Berlin. 15 Jahre nach dem Suizid von Robert Enke spricht seine Witwe Teresa Enke über das, was ihn quälte. Und warum es zum Schlimmsten kam.
Am 10. November 2009 stand die Fußballwelt still. Der damalige Nationaltorwart Robert Enke beging im Alter von 32 Jahren Selbstmord. Seine Witwe Teresa Enke suchte nach dem Schicksalsschlag den Weg an die Öffentlichkeit und griff immer wieder das Thema Depressionen auf. Sie gründete die „Robert Enke Stiftung“, die Informationen rund um Diagnose und Behandlung der Volkskrankheit vermittelt. Im Interview berichtet Teresa Enke (48), was ihr in der schweren Zeit geholfen hat. Was sie noch immer schmerzt, ist die Erkenntnis, dass ihr Mann sich „nicht umbringen wollte“. Bis heute sucht sie Erklärungen, warum er es trotzdem tat.
Liebe Teresa Enke, wie geht es Ihnen?
Teresa Enke: Mir geht es gut. Ich verdränge Robert Todestag immer ein bisschen. Dieses Jahr, aber auch die Jahre davor. Das passiert mir auch mit den Todestagen von meiner Tochter Lara. Und auch von meinem Bruder. Es ist irgendwie kurios, aber anscheinend schützt der Körper die Seele vor diesen schlimmen Ereignissen, vermute ich mal. Vielleicht konnte ich deshalb auch so gut funktionieren.
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Sie sagen, Sie haben gut funktioniert?
Enke: Ja, das Leben musste ja weitergehen. Man macht halt einfach sofort weiter.
Aber irgendwann haben Sie sich Hilfe geholt.
Enke: Ja, nach etwa zwei Jahren war das. Ich kann mich noch genau erinnern. Wir waren im Schnee spazieren, mit den Hunden und mit meiner Tochter Leila. Es war so schön, aber ich war so traurig. Da sagte meine zweijährige Tochter: „Mama, nicht weinen.“ In dem Moment hab ich sofort umgedreht, bin nach Hause und habe mich in einer Klinik angemeldet.
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Und wie hat man Ihnen dort geholfen?
Enke: Ich weiß es noch wie heute. Der Psychologe sagte mir, ich könnte gut und gerne heute mit Robert an meiner Seite weiterleben. Ihm abends ein Gedeck auf den Tisch legen. Ich könnte mir aber auch sagen: „Robert ist jetzt woanders“, und einen neuen Abschnitt beginnen. Und das war es, was ich versuchen wollte.
Teresa Enke: Die Antidepressiva zu früh abszusetzen, war ein Fehler
Sie hatten bis dahin nicht genug Abstand finden können?
Enke: Nein, Robert war ja omnipräsent. Das Haus, das Umfeld. Dann ja letztlich auch die Stiftung. Immer ging es um ihn. Von morgens bis abends. Es war kein gesunder Umgang mehr, aber man merkt es nicht. Erst in der Klinik habe ich das begriffen.
Woher haben Sie die Kraft genommen zu „funktionieren“, wie Sie es genannt haben?
Enke: Man hat doch Verantwortung für andere. Da war ja noch meine Tochter Leila. Da waren die Hunde. Da muss man ja einfach weitermachen, auch wenn der Verlust noch so groß ist. Und muss darauf bauen, dass der Schmerz irgendwann weniger wird.
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Ist der Schmerz heute noch da?
Enke: Wenn ich mich intensiv mit der Tragödie beschäftige, würde sich eine tiefe Wehmut einstellen. Aber so tief möchte ich nicht mehr eintauchen. Das habe ich lange Zeit getan.
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Ihr Mann litt unter Depressionen, hat aber versucht, die Krankheit zu kaschieren. Hat er Medikamente genommen?
Enke: Ja, er hat Antidepressiva genommen. Aber mit dem heutigen Wissen hätte er sie länger nehmen müssen. Nun, er war Sportler, er wollte natürlich nicht von Medikamenten abhängig sein.
Zeit bei einem Verein war für Enke besonders belastend
Der Leistungsdruck im Profisport gilt als immens.
Enke: Das war nicht so sehr der Leistungsdruck, sondern der menschliche Umgang. Richtig schlimm für ihn waren seine Erfahrungen beim FC Barcelona. Er ist da hochmotiviert hingegangen.
Was passierte beim FC Barcelona?
