Berlin. Wie kam es zum Zusammenstoß zwischen Militärhelikopter und Passagiermaschine in Washington? Ein Luftfahrtexperte sieht enorme Risiken.

Beim Landeanflug auf den Ronald-Reagan-Flughafen der US-Hauptstadt Washington stößt ein Passagierflugzeug mit einem Militär-Helikopter zusammen und stürzt in den Fluss Potomac. Die Suche nach den Opfern läuft auf Hochtouren, mehrere Leichen wurden bereits geborgen. Wie konnte es überhaupt zu dem Flugunglück kommen?

Im Interview erklärt der Luftfahrt-Experte Heinrich Großbongardt, wie wahrscheinlich so ein Zusammenstoß in der Luft ist, in welcher schwierigen Situation sich beide Besatzungen und Fluglotsen befanden und welche drängenden Fragen jetzt geklärt werden müssen.

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Wie schätzen Sie den Zusammenstoß zwischen dem Militärhubschrauber und der Passagiermaschine in Washington ein – wie wahrscheinlich ist ein solcher Unfall?

Heinrich Großbongardt: Solche Zusammenstöße in der Luft sind statistisch gesehen natürlich unwahrscheinlich. Aber in diesem Fall herrschte rund um den Flughafen dichter Verkehr. Und dadurch, dass der Militär-Hubschrauber den Endanflug der Passagiermaschine auf die Landebahn gequert hat, ergab sich eine potenziell gefährliche Situation.

Es laufen Untersuchungen, auch was die Unglücksursache angeht. Welche Rolle könnte eine mögliche Überlastung der Flugsicherung, also der Fluglotsen, an diesem Flughafen gespielt haben?

Großbongardt: Das werden die Untersuchung zeigen müssen. Aber es gibt seit längerem Hinweise und auch deutlich vernehmbares Klagen darüber, dass die Fluglotsen in den USA überlastet, unterbesetzt, dass sie überarbeitet sind. Man darf nie vergessen, das ist ein extrem anstrengender und extrem verantwortungsvoller Job.

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Ebenfalls kein Geheimnis ist, dass der Ronald-Reagan-Flughafen der Hauptstadt schon länger am Rande der Kapazitätsgrenze arbeiten soll und sozusagen aus allen Nähten platzt. Könnte auch das mit zu diesem Flugunglück geführt haben?

Großbongardt: Die Wahrscheinlichkeit solcher Unglücke ist natürlich umso höher, je mehr Verkehr herrscht. Wir hatten zum Zeitpunkt des Unglücks die Peak-Zeit am Abend, da landen die Flugzeuge beinahe im Minutentakt. Das ist eine extrem komplexe Situation, die die Flugsicherung da handeln muss. Schon allein dadurch, dass sich dort unterschiedliche Start- und Landebahnen kreuzen. Und wenn dann auch noch Militärflugverkehr dazukommt, der mit eingefädelt werden muss, ist das schon eine Situation, die an die Grenze führen kann.

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Heinrich Großbongardt gehört zu den renommiertesten Luftfahrtexperten Deutschlands. Der studierte Jurist arbeitete unter anderem für die Lufthansa, den Hersteller Boeing und die Pilotenvereinigung Cockpit. © picture alliance/dpa | Gregor Schläger

Wie erklären Sie sich, dass es offenbar keinerlei Ausweichbewegung beim Flugzeug gab?

Großbongardt: Das Flugzeug befand sich in stabilem Endanflug auf die Landebahn, soweit man das aus den vorhandenen Daten sehen kann. Da verändert man nichts mehr, es sei denn, man sieht etwas. Die Piloten haben den von der Seite kommenden Hubschrauber mutmaßlich gar nicht oder erst in der letzten Sekunde gesehen.

Luftfahrtexperte: „Womöglich Flugzeug in diesem Lichtergewirr übersehen“

Hätte der Hubschrauber das Flugzeug nicht sehen müssen?

Großbongardt: Man muss sich genau ansehen, wie die Flugwege zueinander waren. Man darf nicht vergessen, dass es trotz guter Flugsicht dunkel war. Der Hubschrauberpilot bewegt sich da in einem Lichtermeer. Das Flugzeug kam aus seiner Sicht von der Seite, er hat unter Umständen die Landescheinwerfer gar nicht gesehen, sondern nur die Positionslichter. Dazu dürfte er die Lichter der Stadt und die Lichter des Flughafens vor sich gehabt haben, dazu die roten Lichter, die Hindernisse markieren. Das ist schon ein ziemlich komplexes Bild. Womöglich hat er in diesem Lichtergewirr dieses Flugzeug übersehen.

