Berlin. Israels Botschafter Prosor fordert ein härteres Vorgehen gegen Antisemiten – und sagt, warum er ausländische Imame als Gefahr sieht.

Die Sicherheitsvorkehrungen in der israelischen Botschaft sind noch einmal verschärft worden. Das Massaker der Hamas und seine Folgen haben neue Ausschreitungen gegen Juden auch in Deutschland ausgelöst. Wiederholt sich Geschichte? Israels Botschafter in Berlin, Ron Prosor, sieht die Entwicklung mit großer Sorge.

Die Novemberpogrome im nationalsozialistischen Deutschland jähren sich zum 85. Mal. Was ist an diesem Gedenktag anders?

Ron Prosor: Dieser Gedenktag unterscheidet sich von allen vorangegangenen. Das Massaker der Hamas-Terroristen am 7. Oktober erinnert uns daran, wie wichtig Demokratie ist. Israel wurde gegründet, damit wir Juden nie wieder erleben müssen, was uns in der Nazi-Diktatur widerfahren ist. Jetzt haben wir erlebt, dass Juden verbrannt, Babys der Kopf abgeschlagen und Mütter mit ihren Kindern hingerichtet wurden. Es geht wieder um die Frage: Zivilisation oder Barbarei.

Wie hat sich das Klima in Deutschland verändert seit dem 7. Oktober?

Prosor: Die Bundesregierung steht fest an unserer Seite. Kanzler Scholz, Außenministerin Baerbock und Verteidigungsminister Pistorius sind nach Israel gereist. Wirtschaftsminister Habeck hat eine mutige Rede gehalten. Und Innenministerin Faeser hat ein Betätigungsverbot für Hamas und Samidoun erlassen. Diese Solidarität ist hoffentlich stärker als das, was wir in den sozialen Netzwerken und auf deutschen Straßen sehen. Dort wird die Auslöschung des jüdischen Staates gefordert. Brandsätze werden auf Synagogen geworfen, und Häuser, in denen Juden wohnen, werden mit Davidsternen markiert. Die Palästina-Flagge wird auf Denkmälern gehisst, und es wird sogar die Errichtung eines Kalifats in Deutschland propagiert. Die Leute, die das tun, sind ein trojanisches Pferd der deutschen Demokratie. Die Deutschen haben diese Leute mit offenen Armen empfangen. Jetzt missbrauchen sie die Gastfreundschaft. Es kann nicht sein, dass Juden und Israelis in Deutschland wieder Angst haben müssen. Dagegen muss man etwas tun.

Wiederholt sich Geschichte?

Prosor: Nein, das glaube ich nicht. Wir haben neue Umstände und neue Akteure. Aber wir müssen der Gefahr in die Augen schauen und dürfen diese Ideologie nicht verharmlosen: Hamas und Hisbollah sind nicht nur gegen Israel. Sie nehmen die westlichen Gesellschaften insgesamt als dekadent wahr. Sie verabscheuen Homosexuelle und wollen Frauen grundlegende Rechte verweigern. Wir Juden sitzen nur in der ersten Reihe. Wenn die Deutschen nicht handeln und gegen diese Leute vorgehen, werden sie morgen weinen.

Welche Antwort erwarten Sie vom deutschen Staat?

Prosor: Das Massaker der Hamas ist eine Zäsur. Israel wird nie wieder so sein wie vor dem 7. Oktober. Ich hoffe, dass dies auch in Deutschland der Fall sein wird. Man muss die Herausforderung angehen – und darf nicht aus politischer Korrektheit davor zurückschrecken. Langfristig ist es eine Sache von Bildung und Erziehung. Aber jetzt muss man sich dem Terror und der Gewalt auf deutschen Straßen entgegenstellen – auch mit dem Strafrecht.

Reichspogromnacht am 9. November 1938: Eine brennende Synagoge in Baden-Baden. Wiederholt sich die Geschichte?
Reichspogromnacht am 9. November 1938: Eine brennende Synagoge in Baden-Baden. Wiederholt sich die Geschichte? © picture alliance/United Archives | 91050/United_Archives/TopFoto

Konkret?

Prosor: Deutschland sollte das Gesetz ändern – und Meinungsfreiheit enger fassen. Friedliche Demonstrationen müssen natürlich möglich sein, aber es muss bestraft werden, zu Hass auf Juden, auf Israel und auf die Demokratie aufzustacheln.

Welchen Beitrag sollten muslimische Verbände leisten?

Prosor: Für mich war das ein Weckruf: Muslimische Verbände haben dieses Massaker – wenn überhaupt – nur widerwillig verurteilt. Wir haben ein Problem mit einigen Imamen aus dem Ausland. Allen muss klar sein: Es kommen Imame mit einer Ideologie, mit der sie Deutschland und Europa verändern wollen. Deswegen müssen die Moscheen besser überwacht werden. Am besten wäre es, Deutschland würde Imame im großen Stil selbst ausbilden – und ausländischen Imamen ein Betätigungsverbot erteilen.

Sie haben die Unterstützung der Bundesregierung hervorgehoben. Bei der Abstimmung über die Gaza-Resolution in der UN-Vollversammlung hat sich Deutschland allerdings enthalten …

Prosor: Das Abstimmungsverhalten Deutschlands bei der Uno lässt seit Jahren zu wünschen übrig. Die Resolution, um die es jetzt geht, verliert kein Wort über die Verantwortung der Hamas für das Massaker am 7. Oktober, über die Freilassung der Geiseln aus 41 Staaten und über das Selbstverteidigungsrecht Israels. Daher ist die Enthaltung Deutschland sehr enttäuschend für Israel.

