Brüssel/Berlin. Nach der erneuten Beschädigung einer Gaspipeline rücken Schutzmaßnahmen in den Fokus: Sind die Leitungen sicher? Die Zweifel wachsen.
Nach dem mutmaßlichen neuen Sabotageakt gegen eine Gaspipeline und ein Datenkabel in der Ostsee wird eine Frage immer dringlicher: Sind solche wichtigen Leitungen ausreichend geschützt – und lassen sie sich überhaupt schützen? Experten sehen großen Nachholbedarf.
Schon nach den noch immer nicht aufgeklärten Explosionen an den Erdgas-Pipelines Nord Stream 1 und 2 vor gut einem Jahr hatten deutsche Sicherheitsbehörden ebenso wie die Nato verstärkte Schutzmaßnahmen angekündigt. Die Allianz verdoppelte nach Angaben von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg ihre Präsenz in der Nord- und Ostsee auf mehr als 30 Schiffe, setzt Seeaufklärungsflugzeuge und Unterwasser-Fähigkeiten ein und hat die Sicherheitsmaßnahmen rund um Öl- und Gasplattformen oder Terminals erhöht. Auch Geheimdienstinformationen der Mitgliedstaaten werden intensiver ausgetauscht, so Stoltenberg. Vor allem an der norwegischen Küste, wo wichtige Gasleitungen für die Versorgung Europas verlaufen, patrouillieren verstärkt Kriegsschiffe, die Nato hielt dort Marinemanöver ab.
So schützt Deutschland jetzt die Unterwasser-Leitungen
Deutschland hat den Schutz der Unterwasser-Infrastruktur ebenfalls erhöht – oder zumindest damit begonnen, etwa mit einem Koordinierungsstab der Bundesregierung. Zuständig ist in erster Linie die Bundespolizei, wenn es um die Überwachung der deutschen Hoheitsgewässer inklusive Leitungen und Windparks geht. Die Bundespolizei setzt dafür seit den rätselhaften Anschlägen auf Nord Stream mehr Schiffe und Hubschrauber ein. Gesteuert wird die Überwachung der Nord- und Ostsee über das Maritime Sicherheitszentrum (MSZ) von Bund und Ländern in Cuxhaven. Eingebunden ist dort auch die Bundeswehr: Die Marine verfügt über sechs U-Boote, die zum Schutz von Unterwasser-Leitungen eingesetzt werden können, gebraucht werden aber zusätzliche Schiffe und der Ausbau des akustischen Überwachungssystems.
Viel schneller wächst womöglich die Bedrohung: Die Leitungen, Pipelines und Kabel der Infrastruktur haben feindliche Staaten ebenso wie zum Beispiel Cyberkriminelle intensiv im Visier, warnen Nato-Militärs und Geheimdienste seit Langem: Russland und China spionieren demnach gezielt die Unterwasser-Einrichtungen von Nato-Ländern aus – sollten sie sie angreifen, wäre der Schaden für die Energieversorgung oder das öffentliche Leben in Europa oder Nordamerika massiv. Nato-Experten berichten in Brüssel besorgt, dass russische Schiffe diese maritime kritische Infrastruktur in wichtigen Teilen des Bündnisgebiets bereits kartiert haben. Die Aktivitäten der russischen Unterseeflotte hätten erkennbar zugenommen.
Die Pipelines sind nicht gut geschützt
Das Problem: Die Pipelines, Stromleitungen und die Internetkabel auf dem Meeresboden sind meist nicht besonders geschützt. Die Nato hat vor einigen Monaten eine neue Koordinierungsstelle für einen besseren Schutz von Pipelines und anderen kritischen Unterwasser-Einrichtungen geschaffen. Sie soll unter Leitung des früheren Bundeswehr-Generals Hans-Werner Wiermann Schwachstellen identifizieren.
Für besonders gefährdete Leitungen ist an den Einsatz von Unterwasserdrohnen oder U-Booten gedacht. Geplant ist außerdem ein „Maritimes Zentrum für die Sicherheit kritischer Unterwasser-Infrastruktur“ in Northwood bei London, das ein neues Überwachungssystem für Nord- und Ostsee, Atlantik, Mittelmeer und das Schwarze Meer aufbauen soll. Gedacht ist dabei auch an den Einsatz von Künstlicher Intelligenz für Unterwasserwaffen, die US-Marine arbeitet schon daran.
Aber vorerst halten es Fachleute für schwer vorstellbar, wie sich ein Angriff auf die Leitungen mit einer Länge von Zehntausenden Kilometern in der Nord- und Ostsee und dem Nordatlantik vollständig verhindern lassen soll. Ziel ist es, zumindest aufklären zu können, wer hinter einem Sabotageakt auf die kritische Infrastruktur steckt.
Nato-Generalsekretär Stoltenberg hat zur Abschreckung potenzieller Angreifer bereits klargestellt, dass die Allianz einen schweren Sabotageakt so behandeln könnte wie einen bewaffneten Angriff auf eines ihrer Mitgliedsländer. Die Allianz würde dann womöglich mit der Ausrufung des Bündnisfalles militärisch reagieren: Wer wichtige Leitungen angreift, so die Brüsseler Warnung, riskiert den Krieg.
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