Wien. Zum 90. Geburtstag von Udo Jürgens veröffentlichen seine Kinder das Mammutalbum „Udo 90“. Im Interview erinnern sich John und Jenny.

Am 30. September wäre Sänger Udo Jürgens 90 Jahre alt geworden. Seine Kinder John (60) und Jenny Jürgens (57) wollen die Erinnerung an ihren Vater für die Welt wachhalten und haben zum feierlichen Anlass neunzig seiner Singles auf dem Fünf-CD-Mammutalbum „Udo 90“ versammelt. Darunter ist auch der nach vierzig Jahren neuentdeckte Song „Als ich fortging“.

Jenny, John, sind Sie Ihrem Vater bei der Arbeit an „Udo 90“ noch einmal nähergekommen?

Jenny Jürgens: Wir sind ihm ja nicht nur in den letzten Monaten sehr nah, sondern auf besondere Art und Weise nun schon in den letzten zehn Jahren. Seit seinem Tod erleben wir nochmal eine ganz andere Intensität, was sein Werk und ihn selbst betrifft. Denn wir können ja nicht mehr mit ihm sprechen, sondern die Kommunikation läuft jetzt ausschließlich über seine Musik. Auch wir haben ihn auf diese Weise noch einmal von einer ganz neuen Seite kennengelernt. Er ist irgendwie die ganze Zeit da. Wir leben ihn, und er lebt auch uns, weil wir uns jeden Tag mit ihm beschäftigen.

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Wie geht es Ihnen dabei?

Jenny: Emotional ist das ein permanentes Up and Down. Aber insgesamt ist es mehr Up als Down. Ich bin 1967 geboren, da hat der Papa schon viele Jahre lang Musik gemacht. Ich kenne noch immer nicht alles und freue mich, wenn ich etwas für mich Neues von ihm entdecke.

Jenny und John Jürgens, die Kinder von Udo Jürgens, arbeiteten zusammen am Album „Udo 90“.
Jenny und John Jürgens, die Kinder von Udo Jürgens, arbeiteten zusammen am Album „Udo 90“. © Agency People Image | API (c) Katja Haas

Beurteilen Sie ihn und seine Musik heute anders als früher?

Jenny: Natürlich hat man manchmal als Kind oder als Teenager kritischer auf den Vater geschaut. Aber heute versteht man viel besser, warum er war, wie er war. Man hinterlässt nicht so einen Berg an Kreativität, wenn man der Windelwechsel-Papa ist. Oder jeden Abend nach Hause kommt und am Esstisch sitzt. Das war der Udo einfach nicht. Das war auch schwierig für die Lebensgefährtinnen, aber er hat auch nie einen Hehl daraus gemacht. Er wusste, wie er ist.

John Jürgens: Er hätte nie diese Karriere gemacht, wäre er der klassische Familienvater zu Hause gewesen. Mein Blick auf ihn hat sich schon verändert nach seinem Tod. Zu Lebzeiten war er mehr der Papa als der große Star. Er war so herrlich normal, wenn man mit ihm zusammen war. Er ist nicht heimgekommen und war der Superstar. Aber so war er auch in der Öffentlichkeit nicht.

Udo Jürgens privat: „Cool, aber nicht überheblich“

Wie war er denn?

John: Er hat sich nie aufgeplustert, vor keinem Taxifahrer, aber auch vor keinem anderen Superstar. Er war immer cool, aber nicht im überheblichen Sinne. Nach seinem Tod und durch das intensive Beschäftigen mit seinem Nachlass ist nochmal mehr für uns in den Vordergrund gerückt, was er da eigentlich geschaffen hat. Wir hören und schauen sehr viel, etwa alte Konzertmitschnitte oder Youtube-Videos, und da ist natürlich einiges dabei, was uns emotional wirklich anfasst. An dem Projekt „Udo 90“ haben wir sicherlich jetzt ein Jahr lang gearbeitet. Im Jubiläumsjahr fängst du nicht erst im Mai oder Juni an.

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Für das Album haben Sie neunzig Singles ausgewählt. Wie lief das ab?

John: Udo hat weltweit über 500 Singles veröffentlicht, das muss man sich mal vorstellen. Wir haben uns auf den deutschen Sprachraum der Veröffentlichungen konzentriert. Wir haben dann den Kreis der Lieder immer enger gezogen, es gab viele Diskussionen, was darauf bleibt und was wieder runtermuss. Daraus ist dann ein buntes Potpourri geworden.

Udo Jürgens am Klavier: So kannten seine Fans den Sänger und Musiker. © picture-alliance/ dpa/dpaweb | Jörg Carstensen

Was bedeuten Ihnen das Werk Ihres Vaters insgesamt?

Jenny: Wir sind einfach dankbar darüber, dass wir das Werk unseres Vaters mit sehr viel Wertschätzung hochleben lassen können. Wir haben ja auch sehr dafür gekämpft, und wir haben schließlich auch das Recht bekommen, diese Arbeit machen zu können. Und wir sind uns dieser Verantwortung bewusst.

