Berlin. Adele Neuhauser kennt das Leben von vielen Seiten. Hier spricht sie über ihre erste große Liebe – und was an der „unfassbar“ war.

Adele Neuhauser ist Kult: Als Bibi Fellner im „Tatort“ Wien (ARD) begeistert sie an der Seite von Harald Krassnitzer seit Jahren ein Millionenpublikum. Für Neuhauser (65), die in „Ungeschminkt“ (13. November, ARD, 20.15 Uhr) eine Transsexuelle spielt, ist das Thema Liebe in ihrem Leben nicht wegzudenken. Ihre Erfahrungen auf dem Gebiet waren nicht immer einfach. Allerdings erlebte sie auch Romantik, wie sie in der Serie „Meine erste Liebe“ der FUNKE Tageszeitungen erzählt.

„Ungeschminkt“ dreht sich letztlich um unsere Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit. Mit welchem Geschlechterbild sind Sie aufgewachsen? 

Adele Neuhauser: Ich bin Jahrgang 1959. Sie können sich also vorstellen, dass damals das Männerbild vom Machotum geprägt wurde. Danach habe ich meine Erfahrungen mit der radikalen Wiener Kunstszene gemacht, wo völlig andere männliche und weibliche Charaktere lebendig wurden – mit Freier Liebe und Nacktheit.

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Und Sie haben sich in dieser Szene wohlgefühlt?

Neuhauser: Nein, denn ich hatte in der Zeit ziemliche Probleme mit mir. In jungen Jahren hat man Schwierigkeiten, sich selbst zu finden, bis man das ist, was einem vorschwebt. Das war bei mir ein Prozess, der sich ganz lange hingezogen hat. Nach einer Stimmbandoperation 2008, bei der meine Stimme heller wurde, habe ich dann plötzlich meine Weiblichkeit neu entdeckt.

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Sind Sie jetzt da, wo Sie immer sein wollten?

Neuhauser: Ja. Nur habe ich nicht mit den Entwicklungen der Welt gerechnet, und deshalb bin ich nach wie vor ratlos. Aber mit mir bin ich zufrieden.

Adele Neuhauser: Zu ihrem Glück gehören Freunde und die Enkelkinder

Warum sind Sie mit sich zufrieden?

Neuhauser: Weil ich ein glückliches Leben habe. Weil ich mit schönen Herausforderungen beschenkt werde. Weil ich zwei Enkelkinder habe, wo ich meine unfassbar große Liebe ausleben kann. Weil ich sehr viele gute Freunde habe. Und weil das, was ich mache, eine schöne Resonanz findet.

Bei der persönlichen Selbstfindung kann auch die erste Liebe eine große Rolle spielen. Wie war das bei Ihnen?

Neuhauser: Es gab die unschuldige erste Kindergartenliebe. Da weiß ich, dass ich einem Jungen, der davon ein bisschen überfordert war, einen Kuss abgerungen habe. Und die richtige erste Liebe hatte ich in Griechenland. Da war ich zwölf. Ich bin jedes Jahr mit meinem Vater in mein Geburtsland gereist, wo wir immer auf eine Insel in den Kykladen gefahren sind. Plötzlich war da ein junger Mann, den ich wahnsinnig aufregend fand. Mein Vater hat zwar wie ein echter griechischer Macho-Patriarch mit Argusaugen beobachtet, wo ich hinschaue und hingehe. Aber ich konnte ihm doch ab und an entschlüpfen und meinen ersten Trieben freien Lauf lassen. So habe ich meinen ersten richtigen Kuss bekommen.

ARD - «Tatort: Deine Mutter»
Adele Neuhauser als Bibi Fellner im „Tatort“ Wien, vorne Harald Krassnitzer als TV-Kommisar Moritz Eisner. © picture alliance/dpa/ARD Degeto/ORF | Petro Domenigg

Warum war dieser Junge so aufregend?

Neuhauser: Mein Großvater, der Künstler war, hat ein Porträt meines Bruders angefertigt, wo er aussah wie der Wagenlenker von Delphi, eine der bekanntesten Bronzestatuen der griechischen Antike. Und dieser junge Mann war dieser Wagenlenker leibhaftig. Er war ein unglaublich schöner Mann. Er hatte all diese Anziehung und Grazie, die ich natürlich in meinem Bruder nicht sehen durfte.

„Tatort“-Star über die magische Anziehungskraft: „Es war unfassbar“

Und Ihr Angebeteter war sofort von Ihnen eingenommen?

Neuhauser: Es war die Magie der Geschichte, dass wir uns auf höchst eigenartige Weise voneinander angezogen gefühlt haben, sobald wir uns gesehen hatten. Es war unfassbar. Das ist mir nie wieder so passiert. 

Schade.

Neuhauser: Wenigstens einmal.

Was passierte nach diesem Urlaub?

