Athen. Der Krieg in Israel bringt Erdogan in ein Dilemma. Er gilt als Schutzpatron von Islamisten – und sucht bessere Beziehungen zu Israel.
Wenn Recep Tayyip Erdogan seinen Anhängern zuwinkt, streckt er vier Finger aus. Den Daumen legt er an die Handfläche. Der sogenannte Rabia-Gruß ist das Erkennungszeichen der ägyptischen Muslimbrüder. Erdogan zeigt damit seine Solidarität mit der Bewegung, in der auch die Terrororganisation Hamas wurzelt. Sie wurde 1987 als Zweig der Muslimbruderschaft in Gaza gegründet.
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Für welche Seite das Herz des Islamisten Erdogan im Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern schlägt, ist also leicht zu erraten. Dennoch vermeidet der türkische Staatschef jetzt eine öffentliche Parteinahme. Er rief beide Seiten auf, „mit Zurückhaltung zu handeln und von impulsiven Schritten, die die Spannungen verschärfen, abzusehen“.
Jahrelang profilierte sich Erdogan als Patron radikalislamischer Bewegungen. Nach dem Sturz der Regierung Mursi in Ägypten und dem Verbot der Muslimbruderschaft nahm die Türkei Tausende Mitglieder der islamistischen Bewegung auf. Heute leben geschätzt 20.000 ägyptische Muslimbrüder im türkischen Exil, darunter Hunderte Führungsfiguren. Viele ließ Erdogan einbürgern.
Die nicht nur im Westen, sondern auch von vielen Nahost-Staaten als Terrororganisation geächtete Hamas sieht Erdogan als Befreiungsbewegung. Israel dagegen bezeichnete er häufig als „Terrorstaat“. Immer wieder schlug er antisemitische Töne an. Erdogans Koalitionspartner Zekeriya Yapicioglu, Chef der islamistischen Hüda Par, hatte sich gleich am Samstag hinter die Hamas gestellt und den blutigen Angriff auf Israel als „legitim“ bezeichnet.
Erdogan versucht, sich besonnener zu geben. Er will vermitteln. In Telefonaten mit dem Palästinenserpräsidenten Mahmud Abbas und Israels Präsident Izchak Herzog kündigte er an, die Türkei werde alles unternehmen, um den Frieden in der Region wiederherzustellen. Er forderte Israel auf, die Bombardements im Gazastreifen einzustellen, und appellierte an die Hamas, ihre „Belästigung“ israelischer Zivilisten zu beenden. Eine Verurteilung der Hamas-Massaker war von Erdogan bisher nicht zu vernehmen. Kritik äußerte er hingegen an der von Israel verkündeten kompletten Abriegelung des Gazastreifens. „Derzeit wird kein Wasser für Gaza bereitgestellt. Es gibt keinen Strom. Was ist mit den Menschenrechten?“, sagte Erdogan am Dienstag in Ankara. Auch das türkische Außenministerium vermied bisher jede Schuldzuweisung an die Hamas.
An der Linie Erdogans hat sich im Grunde nichts geändert: Er fordert „einen geografisch zusammenhängenden palästinensischen Staat mit Jerusalem als Hauptstadt“.
Erdogan will Pläne von Griechenland, Ägypten und Zypern durchkreuzen
Erdogans Rolle als Sponsor der Muslimbrüder und der Hamas vergiftete auch die Beziehungen Ankaras zu den Emiraten, Saudi-Arabien und Ägypten. Die Türkei war deshalb im Nahen Osten weitgehend isoliert. Seit dem vergangenen Jahr sucht der türkische Staatschef die Wiederannäherung an Ägypten, die Emirate, Saudi-Arabien und auch Israel.
Im Verhältnis zu Israel spielt dabei die Energiepolitik eine wichtige Rolle. Erdogan möchte Erdgas aus den israelischen Fördergebieten über türkische Pipelines nach Westeuropa leiten. Damit will er Pläne Griechenlands, Ägyptens und Zyperns durchkreuzen, Erdgas aus dem östlichen Mittelmeer durch eine Unterwasserpipeline unter Umgehung der Türkei nach Europa zu exportieren.
Türkei steckt in einer Währungskrise
Die Neuorientierung der türkischen Außenpolitik im Nahen Osten ist vor allem wirtschaftlich diktiert. Das Land steckt in einer schweren Währungskrise und braucht dringend Investitionen aus der Golfregion. Um den Weg zu einer Annäherung zu ebnen, begann Erdogan im vergangenen Jahr, seine Haltung gegenüber den Muslimbrüdern zu ändern. Mehrere ihrer TV-Kanäle und Internetportale wurden geschlossen, die Bewegungsfreiheit der Anführer der Organisation eingeschränkt.
Westlichen Sicherheitsexperten bereitet Sorge, dass die Muslimbruderschaft und die Hamas immer enger mit anderen Terrororganisationen wie dem sogenannten Islamischen Staat (IS) zusammenarbeiten. Das von der Hamas angerichtete Massaker bei dem Musikfestival in der Negev-Wüste trägt die Handschrift des IS.
Unterdessen fliegt die Türkei Luftangriffe auf kurdische Milizen in Nordsyrien, die dort als Verbündete der USA gegen den IS kämpfen. Auch deshalb wird der Krieg in Israel jetzt zum Prüfstein für Erdogan und die Beziehungen der Türkei zum Westen.
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