Berlin. Hamas-Chef Jahia Sinwar gilt als der Mastermind hinter dem Angriff auf Israel. Dabei müsste er eigentlich noch hinter Gittern sitzen.

Jahia Sinwar scheint sich seiner Sache sicher sein: Wie zum Hohn läuft der Chef der radikalislamistischen Hamas nach einem der unzähligen israelischen Gegenschläge durch Gaza-Stadt, wie das ZDF berichtet. Von seinen Anhängern gefeiert wie ein Popstar macht er Selfies und verkündet selbstbewusst: „Mein Spaziergang wird eine Stunde dauern, jetzt könnt ihr mich jagen.“

Sein Adressat: Die israelische Armee, die in den letzten Jahrzehnten vergebens versucht hat, den Terroristen zu liquidieren. „Jahia Sinwar ist der Kommandeur der Kampagne, und er ist ein toter Mann“, sagte der Sprecher der israelischen Streitkräfte, Daniel Hagari, über den Mann, der als Rädelsführer hinter der an Grausamkeit wohl nicht zu übertreffenden Brutalität der Hamas auf Israel gilt.

Gelungen ist es den Israelis nie. Selbst gezielte Attacken auf Sinwars Haus blieben erfolglos – obwohl er eines der militärischen Topziele sein dürfte. „Dieser Mann ist in unserem Visier“, sagte der israelische Oberstleutnant Richard Hecht. „Er ist ein wandelnder Toter, und wir werden diesen Mann kriegen.“

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Israel konnte Hamas Anführer töten – Sinwar bislang nicht

Andere hochrangige Terroristen konnte die israelische Armee bereits lequidiren – oder sie brachten sich in vermeindliche Sicherheit: Etwa Kerad Abu Merad, Chef der Luftüberwachung, oder Ali al-Kadhi, Kommandeur einer Eliteeinheit, wurden erst vor ein paar Tagen bei Luftangriffen getötet. Der formal oberste Hamas-Chef, Ismail Haniyya, lebt im sicheren Katar. Und Mohammed Deif, Drahtzieher des Überfalls und Befehlshaber der „Kassam-Brigaden“, lebt nach zahlreichen Angriffen auf ihn als Phantom.

Sinwar gilt als Mastermind hinter der Attacke auf Israel. Der heute 60-Jährige hat sein Leben dem „ewigen Krieg“ gegen Israels verschrieben. Und sammelte in der Vergangenheit einige Titel des Schreckens, die seine Entschlossenheit unterstreichen: Die USA hatten ihn bereits 2015 auf ihre Liste „internationaler Terroristen“ gesetzt. Wegen seiner Gräueltaten wird er auch der „Schlächter von Chan Yunis“ genannt.

Jahia Sinwar, Führer der palästinensischen islamistischen Hamas-Bewegung.
Jahia Sinwar, Führer der palästinensischen islamistischen Hamas-Bewegung. © picture alliance/dpa | Mohammed Talatene

Er soll israelische Soldaten entführt und ermordet haben. Mit seinen eigenen Händen tötete er palästinensische Kollaborateure. Den Hamas-Kommandeur Mahmoud Ishtiwi soll er laut New York Times wegen homosexueller Neigungen und Korruptionsvorwürfen ermordet haben.

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Traurige Ironie der Geschichte: Sinwar saß bereits im Gefängnis

Seinen grausamen Titel verdankt er wohl der Stadt, in der er zur Welt kam. 1962 ist Sinwar in einem Flüchtlingscamp in Chan Yunis im Süden des Gazstreifens geboren. Zunehmend radikalisierte er sich und war am Aufbau der Hamas beteiligt.

Was dann passierte, hätte den Gang der jüngeren Geschichte maßgeblich beeinflussen können. Denn Israel brachte den heutigen Hamas-Chef hinter Gitter: Letztlich verurteilte ihn die israelische Justiz 1988 zu einer Freiheitsstrafe von viermal lebenslänglich.

Ein Urteil, mit dem Sinwar von der Bildfläche hätte verschwinden können – wäre er nicht 2011 bei einem Gefangenenaustausch nach insgesamt 24 Jahren Gefängnis frei gekommen. Traurige Ironie der Geschiche: Die israelische Regierung lies damals 1027 militante Palästinenser für den Soldaten Gilad Schalit frei. Heute – zwölf Jahre später – kämpft die israelische Regierung um das Leben von 199 Geiseln.

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2017 wurde Sinwar Chef des Politbüros

Auf freiem Fuß stieg Sinwar zum unangefochtenen Chef der Hamas im Gazastreifen auf. Er war Mitbegründer der Kassam-Brigaden, des militärischen Flügels der Hamas. 2017 löste er Ismail Hanija als Vorsitzenden des Politbüros ab, der heute als formale Nummer eins der Hamas im katarischen Exil verweilt. Bereits damals soll Hinija in den Augen der Kassem-Brigarden zu schwach gewesen sein. Mit Sinwar entschieden sie sich für einen Anführer, der selbst unter Terroristen als radikal gelten soll.

Lieber würde er als Märtyrer sterben, als sich weiter von Israel demütigen zu lassen, sagte er vor über fünf Jahren dem ZDF. Zehntausende wären ebenfalls dazu bereit, fügte er hinzu. Am 7. Oktober 2023 lies er dann den Worten durch seine Hamas-Kämpfer Taten folgen.