Neuhauser: Die Hoffnung war, dass ich ihn im nächsten Jahr wiedersehe. Wir haben versucht, die Anziehung frisch zu halten, indem wir uns einmal einen Brief geschrieben haben. Aber im darauf folgenden Urlaub war er nicht mehr da. 

Mehr aus der Serie „Meine erste Liebe“

Wie kamen Sie damals damit klar?

Neuhauser: Ich neige zur Tragödie. Ich bin sozusagen ein griechisches Drama. So habe ich dieses Jahr mit lustvollem Leid verbracht. Im nächsten Sommer war es dann vorbei, und es war okay. Die Jugend orientiert sich um und neu.

Schauspielerin lernte ihren ersten Freund in der Disco kennen

Wann hatten Sie dann die erste richtige Beziehung, bei der Sie verstanden haben, was wahre Liebe ist?

Neuhauser: Wahre Liebe ist, wenn das Gegenüber in dir die schönsten Dinge weckt, die du in dir selbst trägst. Wo du dich in dem Moment, in dem du mit dem anderen zusammen bist, so annehmen kannst, wie du dich oft nur erträumt hast. Ich glaube aber nicht, dass ich das in der ersten Beziehung schon so empfunden habe.

Meine erste Liebe Themenseitenbild
In der Reihe „Meine erste Liebe“ der FUNKE Tageszeitungen berichten Promis über ihre ersten Erfahrungen in Sachen Beziehungen. © ZRB | iStock

 Wie kann man sich diese Beziehung dann vorstellen?

Neuhauser: Da war ich um die 16, ich habe den jungen Mann in der Disco kennengelernt. Er war lustig, war fesch, konnte gut tanzen, was sehr wichtig war, und er hatte ein Motorrad. Ich fand es irre aufregend, mit ihm Motorrad zu fahren. Es war eine Zeitlang ganz schön, aber es hatte nicht wirklich Zukunft. Wobei ich mich schützend vor diesen jungen Mann stellen muss. Denn ich hatte eben in der Phase bis zu meinem 21. Lebensjahr ein bisschen Probleme mit mir selbst.

Wer mehr von Ihnen kennt, weiß, dass „ein bisschen Probleme“ ein wenig sanft ausgedrückt ist. Sie unternahmen in dieser Zeit einige Suizidversuche. Wie sehen Sie diese Zeit heute?

Neuhauser: Es sind mir viele grausige Sachen passiert, auf die ich auf den ersten Blick hätte verzichten können. Aber im Rückblick haben sie mich zu dem gemacht, was ich bin, und deshalb würde ich nicht auf sie verzichten wollen. Nur wenn das Leben dich herausfordert, fängst du an, dich zu reflektieren. Und ohne das hätte ich mich nicht so in der Form weiterentwickelt. Aber das Leben ist eben nichts für Feiglinge.

Anmerkung der Redaktion

Aufgrund der hohen Nachahmerquote berichten wir in der Regel nicht über (mögliche) Suizide oder Suizidversuche, außer sie erfahren durch die Umstände besondere Aufmerksamkeit. Wenn Sie selbst unter Stimmungsschwankungen, Depressionen oder Suizidgedanken leiden oder Sie jemanden kennen, der daran leidet, können Sie sich bei der Telefonseelsorge helfen lassen.

Sie erreichen sie telefonisch unter 0800/111-0-111 und 0800/111-0-222 oder im Internet auf www.telefonseelsorge.de. Die Beratung ist anonym und kostenfrei, Anrufe werden nicht auf der Telefonrechnung vermerkt.

Adele Neuhauser über Geschlechterrollen: „Manchmal sind wir auch Neutren“

Haben Sie dann auch verstanden, was Männer und Frauen ausmacht?

Neuhauser: Nein, bis heute nicht. Ich habe viele Charaktere verkörpert, die diese Frage gestellt haben. Aber letztlich sind wir alle Menschen, die sich selbst und anderen Verletzungen zufügen. Irgendwann bekommen wir dann die Rechnung serviert, sodass wir uns damit auseinandersetzen. Doch das ist möglich, und deshalb kann man hoffnungsfroh in die Zukunft schauen. Letztlich tragen wir beides in uns. Wir sind nicht nur Mann und nicht nur Frau. Wir sind manchmal auch Neutren. Und je nach Situation zeigen wir diese Geschlechter. 

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Adele Neuhauser, manchmal auch mit Zigarette, wie hier in der Bar Brass in Berlin. © picture alliance / Eventpress | Eventpress Fuhr

Haben Sie Ihrem Sohn ein bestimmtes Männer- oder Frauenbild vermittelt?

Neuhauser: Ich habe Forderungen gestellt, wie wir ein respektvolles Miteinander leben. Das war mir das Wichtigste

Sind eigentlich Frauen stärker als Männer?

Neuhauser: Im Moment einer Geburt sicher. Aber wir brauchen einander. Wir sind nur gemeinsam stark.