Berlin/Brüssel. Abschiebung bis Obergrenze: Sieben aktuelle Vorschläge gegen die Flüchtlingskrise. Was bringen sie wirklich? Der große Politik-Check.
Angesichts steigender Migrationszahlen schlagen Städte und Landkreise Alarm, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sieht das Land an der „Belastungsgrenze“: Bis zu 300.000 Asylbewerber werden dieses Jahr in Deutschland erwartet, dramatische Flüchtlingsbilder aus Italien heizen die Stimmung zusätzlich an. Entsprechend hektisch sucht die Politik nach Wegen, die Zahl der Asylbewerber zu begrenzen. Aber was kann wirklich helfen, was sind nur Scheinlösungen?
Obergrenze für Flüchtlinge: Alte Idee, jetzt aufpoliert vom bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU). Er will eine „Integrationsgrenze“ für die Aufnahme von etwa 200.000 Flüchtlingen jährlich. Als politisches Ziel gab es das schon mal: Angela Merkels letzte große Koalition bis 2021 hatte eine „Spanne von jährlich 180.000 bis 220.000“ sogar in ihrem Vertrag vereinbart. Die wurde auch eingehalten – aber nur, weil in ganz Europa die Flüchtlingszahlen deutlich sanken, dann wegen Corona völlig einbrachen.
Als politische Richtungsansage kann die Obergrenze sinnvoll sein, konkret anwendbar ist sie nicht: Das Asylrecht kennt keine Obergrenze, der oder die Flüchtende Nummer 200.001 ließe sich nicht einfach abweisen. Das ginge nur, wenn gleichzeitig in einem radikalen Schritt der individuelle Anspruch auf Asyl im Grundgesetz mit Zwei-Drittel-Mehrheit eingeschränkt würde und dazu – in der gesamten EU - die Genfer Flüchtlingskonvention gleich mit. Das ist unter Experten nicht mehr tabu, politisch aber auf lange Sicht nicht mehrheitsfähig: Eine Debatte für viele Jahre, kurzfristig keine Lösung.
Neue Migrationsabkommen: Favorit bei vielen Politikern und Wissenschaftlern. Vorbild ist das EU-Türkei-Abkommen von 2016, das zeitweise die Zahl der Asylbewerber massiv reduziert hat. Die EU hat Ankara bis heute zehn Milliarden Euro zugesagt, im Gegenzug verpflichtete sich die Türkei, Fluchtrouten abzuriegeln und illegal nach Griechenland eingereiste Migranten wieder zurückzunehmen. Für jede abgeschobene Person sollte ein Flüchtling legal in die EU übersiedeln dürfen. Das Abkommen funktioniert aber längst nicht mehr richtig, es müsste dringend erneuert werden. Gleichzeitig will die EU jetzt weitere solcher Abkommen vor allem mit Ägypten, Tunesien, Algerien und Marokko vereinbaren, um Fluchtrouten übers Mittelmeer zu schließen.
Mit Tunesien bereitet die EU einen Deal gerade vor, er soll die irreguläre Migration und das Schleuserwesen bekämpfen. Aber die vorläufige Absprache ist schwammig und wirkungslos, aktuell kommen mehr Flüchtlinge aus Tunesien als vorher. Zudem gibt es Kritik, dass die tunesischen Behörden Flüchtlinge menschenunwürdig behandeln. Abkommen mit weiteren Staaten sind nicht in Sicht. Fazit: Richtig gemacht können Migrationsabkommen helfen – aber die Hürden sind hoch.
Asylverfahren an der EU-Außengrenze: Mit ihrer geplanten Asylreform will die Europäische Union chancenlose Migranten abschrecken. Wer aus einem Land mit wenig Aussicht auf Asyl (etwa Marokko, Algerien, Georgien) kommt, wird an den EU-Außengrenzen in speziellen Lagern festgehalten, erhält dort innerhalb von drei Monaten seinen Asylbescheid und wird gegebenenfalls gleich wieder abgeschoben. Allerdings: Den größten Anteil der Asylbewerber machen in Deutschland Menschen aus Afghanistan und Syrien aus – die würden nicht unter die Regelung fallen.
