Rom. Seit Monaten setzt die Blaukrabbe Italiens Fischerei zu. Auch Gastronomen schlagen Alarm – sie müssen häufig ihre Gäste enttäuschen.

Michelina Polito ist untröstlich: 34 Jahre lang hat sie Venusmuscheln in Porto Tolle am Delta des Po, dem längsten Fluss Italiens, gezüchtet, doch jetzt muss sie kapitulieren. Wegen der Blaukrabbenplage in der Adria ist die Muschelproduktion in dieser Gegend um 80 Prozent eingebrochen. 3000 Fischereibetriebe bangen um ihre Existenz, Gastronomen und Urlauber um die Kulinarik: Die Vielfalt an Muscheln und anderen Meeresfrüchten auf der italienischen Speisekarte scheint nicht mehr gesichert. Für Spezialitäten wie „Spaghetti alle vongole“ und „Zuppa di cozze“ fehlen womöglich bald die Hauptzutaten – Venus- oder Miesmuscheln – oder werden unerschwinglich.

Blaukrabben ruinieren italienische Fischer: „Haben ein Jahr lang nichts verdient“

„Ab 31. Juli werde ich keine Muschelfischerin mehr sein, so kann ich nicht weitermachen“, berichtet Michelina Polito der lokalen Tageszeitung „Il Gazzettino“. Sie ist vor kurzem 64 Jahre alt geworden. „25 Jahre lang war mein Arbeitsplatz an Bord eines Bootes, an der Seite meines Mannes. Doch wegen der Blaukrabbe haben wir ein Jahr lang nichts mehr verdient“, so die Italienerin. Dabei seien die Ausgaben in der Fischerei hoch und „beschämend“ das Schweigen der Behörden. „Mein Mann und ich können noch überleben, aber welche Zukunft haben die jungen Leute? Die ganze Fischerei ist hier zugrunde gegangen“, meint Polito.

Die Blaukrabbe hat bei italienischen Fischern bisher Schäden in Höhe von 100 Millionen Euro verursacht, indem sie ganze Muschelzuchtanlagen zerstört, aber auch Austern, andere Krustentiere und Fische wie die Seezunge und die Meeräsche vernichtet. Die Bilanz droht noch dramatischer zu werden, wenn keine Maßnahmen ergriffen werden, um die Invasion des „Killers der Meere“ zu stoppen, warnen die Muschelfischer.

Klimawandel führt zu rasantem Anwuchs an Blaukrabben in Italien

Einige Fischer versuchen seit geraumer Zeit, verstärkt die Blaukrabbe zu fangen, denn sie kann in der Gastronomie gut verwertet werden. Die Genossenschaft Legacoop Agroalimentare hat eine Initiative ins Leben gerufen, die den Verzehr des Krustentiers mithilfe spezieller Menüs und einer Fertigsoße im Glas fördern soll. Doch wie so oft bestimmt das Angebot die Nachfrage: Wegen der großen Mengen an diesem gefräßigen „Killer der Meere“ sind die Preise für das Schalentier dramatisch gesunken. 50 Cents pro Kilo werden für die Blaukrabbe inzwischen gezahlt, davon können die Fischer nicht leben.

Inzwischen sind die Fischer dazu übergegangen, die Blaukrabben zu fangen. Doch auch damit lässt sich der Ruin nicht abwenden.
Inzwischen sind die Fischer dazu übergegangen, die Blaukrabben zu fangen. Doch auch damit lässt sich der Ruin nicht abwenden. © AFP | Piero Cruciatti

Währenddessen vermehren sich die Krabben in der Adria – dank Klimawandel während der Wintermonate – rasant. Und das, obwohl sie hier eigentlich gar nicht hergehören. Eingeschleppt wurden die Schädlinge vermutlich im Ballastwasser von Handelsschiffen aus den USA. In der Adria fühlen sie sich nicht nur wegen der angenehmen Wassertemperaturen wohl: Hier gibt es keine Fressfeinde und einen reich gedeckten Tisch.

Neben Blaukrabbe: Diese Probleme plagen Italiens Fischerei

Doch die Blaukrabbe ist nicht der einzige ungebetene Gast, mit dem sich Italiens Fischer herumschlagen müssen: Vor den Küsten Siziliens, Apuliens und Kalabriens vermehren sich die gefräßigen Feuerwürmer. In diesen Sommerwochen sind sie zum Schrecken für Badende, aber auch für Fischer geworden. Sie sind Fleischfresser, haben keine natürlichen Feinde, können sich selbst regenerieren und haben obendrein noch Stacheln. Fischer, die mit den Borsten der Feuerwürmer in Kontakt kommen, klagen über Wunden, die oft mit Kortison behandelt werden müssen. Italienische Forscher suchen händeringend nach Wegen, die explosionsartige Vermehrung einzudämmen, etwa durch Fangfallen.

Und damit nicht genug: Ein weiteres Problem für Fischer in diesem Sommer ist der Algenschleim, der sich in der Adria ausdehnt. Die Absonderung der Algen, die zwar nicht gesundheitsgefährdend, aber für Badegäste unangenehm ist, hat sich durch die Hitzewelle der vergangenen Tage vermehrt. Vor allem kleinere Boote könnten wegen des Schleims nicht einmal zum Fischen hinausfahren. Er behindert die Propeller und macht die Reinigung der mechanischen Elemente sehr schwierig. Beklagt werden auch Schäden an den Netzen. Der Fischerverband Confcooperative Fedagripesca fordert den Einsatz einer Expertenkommission, die die Entwicklung der Algenplage beobachtet, sowie Stützungsmaßnahmen für die Fischer.