Moskau. In Russland eskaliert der Machtkampf zwischen der Armeeführung und Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin. Putin steckt in der Zwickmühle.

Noch immer gilt Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin als getreuer Gefolgsmann von Russlands Präsident Wladimir Putin. Auf den Chef der Söldnertruppe Wagner konnte sich der Kreml-Herrscher bisher blind verlassen. Prigoschin, als Großgastronom zu Reichtum gelangt, setzt seine Söldner-Truppe dort ein, wo es besonders brenzlig ist, zuletzt etwa im Kampf um die strategisch und symbolisch wichtige Stadt Bachmut. Lesen Sie auch: Söldnertruppe führt Russen vor: Gnadenloses Verhörvideo

Eine Anordnung des russischen Verteidigungsministeriums könnte nun aber einen Keil zwischen "Putins Koch" und den Kreml-Despoten treiben. Verteidigungsminister Sergej Schoigu will per Anordnung alle Freiwilligenverbände, die auf Seiten der russischen Armee kämpfen, unter seine Befehlsgewalt bringen. Bis zum 1. Juli müssten alle dieser etwa 40 Verbände einen Vertrag mit der Behörde unterzeichnen, teilte der stellvertretende Verteidigungsminister Nikolai Pankow mit.

Für Prigoschin ist diese Anordnung nichts weniger als ein Affront. Seine Reaktion kam prompt. Prigoschin teilte am Sonntag mit, er weigere sich, solch einen Vertrag zu unterschreiben. Verteidigungsminister Sergej Schoigu könne über das Ministerium und die Soldaten bestimmen, sagte Prigoschin in einer über seinen Telegram-Kanal veröffentlichten Sprachnachricht. Der Minister sei aber schon bisher nicht in der Lage, seine eigenen Truppen zu führen. Wagner werde daher keine Verträge mit Schoigu unterzeichnen.

Russlands Präsident Wladimir Putin
Russlands Präsident Wladimir Putin © Gavriil GRIGOROV / SPUTNIK / AFP

Präsident Wladimir Putin gerät durch die Weigerung Prigoschins politisch unter Druck. Als Staatschef und oberster Befehlshaber wird er dem Wagner-Chef ein "Njet" nicht durchgehen lassen können, ohne seine Gesicht zu verlieren. Auf der anderen Seite ist er auf die Dienste Prigoschins und seiner Truppe angewiesen. Lange Zeit waren Privatarmeen wie die Söldnergruppe Wagner offiziell verboten, der Kreml dementierte regelmäßig deren Einsatz – etwa bei der Eroberung der Halbinsel Krim oder in Syrien.

Prigoschin wirft Armeeführung Unfähigkeit vor

Prigoschin war zuletzt immer wieder mit scharfer Kritik an Russlands Armeeführung hervorgetreten und hatte ihr Unfähigkeit vorgeworfen. In den sozialen Medien lehnt sich der Wagner-Chef regelmäßig weit aus dem Fenster, in dem sicheren Wissen, dass Moskau im Ukraine-Krieg auf die Wagner-Truppe kaum verzichten kann. Zudem hält der russische Präsident bisher seine schützende Hand über Prigoschin, muss aber auch fürchten, dass ihm in seinem Gefolgsmann ein Rivale erwächst.

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Ein ukrainischer Soldat feuert an der Frontlinie nahe Bachmut einen Granatenwerfer auf russische Stellungen.
Ein ukrainischer Soldat feuert an der Frontlinie nahe Bachmut einen Granatenwerfer auf russische Stellungen. © Efrem Lukatsky/AP/dpa

Prigoschin betonte mit Blick auf die Befehlsgewalt, dass er sich Präsident Wladimir Putin als Oberbefehlshaber und den Interessen Russlands unterordne. Um einen versöhnlichen Ton bemüht lobte er den stellvertretenden Chef des russischen Generalstabs, Sergej Surowikin. Surowikin sei klug, erfahren und stehe für ein hohes Maß an Effektivität und Erfolg.

Moskau nimmt Kadyrow-Privatarmee unter Vertrag

Unterdessen hat das russische Verteidigungsministerium eine erste Privatarmee unter Vertrag genommen. Das Dokument sei zwischen dem Ministerium und der Spezialeinheit Achmat unterzeichnet worden, heißt es in einer Pressemitteilung der Behörde am Montag. Achmat (etwa 20.000 Kämpfer) gilt als Privatarmee des tschetschenischen Machthabers Ramsan Kadyrow.

Kadyrow und Prigoschin galten lange Zeit als Tandem im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und kritisierten gemeinsam Generalstab und Verteidigungsministerium wegen der ihrer Ansich nach falschen Taktik und eines zu weichen Vorgehens. Allerdings haben sich Söldnerchef und Tschetschenenführer zuletzt öffentlich zerstritten. Während Prigoschin den Tschetschenen vorwarf, sie seien auf dem Schlachtfeld nicht zu sehen, sondern drehten hauptsächlich Tik-Tok-Videos, machte Kadyrow sein Gegenüber für die hohen russischen Verluste vor Bachmut verantwortlich.

Kadyrows Achmat-Kämpfer, Prigoschins Wagner-Söldner und all die anderen Privatarmeen, die entstehen: Die Privatisierung militärischer Gewalt bereitet Politikwissenschaftlern wie Dmitri Schurawljew Sorgen. „Meiner Meinung nach ist Wagner eher eine politische Organisation, die theoretisch irgendwann Ansprüche auf Staatsmacht im Land erheben kann“, sagte er. „Es kann nur so lange Vorteile bringen, wie alles unter der strengen Kontrolle des Staates steht. (tok/dpa)

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