Enke: Robert war immer ein Mensch, der Rückhalt brauchte. Das war für ihn immens wichtig. In Barcelona gab es den nicht. Im Gegenteil. Der Trainer Louis van Gaal brachte einen jungen Katalanen ins Spiel. Robert hatte damit keine sichere Position. Er haderte, sagte, dass er als Deutscher damit doch gar keine Chance mehr hätte. Er war verzweifelt. Wobei, ganz ehrlich, er hätte das ja wissen müssen, wie der Trainer tickt. Wer dann zu so einem Verein wechselt, muss dadurch. Aber Robert schaffte das nicht. Ihn hat es umgehauen.
Später war er in Teneriffa, also nicht mehr auf der ganz großen Bühne.
Enke: Da war er der Star. Ihm ging es richtig gut. Er war erst allein da. Konnte so ein richtiges Studentenleben führen. Er hat es so genossen.
Hätten Sie sich als Familie auch Teneriffa vorstellen können.
Enke: Ja, aber dann wurde ja unsere herzkranke Tochter geboren. Da mussten wir natürlich in Deutschland bleiben. Bis zu ihrem Tod nach zwei Lebensjahren waren wir ja die meiste Zeit im Krankenhaus bei ihr.
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War dieses Drama um die kleine Lara auch ein Punkt, der die Depression Ihres Mannes verstärkte?
Enke: Nein, ganz und gar nicht. Man muss ja klar machen: Depressive sind keine schwachen Menschen. Es ist einfach eine Krankheit, die oft ohne erkennbaren Grund ausbricht. Wie gesagt, Auslöser war diese starke Verunsicherung, dieser fehlende Rückhalt für meinen Mann. Aber keineswegs die Krankheit unserer Tochter.
Enke: Da sind wir als Paar mit großer Stärke durchgekommen. Auch, wenn es natürlich eine belastende Zeit war. Robert und ich konnten bei Lara offen trauern. Robbie, das darf man nicht vergessen, war ein starker Mann. Er hat in der Zeit übrigens auch super Fußball gespielt. Das war es ja: Hätte er wegen Lara mal nicht spielen können, hätte er das ja ohne Probleme sagen können. Dafür hätte damals doch jeder Verständnis gehabt.
Das war seine größte Angst, dass für ihn niemand Verständnis gehabt hätte?
Enke: Ja, das war für ihn ganz klar. Psychische Probleme waren damals noch das absolute Tabu. Er hatte Angst, seinen Job zu verlieren.
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Sie als Paar haben immer über seine Depression gesprochen?
Enke: Immer. Aber der Punkt war: Wir dachten damals, wir seien ein Einzelfall. Wir dachten, außer uns gibt es da doch gar nicht. Wir waren ja die absoluten Laien, absolute Autodidakten und haben versucht, Informationen über die Krankheit zu bekommen. Aber es gab damals ja kaum etwas. Wir wussten ja nichts und konnten das alles gar nicht einschätzen. Man denkt dann auch wirres Zeug, sogar auch, ob er sich nicht vielleicht einfach anstellt, wenn er immer von dieser Dunkelheit um ihn herum sprach. Wir waren komplett allein gelassen.
Über die Stiftung habe ich sehr viele Zuschriften bekommen von dankbaren Menschen, die sagen: „Robert hat mir das Leben gerettet.“ Weil durch Robert Geschichte so eine Welle losgetreten wurde, so ein Tabu gebrochen wurde, dass diese Krankheit nun ganz anders im Bewusstsein ist. Auch die Medien berichten nicht mehr reißerisch darüber, sondern aufklärend. Es vergeht doch heute kaum ein Tag, an dem man nicht von einem Promi hört, dass er Depressionen hat. Heute muss sich keiner mehr alleine fühlen oder schämen. Wenn es so gewesen wäre wie heute, da bin ich mir sicher: Robert hätte sich nicht umgebracht. Er war lebensfroh. Er wollte sich nicht umbringen. Er war einfach so verzweifelt, so krank, dass er keinen Ausweg sah.
Haben Sie in den Tagen vor dem Tag am 10. November 2009 gemerkt, dass es ihm schlechter ging?
Enke: Ja, auf jeden Fall. Robert war ja immer eher fröhlich und ausgeglichen. Aber die Zeit davor war er sehr bedrückt. Wir sprachen darüber, auch über Suizid. Ich habe mit ihm am Grabstein unserer Tochter gestanden und ihn gefragt, ob er denn wirklich möchte, dass da zwei Namen drauf stehen. Natürlich wollte er es nicht. Aber es ist so, dass die Wahrnehmung von Depressiven verändert ist. Die Betroffenen wollen dann keinem mehr zur Last fallen. Da kann man noch so viel reden und sagen, dass er keine Belastung ist. Diese veränderte Wahrnehmung war so paradox, dass er glaubte, es sorge für größeres Aufsehen, wenn er sagen würde, er sei depressiv als wenn er sich umbringt. Dass es anders war, war ihm nicht klarzumachen.
