlamentarier von CDU und CSU hat die Ampelkoalition damit das Geld zweckentfremdet und der Nachvollziehbarkeit der Haushaltsführung geschadet. „Es kann nicht sein, dass Kredite, die der Bundestag unter Aussetzung der Schuldenbremse zur Bewältigung einer ganz bestimmten Krise und für ein bestimmtes Haushaltsjahr bewilligt hat, ihrer Zweckbestimmung nach einfach umgewidmet und in anderen Haushaltsjahren eingesetzt werden“, sagt Mathias Middelberg, stellvertretender Chef der Unionsfraktion, dieser Redaktion.
Andernfalls könne künftig jeder Finanzminister verschleiern, wie viel Schulden er tatsächlich macht. „Transparenz und Ehrlichkeit in der Haushaltsführung sind grundlegend für nachhaltige Politik“, sagt Middelberg. Die Union hoffe deshalb sehr, dass das Verfassungsgericht der Schuldenbremse „scharfe Konturen“ geben werde. Einen Eilantrag der Fraktion zum Thema hatte Karlsruhe im November 2022 allerdings bereits abgelehnt.
Wie argumentiert die Bundesregierung?
Finanzminister Lindner hat die Entscheidung, das Geld in den KTF zu verschieben, öffentlich immer wieder verteidigt. Seine Argumentation: Die Milliarden seien verschoben worden, um während der Pandemie ausgebliebene Investitionen nachzuholen, man konzentriere sich dabei auf Klimaschutz als Wachstumstreiber. Den ursprünglichen Zweck der Kreditermächtigungen sieht er damit gewahrt. Die Verschiebung sei nicht sein liebster Koalitionskompromiss gewesen, „war aber verantwortbar“, so Lindner.
Was passiert am Mittwoch?
Die Entscheidung des Gerichts kommt zu einem kritischen Zeitpunkt: Nur einen Tag später, am Donnerstag, ist die Bereinigungssitzung für den Bundeshaushalt 2024 angesetzt, bei der der Bundestag final klärt, wofür im kommenden Jahr Geld ausgegeben wird und wofür nicht. Ein sich plötzlich auftuendes 60-Milliarden-Loch im KTF würde die bisherigen Pläne ins Wanken bringen. Und für eine Koalition, in der es schon jetzt immer wieder Meinungsverschiedenheiten zur Haushaltspolitik gibt, stünden über Nacht sehr grundsätzliche politische Fragen auf der Tagesordnung.
Diesen Zeitplan kennt das Gericht in Karlsruhe. Auch deshalb hofft man innerhalb der Koalition, dass die für die Bundesregierung schwierigste Variante des Urteils – ein Auftrag, die Verschiebung der 60 Milliarden komplett rückgängig zu machen – ausbleibt.
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Denkbar wäre stattdessen, dass das Gericht den Transfer bestehen lässt, der Bundesregierung aber Leitplanken vorgibt für vergleichbare Situationen in der Zukunft. So war Karlsruhe auch verfahren, als das Gericht das Programm Next Generation EU geprüft hatte, für das die EU-Kommission zum ersten Mal im großen Stil Schulden gemacht hatte. Im Dezember 2022 hatten der Zweite Senat entschieden, dass Deutschland sich daran beteiligen könne, die gemeinsame Schuldenaufnahme aber der Ausnahmefall bleiben müsse.
Durchgespielt werden hinter den Kulissen sämtliche Szenarien. Nach außen gibt man sich in der Koalition gelassen. „Wir werden das Urteil des Bundesverfassungsgerichts abwarten und dann beraten, welche Handlungsnotwendigkeiten bestehen“, sagt Christoph Meyer, Vize-Chef der FDP-Fraktion dieser Redaktion.