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Wir sprechen also vermutlich nicht von technischen Problemen? 

Großbongardt: Es handelt sich mit allergrößter Wahrscheinlichkeit um menschliches Versagen. Man wird am Ende vermutlich auch nicht einer Person die Schuld geben können. Unfälle in der Luftfahrt sind immer das Ergebnis sehr komplexer Kausalketten. Da spielt ganz viel zusammen, vieles muss jetzt geklärt werden.

Welche Fragen zum Zusammenstoß drängen sich jetzt auf?

Großbongardt: Wie war die Kommunikation zwischen dem Fluglotsen und den beiden Luftfahrzeugen? Hat die Besatzung des Passagierflugzeugs die Kommunikation mit dem Hubschrauber mitbekommen? Haben sie also gewusst, dass da ein Helikopter kommt? Und welche Informationen hatte andersherum die Hubschrauberbesatzung über den ihnen in die Quere kommenden Verkehr? Wieso sind sie überhaupt in dieser Höhe von 130 Metern dort durchgerauscht? Es gibt einen Riesenwust an Fragen, die geklärt werden müssen, bevor man überhaupt sagen kann, was da alles schiefgelaufen ist.

Großbongardts warnt: „System an der Grenze der Belastbarkeit“

Ist Ihnen ein ähnlich schwerer Flugunfall aus der Vergangenheit bekannt?

Großbongardt: Das ist ein sehr seltener Unfall. In Deutschland hatten wir in den Neunzigerjahren in Überlingen den Zusammenstoß zwischen einer DHL-Maschine und einem Tupolev-Frachter. Damals war der Fehler eines Schweizer Fluglotsens der Auslöser. Aber Beinahe-Zusammenstöße, selbst hier in unserem wirklich dicht beflogenen Luftraum, passieren zum Glück sehr selten.

Phoenix Vereinigte Staaten 8 April 2019: Ein Bombardier CRJ 700 Flugzeug der American Eagle SkyWest Airlines mit dem Kennzeichen N708SK auf dem Flughafen Phoenix Sky Harbor (PHX) in den Vereinigten Staaten
Vom Typ Bombardier CRJ 700 war auch das verunglückte Flugzeug der American Airlines in Washington. © picture alliance / CHROMORANGE | Markus Mainka

Und in den USA?

Großbongardt: Wir haben in den USA eine Menge Warnzeichen in den letzten Jahren erlebt. Es gab einige Beinahe-Zusammenstöße beim Landeanflug in unmittelbarer Nähe der Flughäfen, wo sich Luftfahrzeuge in die Quere gekommen sind. Beinaheunfälle sind immer Vorboten von Katastrophen. Sie deuten darauf hin, dass dieses System, so wie es zumindest an einigen Flughäfen in den USA aussieht, an der Grenze der Belastbarkeit ist.

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Ist es in den USA normal, dass so ein Ausbildungsflug des Militärs in der Gegend großen eines Passagierflughafens stattfindet?

Großbongardt: Man muss sehen, was das für ein Ausbildungsflug war. Mit einer Black Hawk fliegen sicherlich keine Rookies, also Anfänger durch die Gegend. Auch das ist eine Frage, die zu klären ist. Und selbst wenn das ein Ausbildungsflug war, heißt das ja auch immer, dass da zumindest ein erfahrener Fluglehrer mit an Bord ist, der die Situation und das Luftfahrzeug kennt.

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Ist ein ähnliches Unglück auch an einem deutschen Flughafen zu befürchten?

Großbongardt: Ich sehe keine Hinweise darauf. Ganz klar, auch wir haben dichten Luftverkehr in Deutschland. Aber aus meiner Sicht ist die Situation der Deutschen Flugsicherung, der DFS, nicht im Ansatz mit dem zu vergleichen, was da in den USA herrscht. Grundsätzlich gilt, wo Menschen agieren, können Fehler passieren. Wo Computer agieren, können auch Fehler passieren. Aber die Wahrscheinlichkeit eines solchen Unglücks ist aus meiner Sicht sehr, sehr, sehr gering.