Sie zweifeln aber nicht an der Aussage des Kanzlers, die Sicherheit Israels sei deutsche Staatsräson?

Prosor: Nein. In Europa steht Deutschland in der ersten Reihe, wenn es um die Unterstützung Israels geht. Aber ich möchte auch klar sagen, dass diese Enthaltung für mich enttäuschend ist.

Wie lange wird der Krieg gegen die Hamas noch dauern?

Prosor: Die Operation läuft seit 30 Tagen. Wir müssen die Welt daran erinnern, wie grausam, unmenschlich und barbarisch Israel am 7. Oktober angegriffen wurde. Es geht jetzt darum, die Führung und die Infrastruktur der Hamas zu beseitigen. Das ist unheimlich schwierig. Wir versuchen, die unschuldige Bevölkerung nicht zu treffen. Deswegen eröffnen wir Fluchtkorridore. Deswegen gehen wir die Militäroperation auch langsam an.

Bedeutet das, der Krieg geht noch Monate? Oder Jahre?

Prosor: Diese Operation wird so lange dauern, bis wir unser Ziel erreicht haben: die komplette Zerstörung der Führung und Infrastruktur der Terrororganisation Hamas.

Israels Botschafter Ron Prosor: „Es muss bestraft werden, zu Hass auf Juden, auf Israel und auf die Demokratie aufzustacheln.“
Israels Botschafter Ron Prosor: „Es muss bestraft werden, zu Hass auf Juden, auf Israel und auf die Demokratie aufzustacheln.“ © picture alliance / Anadolu | Hesham Ahmed Ali Hassan Elsherif

Warum lehnt Israel eine humanitäre Feuerpause ab?

Prosor: Wir erlauben humanitäre Hilfe, es kommen Lastwagen aus Ägypten. Aber wir lassen uns nicht auf einen Waffenstillstand ein. Für uns haben die 241 Geiseln absolute Priorität. Darunter sind 85-Jährige und neun Monate alte Babys. Wir wissen nicht, ob sie überhaupt versorgt werden. Auch sie brauchen Medikamente. Wo bleibt das Rote Kreuz? Wir brauchen Beweise, dass die Geiseln noch am Leben sind.

Steigen die Chancen, dass die Geiseln freikommen, wenn Gaza ununterbrochen angegriffen wird?

Prosor: Das ist ein Dilemma. Wir glauben, dass die Bereitschaft der Hamas wächst, mit uns über die Geiseln zu verhandeln, wenn wir die Militäroperation fortsetzen. Klar ist: Wir betreten Neuland. So eine Situation hatten wir nie.

Entspricht es dem Völkerrecht, Wohnhäuser, Flüchtlingslager und Krankenwagen unter Beschuss zu nehmen? Ist das verhältnismäßig?

Prosor: Israel operiert im Rahmen des Völkerrechts und greift keine Zivilisten an, sondern die Terrorinfrastruktur der Hamas. Was heißt verhältnismäßig? Hamas-Terroristen benutzen ihre eigene Bevölkerung als Schutzschilde, bauen ihre Kommandozentralen, Abschussrampen und Tunnel ganz bewusst in Wohngebieten und unter Krankenhäusern und Moscheen. Wir haben bisher kein Krankenhaus und keine Moschee angegriffen. Wir sagen, dass die Leute sich im Süden des Gazastreifens in Sicherheit bringen sollen.

Wie viele zivile Opfer rechtfertigt die Zerstörung der Hamas?

Prosor: Auch bei der Zerschlagung der IS-Terroristen hat es zivile Opfer gegeben. Aber wir geben uns größte Mühe, nicht die Leute zu treffen, die nicht mit Terror verbunden sind. Glauben Sie mir: Das versuchen wir jeden Tag. Wir fordern die Menschen mit Flugblättern und Telefonanrufen auf, sich im Süden des Gazastreifens in Sicherheit zu bringen, und öffnen dafür sichere Korridore.

Der israelische Kulturerbe-Minister Elijahu hat auf die Interviewfrage, ob man eine Atombombe auf den Gazastreifen werfen sollte, geantwortet: „Das ist eine der Optionen.“

Prosor: Der Minister wurde suspendiert, und er wird nicht zurückkommen. Wir werden niemals Unschuldige absichtlich angreifen.

Was kommt nach dem Krieg?

Prosor: Priorität hat, Führung und Infrastruktur der Hamas ein für allemal zu beseitigen. Gelingt dies nicht, haben wir keine Chance auf Frieden.

Hat die Zwei-Staaten-Lösung noch eine Chance?

Prosor: Ich möchte keine Antworten geben über die Zukunft. Ich war Staatssekretär, als wir uns 2005 aus dem Gazastreifen zurückgezogen haben. Wir sind rausgegangen, damit die Palästinenser daraus eine prosperierende Region wie Singapur machen können. Wir haben kein Interesse an Gaza.

Was beabsichtigen Sie mit der Zweiteilung des Gazastreifens?

Prosor: Es geht um die Zerstörung der Hamas – um nichts anderes.

Wird Israels Ministerpräsident Netanjahu dafür zu Rechenschaft gezogen, dass ihn der Terror der Hamas unvorbereitet traf?

Prosor: Ich kann Ihnen versprechen: Wir werden uns mit dieser Sache intensiv auseinandersetzen – auf allen Ebenen. Israel wird danach vermutlich anders aussehen. Aber wir werden es nach dem Krieg tun.