John: Wir hatten oft nächtelange Gespräche mit ihm über Musik, oder er setzte sich mitten in der Nacht ans Klavier und spielte uns was vor – ich denke, wir beide haben ein gutes Gefühl dafür, wie er dachte und wie er wahrscheinlich heute noch denken würde.

Wäre der neunzigste Geburtstag ein schöner Tag für ihn geworden? Hätte er ein großes Fest gefeiert, vielleicht sogar im Fernsehen?

Jenny: Er fand diese Shows, wo man einen uralten Menschen auf die Bühne schleifte, damit dann alle zwei Stunden um ihn herum hopsen konnten, ganz furchtbar. Udo hat schon bei der Fernsehshow zu seinem achtzigsten Geburtstag ein bisschen gelitten. Ich hoffe, er hätte so eine große Sendung zum 90. nicht gemacht.

John: Seinen 80. Geburtstag hat er in einem kleinen Lokal am Bodensee mit zwanzig Leuten gefeiert. Hätte der den 90. groß zelebriert? Nein. Er hätte ihn gefeiert, aber in einer kleinen Runde, ohne Fotografen, ohne Medien.

Wie haben Sie den Abend seines Achtzigsten in Erinnerung?

Jenny: Ich war leider nicht dabei.

John: Es war eine kleine familiäre Runde mit seinem Bruder, dessen Frau und Tochter. Meiner Frau und unseren drei Kindern. Den engsten Freunden. Wir saßen an vier Tischen in einem Restaurant, in das er gerne gegangen ist. Es war einfach eine ausgelassene, angenehme Stimmung. Der Achtzigste war ihm jedoch sehr suspekt.

Udo Jürgens in Zürich
Udo Jürgens auf seinem Boot auf dem Zürichsee. © picture-alliance/ dpa | Horst Ossinger

Warum?

John: Beide seine Eltern, unsere Großeltern, sind mit achtzig gestorben. Er hat immer von der Wand gesprochen, die langsam auf ihn zukommt.

Er war ja beruflich bis zu seinem Tod voll aktiv, hatte kurz vorher noch den ersten Teil einer großen Tournee gespielt.

Jenny: Ja, ich habe ihn mir dreimal auf der letzten Tournee angeschaut, das war rund einen Monat, bevor er gestorben ist. Es war schon erstaunlich, wie er drei Stunden lang auf der Bühne hin und hergelaufen ist, sich die ganzen Texte merken und ein fehlerfreies Konzert spielen konnte. Er war nicht krank, und wir sind davon ausgegangen, dass sein Leben noch eine ganze Weile so weitergeht.

John: Aber man hat eine Müdigkeit in seinen Augen gesehen. Gerade diese Geburtstagsshow zum 80., die fiel ihm schwer. Eigentlich hatte er keine Lust. Doch er war jemand, der sofort Haltung angenommen hat, wenn er zum Beispiel in ein Lokal kam. Im Konzert sowieso, da hat man das alles nicht gemerkt. Privat war das anders, da hat man gespürt, dass er älter wurde.

Jenny Jürgens über den wieder gefundenen Song: „Ein Geschenk“

Jenny, Sie haben vorhin über die „Up“-Momente, die erhebenden, schönen Momente bei der Arbeit an „Udo 90“ gesprochen. Welche Augenblicke waren das?

Jenny: Ein absolut großer Moment war ganz sicher der, als wir den neuen Song entdeckt haben. Oder, genauer gesagt, im Archiv diese Datei entdeckt und an uns weitergeleitet wurde. Das war ein goldener Moment. Ein Geschenk. Dass jetzt ausgerechnet in seinem Jubiläumsjahr ein Lied auftaucht, das auch noch „Als ich fortging“ heißt, das kann man sich ja gar nicht ausdenken. Und dann ist die Nummer auch noch richtig großartig.

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Udo Jürgens war ein sehr komplexer Mensch. Er liebte die Menschen, war aber oft einsam. Trotz seines Erfolgs plagten ihn zeitlebens Selbstzweifel. Muss man ein Stück weit zerrissen sein, um so ein Werk zu schaffen?

Jenny: Aus dem puren, langweiligen Glück heraus speist sich sicher nicht die ganz große Kreativität. Da gibt es natürlich eine dunkle Seite oder Räume in einem, die von großen Selbstzweifeln geprägt sind. Lars Eidinger hat neulich etwas Tolles gesagt, nämlich, dass es Gründe gebe, warum Künstler den Applaus suchen. Keineswegs liege das daran, dass wir so selbstbewusste Menschen sind. Sondern, dass wir etwas kompensieren und uns die fehlende Liebe vom Publikum hören.

Mein Vater war jetzt kein ungeliebtes Kind, aber er war auch ein Zerrissener. Dieses Bühnenleben hat ihm ein hohes Maß an Stabilität gegeben. Das war der Ort, an dem er hundertprozentig glücklich war. An allen Orten, selbst in der Familie, war er auf sich selbst zurückgeworfen. Und dann schaukeln eben die Affen im Kopf hin und her.