Berlin. Mia Shem wurde von der Hamas in den Gazastreifen verschleppt. Nun taucht ein Video von der jungen Frau auf. Ihre Mutter ist entsetzt.
Es müssen grausamste Zeiten sein für die Angehörigen der rund 200 aus Israel verschleppten Geiseln der Hamas. Bangen. Hoffen auf ein Lebenszeichen ihrer Lieben, die nichts verbrochen haben und sich jetzt in der Gewalt der Terroristen befinden.
Längst nicht nur Israelis haben die Angreifer aus den Kibbuzen, grenznahen Ortschaften und von einem Rave-Festival in der Negev-Wüste entführt. Menschen aus allen Ecken der Welt sind unter ihnen: Franzosen, Deutsche, Österreicher, US-Amerikaner, Menschen aus Kanada, den Philippinen, der Ukraine. Insgesamt zählt die israelische Regierung 41 Nationalitäten.
Wenig war bislang vom Verbleib der Menschen zu hören. Einige der Entführten sollen bei einem Luftangriff ums Leben gekommen sein. Ob das stimmt, weiß vermutlich nur die Hamas selbst.
Hamas-Propaganda: „Alles ist in Ordnung“
Von einer ihrer Geiseln veröffentlichten die Islamisten nun ein Video. Mia Schem, 21 Jahre alt, eine Israeli mit französischem Pass, ist darin zu sehen. Das 60 Sekunden lange Video beginnt damit, wie ihre Wunden bandagiert werden, von einer Person im Off. Dann sitzt sie vor einer Teppichwand, richtet ihre Worte direkt in die Kamera.
„Gerade bin ich in Gaza“, sagt sie mit getragener Stimme. Man sehe nach ihr, sie sei am Arm operiert worden, in einem Krankenhaus, drei Stunden lang. Man habe sie am frühen Samstagmorgen von einer Party „nach Gaza mitgenommen“, erzählt sie recht lapidar von dem, was ihr da am 7. Oktober widerfahren ist. Und dann: „Alles ist in Ordnung.“
Das ist natürlich von der Wahrheit so weit weg, wie Israelis und Palästinenser von der Zweistaatenlösung. Der Film ist ein Propaganda-Instrument, hat zwei Ziele: Er soll den Eindruck erwecken, die Hamas versorge ihre Gefangenen, und so ist der Clip dann auch überschrieben: „Kümmert sich um eine der Geiseln“.
Wann das Video entstanden ist, unter welchen Bedingungen Mia Schem gefangen gehalten wird, ja, ob sie noch lebt, ist nicht klar. Die „New York Times“ hat die Metadaten des Clips analysiert; ein Teil davon ist „mindestens sechs Tage alt“.
- Einfach erklärt: Israel und seine Feinde – Darum geht es im Nahost-Konflikt
- Verfeindete Staaten: Woher kommt der Hass zwischen dem Iran und Israel?
- Umstrittenes Gebiet: Gibt es Palästina? Die Geschichte der Region
- Israel gegen die Hamas: Feuerpause oder Waffenstillstand? Begriffe einfach erklärt
- IDF: Atombombe, Drohnen & Co. – So mächtig ist Israels Militär
Hamas: Eine „mörderische Terrortruppe“
Gleichzeitig darf man annehmen, die Hamas möchte ihr Image aufpolieren, nach dem Motto: Nicht sie, die Angreifer und Entführer, sondern Israel – und der Westen – seien verantwortlich für das, was Mia Schem da passiert. Die 21-Jährige bittet in dem Video – dessen angepeiltes Publikum nicht Hamas, nicht Palästinenser sind, sondern Menschen aus den Ländern, aus denen die Verschleppten stammen – darum: „Nach Hause zurückzukehren, zu meinen Eltern, zu meinen Geschwistern“. Man möge sie so schnell wie möglich hier raus bringen.
Als hätten es die Zuschauer in der Hand, die sich dieses Video ansehen. Und nicht jene, die die Frau von einer friedlichen Feier wegschleppten und sie jederzeit in die Freiheit entlassen könnten, sie, in den Worten des Hamas-Sprechers Abu Obeida, zynisch als „Gäste“ bezeichnet. Ein Gast hat jederzeit die Freiheit, zu gehen.
So wundert dann auch nicht, was an Reaktionen auf dieses Video in Israel zu vernehmen ist. Die Armee IDF, die längst weiß, dass Mia Schem in der Gewalt der Hamas ist, stellt klar: Das sei der Versuch der Hamas, „sich als humanitäre Organisation darzustellen“. In Wirklichkeit sei sie eine „mörderische Terrortruppe“, verantwortlich für Morde und Entführungen.
- Gerichtsurteil: Paukenschlag in Israel – Ultraorthodoxe müssen zur Armee
- Verletzter Verdächtiger: Palästinenser auf Motorhaube gebunden – Empörung über Israels Militär
- Regierung unter Druck? Massenproteste in Israel – größte Demo seit Monaten
- Islamisten: Stärkste Angriffe seit Kriegsbeginn – Hisbollah beschießt Israel
- Nach Rettung: Geisel Noa Argamani befreit – Das war ihr erster Wunsch
Mutter mit eindringlichen Worten
Die Mutter der Entführten, Keren Schem, bestätigte, dass es sich bei der Gezeigten um ihre Tochter Mia handelt. Fast ohnmächtig geworden sei sie, als sie das Video gesehen habe. „Ich weiß jetzt, dass mein Baby lebt“, sagt sie in israelischen Medien. „Ich sehe, dass sie verrückt vor Angst ist, dass sie große Schmerzen hat, dass sie sagt, was sie (die Hamas, d. Red) ihr befehlen.“ Aber ihr Zustand scheine stabil.
An die Staatschefs stellt die Mutter eine Forderung: „Ich will, dass mein Baby genau so nach Hause gebracht wird, wie es jetzt aussieht, genau wie in dem Video.“ Alle Entführten müssten nach Hause gebracht werden. „Es sind Kinder, Jungen und Mädchen, die ausgegangen sind, um auf einer Party das Leben zu feiern.“
Am Vormittag bekräftigte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron die Worte der Mutter. Macron habe Kenntnis von dem Video der französisch-israelischen Staatsbürgerin Mia Schem erhalten, teilte der Élyséepalast am Dienstag in Paris mit. „Er verurteilt die Schmach, die die Geiselnahme unschuldiger Menschen und ihre abscheuliche Inszenierung darstellt.“ Der Präsident fordere ihre sofortige und bedingungslose Freilassung.