Berlin. Kleidung und Lebensmittel statt Bargeld: Die Debatte um Sachleistungen für Asylbewerber ist voll entbrannt. Das sind die Fakten.
Jeder Flüchtling erhält in Deutschland ein Willkommensgeld von 2000 Euro? Falsch, informiert das Auswärtige Amt auf der englischsprachigen Internetseite „Rumors about Germany“ (Gerüchte über Deutschland). Wer in Deutschland Asyl beantrage, müsse ein „langes und äußerst kompliziertes“ Verfahren durchlaufen. Bei Erfolg gebe es „nur die grundlegendste finanzielle Unterstützung“, mit der sich kaum der tägliche Lebensunterhalt finanzieren lasse, warnt das Auswärtige Amt vor falschen Vorstellungen über das Leben in Deutschland.
Fakt ist jedoch, dass Asylbewerber hierzulande weitaus höhere staatliche Unterstützung bekommen können als in anderen europäischen Ländern. So kann ein alleinstehender Erwachsener nach dem Asylbewerberleistungsgesetz 410 Euro im Monat erhalten, während es in Großbritannien umgerechnet etwa 210 Euro, in Schweden 180, in Griechenland 150 und in Ungarn nur 60 Euro sind.
Sind die Zahlungen an Asylbewerber in Deutschland ein „Pull-Faktor“?
Die Lebenshaltungskosten unterscheiden sich von Land zu Land allerdings deutlich, der deutsche Staat ist vom Bundesverfassungsgericht zudem verpflichtet worden, Asylbewerbern ein menschenwürdiges Existenzminimum zu gewährleisten. Es wird aber darüber diskutiert, ob die Höhe der Hilfen ein entscheidender „Pull-Faktor“ sei. Also ein Grund, sich gezielt auf den Weg nach Deutschland zu machen. Migrationsexperten bezweifeln, inwiefern niedrigere Zahlungen etwa Menschen aus Bürgerkriegsregionen von einer Flucht abhalten.
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Die Union fordert, kein Bargeld mehr an Asylbewerber auszahlen, um Fluchtanreize zu mindern. Von den 410 Euro bekommt ein alleinstehender Asylbewerber in der Regel 182 Euro als Taschengeld in bar für den notwendigen persönlichen Bedarf. Der Rest kann auch als Sachleistung ausgezahlt werden. Die FDP will dies ebenfalls ändern: „Es muss aufhören, dass Schutzsuchende Teile der ihnen zustehenden Asylbewerberleistungen in ihre Heimatländer überweisen“, sagte Fraktionsvize Konstantin Kuhle dieser Redaktion. Denn bei den Leistungen gehe es nicht um die Unterstützung der Familie in der Heimat, sondern um die Sicherstellung einer Mindestversorgung während des Asylverfahrens in Deutschland. Die Länder und Kommunen sollten daher „schnellstmöglich auf Sachleistungen oder Bezahlkarten“ umstellen, fordert Kuhle. Der Deutsche Landkreistag unterstützt dies aufgrund der hohen Flüchtlingszahlen.
Versorgung mit Sachleistungen eine „riesige logistische Herausforderung“
Der Vorschlag entspringe „dem populistischen Reflex, beinahe im Tagestakt neue Maßnahmen zu entwickeln, die Geflüchteten das Leben schwerer machen sollen“, sagte hingegen die Parlamentsgeschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion, Irene Mihalic, dieser Redaktion. Skeptisch ist auch der Deutsche Städtetag: Schon heute sei es rechtlich möglich, Sach- statt Geldleistungen auszugeben, sagte die stellvertretende Hauptgeschäftsführerin Verena Göppert dieser Redaktion. „Dass das kaum eine Kommune so praktiziert, hängt mit dem hohen Verwaltungsaufwand zusammen.“
Viele dezentrale Einrichtungen regelmäßig mit Lebensmitteln, Kleidung oder anderen Artikeln für den täglichen Bedarf zu versorgen, „wäre eine riesige logistische Herausforderung“. Auch eine Kartenlösung hält Göppert nicht ohne zusätzlichen Aufwand machbar: „Es wird immer wieder einzelne Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz geben, die nicht über solche Karten abgewickelt werden können.“
Feuern Wahlkämpfe in Bayern und Hessen die Diskussion an?
Aus den Regierungszentralen mehrerer Bundesländer heißt es, eine Umstellung in den ohnehin unter Fachkräftemangel leidenden Behörden sei kaum zu leisten. Aus Nordrhein-Westfalen und Thüringen war am Donnerstag offiziell zu hören, dass eine Umstellung auf ein Kartensystem nicht geplant sei. Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) sagte: „Für mich ist es denkbar, dass wir insbesondere bei denen, die keine Bleibeperspektive haben und ausreisepflichtig sind, alle Geldleistungen zurückfahren und auf Sachleistungen setzen.“ Einen Flickenteppich in Deutschland mit unterschiedlichen Regelungen und technischen Lösungen dürfe es aber nicht geben.
Der Städte- und Gemeindebund warnt, die Umstellung auf Sachleistungen sei schwer umzusetzen, erzeuge Bürokratie und werde den Personen mit Bleibeperspektive nicht gerecht. Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg kritisierte kürzlich, die Diskussion sei wohl den Wahlkämpfen in Bayern und Hessen geschuldet, wo am Sonntag gewählt wird. Er verweist außerdem auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wonach ein Taschengeld ohnehin in bar gezahlt werden müsse.
EKD-Ratsvorsitzende mahnt zu „menschenfreundlicher Debatte in sachlicher Tonalität“
Mihalic macht einen Gegenvorschlag: „Wenn es Geflüchteten direkt erlaubt wäre, eine Arbeit aufzunehmen, bräuchten viele von ihnen weder Sach- noch Geldleistungen vom Staat“, sagte die Grünen-Politikerin. „Die Aufhebung von Arbeitsverboten ist daher die Debatte, die uns in der Sache wirklich weiterbringt, die Kommunen massiv entlasten würde und die wir jetzt führen sollten, statt immer wieder neue populistische Säue durchs Dorf zu jagen.“ Dies unterstützen auch die Ampel-Koalitionspartner SPD und FDP.
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Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, mahnt zur Sachlichkeit in der Flüchtlingsdebatte. Unterbringung und Integration der Geflüchteten setzten vor allem die Kommunen unter Druck. „Die Herausforderung ist enorm, die Aufnahme ist angemessen zu organisieren und es gilt, politisch für sie einzustehen“, sagte die EKD-Vorsitzende dieser Redaktion. „Dass Flüchtlingsschicksale dieser Tage für europa- oder wahlpolitische Motive missbraucht werden, finde ich erschreckend. Ich plädiere für eine menschenfreundliche Debatte in einer sachlichen Tonalität.“
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