Berlin. Die breite Zustimmung für Waffenlieferungen bröckelt, sagt der Militärexperte und erklärt, warum der Wahlkampf in Polen Putin hilft.
Er zählt zu den bekanntesten Militärexperten in Deutschland: Carlo Masala. Der 55-Jährige lehrt Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr München. Er beantwortet unserer Redaktion jede Woche die wichtigsten Fragen rund um den Ukraine-Krieg.
Herr Professor Masala, Polen will offenbar keine weiteren Waffen mehr in die Ukraine liefern. Was bedeutet das?
Carlo Masala: Die Aussage des polnischen Ministerpräsidenten Morawiecki war nicht so eindeutig, er hat ein paar relativierende Sätze hinterher geschoben. Deshalb wissen wir noch nicht so ganz genau, was damit gemeint ist. Generell ist es aber so, dass die Polen extrem verärgert sind, weil die Ukrainer wegen der Getreidefrage Klage gegen Polen bei der WTO erhoben haben. Die polnische Landbevölkerung lehnt den Import des ukrainischen Getreides nach Polen ab. Zudem, das haben Umfragen gezeigt, ist sie skeptisch, was die Waffenlieferungen in die Ukraine anbelangt. Die Regierungspartei PiS ist gerade in einem Panikmodus, weil sie auch noch die Visa-Affäre an den Füßen kleben hat. Das wäre eine rein innenpolitisch, wahlkampftaktisch bedingte Entscheidung der Polen.
Aber eine innenpolitische Entscheidung mit großen Auswirkungen?
Masala: Ja, die Entscheidung hat nichts mit der Ukraine zu tun. Aber sie zeigt Risse im Fundament der Nato-Staaten. Und darauf hat Putin immer spekuliert. Und wir sehen inzwischen auch, dass die breite gesellschaftliche Zustimmung zu Waffenlieferungen bröckelt, weil angeblich zu wenige Erfolge zu sehen sind. Ungarn hat seine bekannte Position, und auch in der Slowakei sind bald Wahlen. Wenn Robert Fico dort gewinnen sollte, ist davon auszugehen, dass die Unterstützung der Ukraine abnimmt. Das gefährdet die Einheit des Bündnisses und spielt Putin die Hände.
Land | Ukraine |
Kontinent | Europa |
Hauptstadt | Kiew |
Fläche | 603.700 Quadratkilometer (inklusive Ostukraine und Krim) |
Einwohner | ca. 41 Millionen |
Staatsoberhaupt | Präsident Wolodymyr Selenskyj |
Regierungschef | Ministerpräsident Denys Schmyhal |
Unabhängigkeit | 24. August 1991 (von der Sowjetunion) |
Sprache | Ukrainisch |
Währung | Hrywnja |
Der ukrainische Präsident Selenskyj ist gerade in den USA, er trifft auch Senatoren und spürt, dass die Unterstützerfront bröckelt. Wie lange bleibt ihm noch Zeit für die Gegenoffensive?
Masala: Es ist klar, dass der Krieg im nächsten Jahr weitergehen wird. Die zentrale Frage, die über allem schwebt, ist nicht die nach neuen Waffen, sondern: Wird ein konstanter Fluss an Munition, Ersatzteilen und Artillerie in die Ukraine kommen? Ende des Jahres kommen die F-16-Jets. Das heißt, die Offensive wird im Frühjahr 2024 weitergehen. Und wenn Trump oder ein trumpähnlicher Präsident nach der US-Wahl an die Macht kommt, werden die Karten komplett neu gemischt. Bis dahin ist noch mindestens ein Jahr Zeit.
Gehen Sie davon aus, dass Deutschland die Taurus-Marschflugkörper liefern wird?
Masala: Nachdem jetzt klar geworden ist, dass die USA keine ATACMS-Marschflugkörper in die Ukraine liefern, gehe ich erst mal nicht davon aus, dass die Taurus geliefert werden. Bundeskanzler Scholz sucht in diesen Fragen immer die enge Abstimmung mit Präsident Biden.
Die Ukraine fliegt zum Teil heftige Drohen-Angriffe auf die Krim. Wie lange lässt sich Putin das noch gefallen? Steigt durch diese Angriffe die Gefahr einer nuklearen Eskalation des Krieges?
Masala: Putin hat den Angriffen wenig entgegenzusetzen, er hat die U-Boote der Schwarzmeerflotte aus Sewastopol abgezogen, um sie zu schützen. Die Nuklearwaffenfrage wird seit Kriegsbeginn gestellt. Putin hat sie bisher nicht eingesetzt. Es gilt weiter die amerikanische Drohung, ihr Einsatz hätte katastrophale Konsequenzen. Und auch die Chinesen und Inder haben erklärt, dass ihr Einsatz ein absolutes No-Go ist. Warum sollte Putin sie jetzt einsetzen, um einen Effekt zu erzielen, den er die ganze Zeit hätte bekommen können? Er hat zu viel zu verlieren. Seine eigenen Streitkräfte würden bombardiert, und er wäre international komplett isoliert.
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Die Ukrainerinnen und Ukrainer fürchten einen Eiswinter, sie sorgen sich, dass Russland wieder die Energieversorgung ins Visier nimmt.
Masala: Das wird auch so passieren. Putin wird versuchen, die zivile Infrastruktur in Schutt und Asche zu legen. Deshalb versuchen die Ukrainer, auch mit Hilfe der Bundesrepublik, Vorkehrungen zu treffen.
In Bachmut macht die ukrainische Armee Fortschritte. Was bedeutet es, wenn die Stadt fällt?
Masala: Der Fall von Bachmut hätte vor allem einen psychologischen Effekt auf die russischen Soldaten. Die Russen haben einen hohen Blutzoll gezahlt, um die Stadt einzunehmen. Dazu kommt, dass es die Wagner-Kämpfer waren, die Stadt Bachmut erobert haben, sie würde jetzt verloren, weil die regulären Truppen sie nicht halten können. Das könnte sich auf die Kampfmoral anderer Truppenteile im Osten und im Süden auswirken.
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