Peking. Immer mehr Frauen in Südkorea werden Opfer von Telegram-Pornos. Nun schaltet sich sogar der Präsident ein – dabei ist er Teil des Problems.
Für viele junge Südkoreanerinnen ist es, als wäre ihr schlimmster Alptraum wahr geworden: Pornos und Nacktvideos von ihnen werden online von hunderttausenden Männern geschaut, verbreitet und kommentiert. Und das, obwohl die Protagonistinnen weder ihre Einwilligung dafür gegeben, noch überhaupt jemals solche Aufnahmen gemacht haben.
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Die Rede ist von sogenannten Deepfake-Pornos, kreiert mithilfe künstlicher Intelligenz und im Auge des Laien vollkommen authentisch. Alles, was es für die Fälschungen braucht, ist eine „Deep Learning“-Software, die mit nur wenigen Informationen gefüttert werden muss. Und es ist sicher kein Zufall, dass jene Fake-Pornos ausgerechnet in Südkorea – einem Land, das für seine Tech-Begeisterung bekannt und für seine mitunter misogynen Männer berüchtigt ist – zu einer „nationalen Krise“ geführt hat, wie es die Medien längst titeln.
Südkorea: Deepfake-Pornos kursieren an Schulen
Erstmals wurde die breite Öffentlichkeit auf das Problem aufmerksam, als ein Fernsehsender im August von einer Oberschule nahe der Hauptstadt Seoul berichtet hatte. Etliche Schüler waren Teil eines Chatraums auf der Online-Plattform „Telegram“, die aufgrund ihrer Verschlüsselungstechnik zu einer Art rechtsfreien Raum geworden ist. Dort haben die Jugendlichen en masse Deepfake-Pornos von Mitschülerinnen und Lehrerinnen geteilt.
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Was sie dafür brauchten, nahmen sie sich frei verfügbar aus den sozialen Netzwerken: Bilder ihrer Opfer, mit denen die Software dann in wenigen Sekunden lernte, künstlich generierte Videoaufnahmen zu erstellen – allesamt pornografischer Natur. „Es ist sehr besorgniserregend, dass solche Videos nicht nur über Schülerinnen, sondern auch über Lehrerinnen erstellt werden, und dass sie sich unter der technisch versierten Jugend verbreiten“, sagte Kim Bong-sik, Leiter der Seouler Polizeibehörde, am Montag.
Täglich wurden seither weitere solcher Fälle bekannt. Südkoreas Nachrichtenagentur Yonhap schreibt längst von einer „Angst“, welche die gesamte „Nation im Griff hält“. Hunderte solcher Telegram-Chaträume haben die Behörden mittlerweile aufgespürt, auf denen Deepfake-Videos geteilt werden. Der populärste von ihnen hat über 133.000 Mitglieder.
Problem betrifft auch Südkoreas Militär
Ob die Behörden das Problem eindämmen können, wird sich wohl erst zeigen müssen. Im ersten Halbjahr 2024 gingen bei der Polizei knapp 300 Anzeigen wegen „sexueller Ausbeutung im Zusammenhang mit Deepfake-Verbrechen“ ein, doch die Dunkelziffer dürfte um ein Vielfaches höher liegen. Besonders schockierend: Drei Viertel der beschuldigten Täter sind noch im Teenager-Alter.
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Auch bei den Opfern handelt es sich meist um Schülerinnen oder Studentinnen. Doch nicht nur an Schulen oder Unis, auch in der Armee wurden etliche Chaträume aufgedeckt, in denen systematisch Deepfake-Pornos von Soldatinnen geteilt wurden. Die Beratungsstelle für sexuelle Gewalt im Militär argumentiert, dass es sich keineswegs nur um individuelles Fehlverhalten handle. Vielmehr spiegle das Phänomen „die in der koreanischen Gesellschaft vorherrschende Diskriminierung und den Hass auf Frauen“ wider.
Südkoreas Präsident will Deepfakes „vollständig ausrotten“
Viele junge Frauen haben in einer ersten Panikreaktion ihre Profile auf den sozialen Medien auf privat geschaltet und sämtliche Selfies gelöscht. Doch im Online-Zeitalter ist es ein nahezu unmögliches Unterfangen, sämtliche digitalen Spuren zu verwischen. Nun hat sich sogar der Präsident eingeschaltet. Am Dienstag forderte Yoon Suk Yeol die Behörden dazu auf, „diese digitalen Sexualverbrechen gründlich zu untersuchen und zu bekämpfen, um sie vollständig auszurotten“.
Tatsächlich jedoch argumentieren viele junge Frauen in Südkorea, dass der konservative Yoon durchaus Teil des Problems ist. Denn in der Vergangenheit hat der 63-Jährige immer wieder mit anti-feministischen Aussagen für Schlagzeilen gesorgt – und damit zumindest indirekt ein Klima geschaffen, in dem sich frustrierte Männer in ihrer misogynen Haltung durchaus ermutigt fühlten.
Immer mehr „Spy Cam“-Fälle: Täter filmen Frauen mit versteckten Kameras
Fakt ist: Südkorea hat in den vergangenen Jahrzehnten einen der spektakulärsten Wirtschaftsaufstiege weltweit hingelegt, ist zu einer Hightech-Nation mit kultureller Strahlkraft avanciert. Doch sozial weist es immer noch Züge einer stark patriarchalen Gesellschaft auf, in der insbesondere alleinstehende Frauen systematischer Diskriminierung ausgesetzt sind – im Berufsleben, aber auch im öffentlichen Raum.
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Und regelmäßig kulminiert der misogyne Hass einiger Männer in Femiziden oder sexuellen Gewaltverbrechen. So kam es in den letzten Jahren zu einer regelrechten Epidemie an sogenannten „Spy Cam“-Vorfällen: Junge Männer installieren versteckte Kameras, oftmals kaum größer als ein Füllfederhalter, in Damentoiletten oder Hotelzimmern, um intime Aufnahmen ihrer ahnungslosen Opfer im Internet zu verbreiten. Es ist nach wie vor gang und gäbe, dass viele Südkoreanerinnen routinemäßig die Wände nach Gucklöchern oder technischen Geräten absuchen, ehe sie eine öffentliche Toilette aufsuchen.
Doch im Zeitalter der künstlichen Intelligenz ist das Ohnmachtsgefühl der Frauen absolut: Schließlich haben sie keine Kontrolle mehr darüber, was die Software mit ihrem digitalen Avatar anstellt.