Berlin. Nicht nur Corona bleibt uns erhalten, auch die Nachwirkungen der Pandemie. Politik und Gesellschaft müssen diese endlich aufarbeiten.
Die Corona-Zahlen steigen wieder – die Arztbesuche aufgrund einer Covid-19-Infektion, die Zahl der Krankenhaus-Einweisungen, die Viruslast im Abwasser. Klar, wir bewegen uns hier weiter auf niedrigem Niveau. Dennoch ist von einer Dunkelziffer auszugehen. Viele Infektionen bleiben unentdeckt, die Gründe für den eigenen Husten und Schnupfen bleiben unerforscht. Das ist menschlich gut nachvollziehbar. Viele wollen sich nicht mehr mit Corona auseinandersetzen. Sie haben mit der Pandemie mental abgeschlossen.
Solange es keinen Kontakt mit vulnerablen Gruppen gibt oder die Gefahr besteht, auf einem Event zum Superspreader zu werden, ist das auch legitim. Schließlich durchleben die meisten Personen, die mit einer der Virus-Mutationen in Kontakt kommen, mittlerweile nur noch leichte Verläufe. Die Pandemie scheint weit weg – und mit ihr das Ohnmachtsgefühl, die Sorge um Angehörige, um die eigene Gesundheit, das Bedürfnis zu begreifen, was Corona mit uns und der Welt macht.
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Corona-Pandemie hat vielfältige Auswirkungen auf die Psyche
Geblieben sind die Nachwirkungen von Sars-Cov-2. Mehrere Untersuchungen zeigen, was viele in ihrem Umfeld sehen und spüren: Erwachsene, aber insbesondere auch Kinder und Jugendliche sind durch die Corona-Pandemie bis heute psychisch belastet: Depressionen, Angstzustände, Essstörungen, soziale Phobien. Themen wie Klimawandel oder Krieg machen die Situation nicht leichter, sondern belasten noch zusätzlich. Das zu sehen oder am eigenen Leib zu spüren, macht betroffen – auch, dass es dafür keine schnellen und einfachen Hilfestellungen oder gar Lösungen gibt.
Hinzu kommen Frust und Wut, entstanden aus der eigenen Hilflosigkeit und aus dem Bedürfnis nach Normalität und Sicherheit. Viele Menschen haben das Gefühl, ihr Leben sei durch die Pandemie aus den Fugen geraten. Sie sind noch immer erschöpft, sehnen sich nach Kontrolle. Der deutsche Sozialwissenschaftler Klaus Hurrelmann zog mit Blick auf unsere Gesellschaft gar den Vergleich zum Krankheitsbild der posttraumatischen Belastungsstörung.
Zu gerne werden in solchen Situationen Schuldige gesucht – Menschen, die man für die eigenen starken negativen Gefühle verantwortlich machen kann. Ein Krankheitserreger taugt dafür nicht, dafür aber Politikerinnen und Politiker oder gerade bei Corona auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Im Mai zeigte eine repräsentative Befragung des Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW), dass 45 Prozent der Forschenden bereits in irgendeiner Form Wissenschaftsfeindlichkeit erlebt haben. Das Spektrum reicht von herablassenden Äußerungen bis hin zu Hass-Nachrichten und Morddrohungen.
Anfeindungen gegen Wissenschaftler haben problematische Folgen
Das ist ein großes Problem. Die breite Masse der Forschenden wird leiser. Um in der Öffentlichkeit zu bestehen, braucht es vermehrt ein dickes Fell statt tiefer Expertise. Erschwerend hinzu kommt: Zitate von Wissenschaftlern werden aus dem Kontext gerissen, verbreiten sich so mit falscher Botschaft. Naturwissenschaftliche Fakten werden zu möglichen Theorien, die vermeintlich anders gedeutet werden können.
Populisten in Parteien wie AfD und BSW nutzen solche Halbwahrheiten, verdrehten Tatsachen, aber auch tatsächlich unterlaufene Fehler zur Stimmungsmache. Vertrauen wird weiter verspielt. Sachliche Diskussionen werden unmöglich. Das, was während der Pandemie erfolgreich verhindert wurde, wird nicht gewürdigt. Dieses sogenannte Präventionsparadox spielt ihnen zudem in die Karten.
Was bleibt, sind die Probleme, die eine Pandemie zwangsläufig mit sich bringt. Diese aufzuarbeiten wird eine enorme Aufgabe, der sich die Politik, aber auch wir als Gesellschaft dringend stellen müssen. Wir müssen Forschende vor Anfeindungen und Hass schützen, ihre Expertise einfordern. Wir dürfen uns nicht weiter voneinander entfernen. Es braucht wieder mehr grau statt schwarz-weiß, lösungsorientierten Dialog, den Blick in die Zukunft und den Willen aus Fehlern zu lernen, statt uns an ihnen aufzureiben.
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