Ein zusätzlicher Plan für eine EU-Krisenverordnung sieht vor, dass bei starken Flüchtlingswellen längere Fristen für die Registrierung von Asylgesuchen möglich wären und Standards bei der Versorgung gesenkt werden können. Dieser Vorschlag ist so umstritten, dass die Reform jetzt stockt. Eigentlich soll das Paket bis Jahresende beschlossen werden. Umsetzung nicht vor 2025. Die Reform kann illegale Migration erheblich eindämmen, aber erst später.
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Mehr Grenzkontrollen: Die gibt es seit 2015 bereits an der Grenze zu Österreich. Sie sollen jetzt auch an der Grenze zu Polen und Tschechien eingeführt werden, wo die Zahl illegal eingereister Migranten steigt. Ziel ist in erster Linie die Bekämpfung der Schleuserkriminalität, die Einreisen gehen allenfalls mittelfristig zurück: Sobald die Migranten an der Grenze um Asyl bitten, muss ihr Asylantrag in Deutschland geprüft werden. Ein neues Urteil des Europäischen Gerichtshofs erschwert eine Zurückweisung zusätzlich. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) widerspricht schon Erwartungen, dass wegen der Kontrollen keine Asylbewerber mehr kämen. Doch hat der Schritt Symbolwirkung nach innen und außen: Der Staat wehrt sich gegen Kontrollverlust.
Andere Verteilung in Europa: Die geplante EU-Asylreform soll für eine gerechtere Lastenteilung sorgen, mindestens mit Geld müssten alle EU-Länder einen Beitrag leisten. Doch für Deutschland verspricht das weniger Entlastung als oft angenommen. In den letzten Jahren hat Deutschland als größtes EU-Land meist ein Fünftel bis ein Viertel der Asylbewerber in Europa aufgenommen – etwa so viel, wie es seiner Bevölkerungszahl oder Wirtschaftskraft entspricht. Dieser Anteil wird sicher auch künftig als Mindestbeitrag erwartet. Die Forderung nach solidarischer Verteilung ist besonders beliebt, weil politisch korrekt. Aber für Deutschland ist sie allein keine Lösung.
Sachleistungen statt Geld: Politiker von Union, AfD und FDP fordern, Leistungen für Asylbewerber (bislang Regelsatz 410 Euro im Monat) zu kürzen und Geld durch Sachleistungen zu ersetzen, um den Zuzug nach Deutschland unattraktiver zu machen. Der Spielraum ist aber nicht sehr groß. Zum einen hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass radikale Kürzungen nicht zulässig sind, das Existenzminimum gilt auch für Asylbewerber. Zum anderen beklagen die Kommunen, Sachleistungen brächten enormen bürokratischen Aufwand. Geld lässt sich damit sowieso kaum sparen. Keine Lösung, nur Dauerbrenner für Migrationsdebatten.
Abschiebungen erleichtern: Mehr Staaten als sichere Herkunftsländer einstufen, in denen keine politische Verfolgung droht - das soll es ermöglichen, Asylanträge aus solchen Ländern beschleunigt zu entscheiden und in der Regel abzulehnen, die Antragsteller danach in ihre Heimat zurückzuschicken. Die Bundesregierung will jetzt auch Georgien und Moldau zu sicheren Herkunftsländern erklären und so chancenlose Migranten abschrecken. Union und AfD, aber auch die FDP fordern, Algerien, Marokko und Tunesien ebenfalls so zu klassifizieren.
Indes: Abschiebungen gehen nur schneller, wenn die Herkunftsländer auch mitmachen, was in den Maghrebstaaten nicht erkennbar ist. Mit Georgien und Moldau verhandelt die Bundesregierung derzeit über neue Abkommen. Menschen aus beiden Ländern stellen etwa zehn Prozent aller Asylanträge in Deutschland. Die Maßnahme kann also helfen – aber nicht durchschlagend. Die meisten Flüchtlinge kommen aus Staaten, die nicht als sichere Herkunftsstaaten eingestuft werden können.
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