Haben Sie sich manchmal gefragt, ob Sie als Angehörige noch mehr hätten machen können?
Enke: Im Grunde hätte ich nicht mehr tun können. Aber klar, man denkt schon mal drüber nach. Gut, ich hätte ihn zwangseinweisen lassen können. Aber ich wusste ja, dass er das nicht wollte. Und ich sah es schon vor mir. Er hätte sich dann nach einem Tag wieder entlassen. Und das Ganze hätte eine immense Aufregung ausgelöst und seine Karriere wäre beendet gewesen. Ich habe ja auch immer gedacht, es passiert nicht, also das mit dem Suizid. Und hätte ihn in eine solche Lage gebracht. Aber im Nachhinein würde ich es anders machen.
Torwart-Witwe: Depressionen werden nicht von Erfolg oder Geld aufgehalten
Was hat sich nach seinem Tod geändert?
Enke: Roberts Tod hat viel bewirkt, so tragisch es klingt. Aber früher dachten die Leute doch, wie kann jemand, der erfolgreich, gesund und reich ist und noch eine Familie hat depressiv sein. Mittlerweile hat man schon begriffen, dass Depressionen ein komplexes Geschehen sind und es nichts mit Geld oder diesen Dingen zu tun.
Die Stiftung war eine Art Trauerarbeit für Sie?
Enke: Auf jeden Fall. Ich freue mich, dass ich nach vielen harten Jahren wieder ins Leben gefunden habe. Ich habe wieder geheiratet, und wir haben ein Kind bekommen. Ich kann jetzt das, was der Psychotherapeut mir sagte, umsetzen: Ich kann jetzt Roberts Tod akzeptieren. Und sehe auch, dass ohne seinen Tod vieles nicht da wäre. Also mein Leben jetzt, das, was ich jetzt alles habe.
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Gibt es eine wichtige Erkenntnis in der Trauerabeit?
Enke: Ja, dass man sich beim Trauern nicht in Schubladen packen soll. Man muss nicht trauern wie andere. Wer meint, sich bunt zu kleiden, sollte sich bunt kleiden. Wer meint, feiern gehen zu wollen, sollte das tun. Ich habe mich nie in was reinpressen lassen. Wenn ich Leute getroffen habe, die es vielleicht von mir erwartet hätten, habe ich einfach gesagt: „Ich will jetzt nicht traurig sein. Ich will lustig sein. Ich will Spaß haben“.
Was können Sie Angehörigen empfehlen, wenn sie mit einem depressiven Partner zusammen sind?
Enke: Immer nah dran bleiben, Hilfe anbieten, also auch bei der Therapieplatzsuche behilflich sein, so etwas. Aber nie Druck aufbauen oder so Sachen sagen wie „Reiß dich zusammen“. Es ist wichtig, dass man niemanden allein lässt. Wenn sich jemand im Verein nicht mehr blicken lässt oder immer Ausreden auf Lager hat, sollte man ruhig mal nachhören, was los ist.
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Hat sich im Sport etwas geändert?
Enke: Auf jeden Fall. Es gibt heute viel mehr Psychologen, jeder Verein hat mittlerweile jemanden. Und auch in der Trainerausbildung wird viel mehr Wert auf Psychologie gelegt. Depressionen sind mittlerweile kein Tabu mehr.
Denken Sie noch oft an Robert?
Enke: Nicht jeden Tag. Aber es gibt viele Momente, da ist mir Robert noch sehr präsent. Da stelle ich ihn mir immer vor, wie er wohl reagieren würde. Er hätte einfach noch so viel Schönes erleben können. Und dann denke ich schon „Mein Gott., Enke, warum hast du das getan?“
Anmerkung der Redaktion
Aufgrund der hohen Nachahmerquote berichten wir in der Regel nicht über (mögliche) Suizide oder Suizidversuche, außer sie erfahren durch die Umstände besondere Aufmerksamkeit. Wenn Sie selbst unter Stimmungsschwankungen, Depressionen oder Suizidgedanken leiden oder Sie jemanden kennen, der daran leidet, können Sie sich bei der Telefonseelsorge helfen lassen.
Sie erreichen sie telefonisch unter 0800/111-0-111 und 0800/111-0-222 oder im Internet auf www.telefonseelsorge.de. Die Beratung ist anonym und kostenfrei, Anrufe werden nicht auf der Telefonrechnung vermerkt.