Berlin. Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, fordert, Grenzen für bestimmte Asylbewerber zu schließen.
Die EU ringt um eine Asylreform. Jetzt fordert Hans-Jürgen Papier, als Präsident des Bundesverfassungsgerichts ehemals höchster Richter Deutschlands, eine radikale Lösung.
Die Zahl der Asylbewerber in Deutschland hat wieder deutlich zugenommen. Was löst das aus, Professor Papier?
Hans-Jürgen Papier: Seit nahezu zehn Jahren sollte man wissen, dass das geltende Asylrecht auf nationaler und EU-Ebene und die darauf gestützte Verwaltungspraxis den neuen Herausforderungen der Fluchtmigration nicht mehr gerecht werden. Dennoch ist die Politik auf nationaler und europäischer Ebene bislang nicht in der Lage gewesen, wirklich zielführende Lösungen für ein Problemfeld zu bieten, das die Bevölkerung mit am meisten beschäftigt und beunruhigt. Die derzeit immer wieder beklagte Unzufriedenheit weiter Teile der Bevölkerung mit den Institutionen der rechtsstaatlichen Demokratie findet hier einen ihrer wichtigsten Gründe.
Was tun?
Hans-Jürgen Papier: Die Durchführung der aufwendigen Asylverfahren auch für all die vielen Menschen, die offenkundig kein Recht auf Asyl und auf internationalen Schutz haben, weil sie ersichtlich weder politisch verfolgt noch als Kriegs- oder Bürgerkriegsflüchtlinge anzuerkennen sind, war und ist dysfunktional und objektiv Rechtsmissbrauch. Die Verfahren zur Gewährung von Asyl sollten von vornherein auf Personen beschränkt sein, für die ein Schutzanspruch überhaupt in Betracht kommen kann. Darüber sollte grundsätzlich bereits vor der Einreise in die EU und vor dem Grenzübertritt entschieden werden.
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Sie wollen das Verfahren grundlegend ändern.
Hans-Jürgen Papier: Nach geltendem Asylverfahrensrecht ist mit jeder Asylantragstellung – auch der offensichtlich aussichtslosen – eine Gestattung der Einreise und des Aufenthalts verbunden. Die Dauer der Verfahren sowie der Umstand, dass auch nach der Antragsablehnung vielfach keine Ausreise und keine Abschiebung erfolgen, führen dazu, dass die Unterscheidung von bloßer Asylantragstellung einerseits und materiellem Asylrecht und damit echtem Flüchtlingsstatus andererseits faktisch immer mehr verblasst. Die bisherige Rechts- und Verwaltungspraxis hat letztlich dazu geführt, dass jedermann auf dieser Welt mit der bloßen Erklärung, einen Asylantrag stellen zu wollen, zum Einreiseberechtigten mit einem Aufenthalt von vielfach nicht absehbarer Dauer wird.
Was erwarten Sie von der geplanten europäischen Asylreform?
Hans-Jürgen Papier: Mit einer dringend erforderlichen Reform des EU-Asylrechts muss vor allem sichergestellt werden, dass das Recht, einen Asylantrag stellen zu dürfen, nicht länger zweckentfremdet werden kann als Türöffner und Rechtfertigung einer an sich illegalen Einwanderung – und zwar einer Einwanderung von Personen, die offenkundig kein Recht auf Asyl haben, etwa weil sie aus sicheren Herkunfts- oder Transitländern kommen. Grenzkontrollen haben nur dann einen Sinn, wenn sie auch und vor allem der Verweigerung der Einreise dieser Personen dienen.
Wie soll das in der Praxis funktionieren?
Hans-Jürgen Papier: Zur Vereinfachung und Beschleunigung der Verfahren ist der beachtliche Vorschlag gemacht worden, neben der Grenzkontrollen ein Verfahren der Vorprüfung von Schutzansprüchen auch in einem formalisierten Einreiseverfahren vergleichbar dem elektronischen System der Einreisegenehmigung der USA einzuführen. Eine Vorprüfung vor der Einreise, ob der geltend gemachte Fluchtgrund plausibel und dringlich ist, würde eine geordnete und legale Einreise ermöglichen und gewährleisten. Eine solche legale Einreise wäre regelmäßig die Voraussetzung für die Durchführung des eigentlichen Asylverfahrens. Die Reformdiskussion im Hinblick auf Asyl und Migration muss sich neben anderen Fragen dieser Thematik stellen, soll die Reform zielführend sein und sich nicht mit Halbherzigem oder gar mit Symbolik begnügen.