Berlin. Israel startet beim ESC, die Kritik ist groß. Doch der Contest feiert die Völkerverständigung – Boykott und Buhrufe sind fehl am Platz.

Als der Eurovision Song Contest vor zwölf Jahren im autoritär regierten Aserbaidschan stattfand, fanden das nicht nur westliche Menschenrechtler fragwürdig. Auch das Nachbarland Iran regte sich furchtbar auf, aus anderen Gründen: Wegen der spärlich bekleidete Frauen im Teilnehmerfeld verließ der iranische Botschafter Baku unter Protest. Der persische Show- und Musikexperte gab damals zu Protokoll, der ESC sei „unislamisch“. Den Fans des größten Musikwettbewerbs der Welt war es schnuppe.

Politische und diplomatische Querelen sind nichts Neues im Umfeld des ESC, der am Samstagabend im schwedischen Malmö stattfindet. Dabei ist er seit seiner Gründung vor 68 Jahren offiziell „unpolitisch“. Dieses Selbstverständnis des Veranstalters, der European Broadcasting Union (EBU), wird auf eine harte Probe gestellt. Seit Monaten gibt es Demonstrationen, kursieren vor allem in den skandinavischen Ländern Petitionen, Israel wegen seines Vorgehens im Gaza-Krieg vom Wettbewerb auszuschließen.

Israel beim ESC – herbe Niederlage für die BDS-Kampagne

Präzedenzfälle gibt es durchaus: Als die Vereinten Nationen 1992 wegen des Bosnien-Kriegs Sanktionen gegen Rest-Jugoslawien verhängten, war das Land fortan auch beim ESC unerwünscht. 2022 wurde Russland aus bekannten Gründen vor die Tür gesetzt.

Doch diese Geschichte wiederholt sich 2024 nicht: Die ESC-Veranstalter sind standhaft geblieben und haben alle Boykottaufrufe gegen Israel stoisch abmoderiert. Das ist eine weise Entscheidung und eine herbe Niederlage für die immer aggressiver auftretende BDS-Kampagne. Deren Vorkämpfer wie der Musiker Roger Waters und die Philosophin Judith Butler sähen es gerne, wenn Israel von der kulturellen Weltkarte getilgt würde.

Kundgebung vor der Stadthalle in Malmö am 10. April. Die Demonstranten fordern den Ausschluss Israels vom Eurovision Song Contest.
Kundgebung vor der Stadthalle in Malmö am 10. April. Die Demonstranten fordern den Ausschluss Israels vom Eurovision Song Contest. © AFP | JOHAN NILSSON

Allerdings musste der Songtext des israelischen ESC-Beitrags, der zunächst „October Rain“ hieß und deutlich auf die Hamas-Massaker anspielte, auf Verlangen der EBU entschärft und umgeschrieben werden. Der Titel heißt jetzt „Hurricane“.

Mitten in diesem Sturm steht die gerade mal 20 Jahre junge Sängerin Eden Golan. Wegen der zum Teil offen antisemitischen Anfeindungen wird sie in Malmö vom israelischen Geheimdienst abgeschirmt. Dies bedenkend, war ihr Auftritt beim Halbfinale am Donnerstag erstaunlich abgebrüht.

Thorsten Keller
Thorsten Keller ist Politik-Korrespondent bei der Funke Zentralredaktion. © FUNKE Foto Services | Sergej Glanze

Was Golans Beschützer nicht verhindern können, sind hässliche Szenen wie beim ESC 2014, als die Russinnen Anastassija und Marija Tolmatschowa vom Saalpublikum ausgepfiffen wurden – stellvertretend für Wladimir Putin, drei Monate nach dessen Überfall auf die Krim-Halbinsel. Bis dahin waren Buhrufe gegen die Künstler beim ESC ein Tabu – egal, wie schräg ihre Darbietungen auch sein mochten. Nachdem sich Golan für das Finale qualifiziert hatte, ertönten ebenfalls vereinzelte Pfiffe.

Ein bisschen „Waffenstillstand“ ertragen die ESC-Veranstalter nicht

Nun geht es beim ESC nicht alleine um die musikalische Völkerverständigung, sondern eben auch um sexuelle Toleranz: Lieben zu dürfen, wen man will und sich dafür nicht verstecken zu müssen, ist die wichtigste ESC-Botschaft überhaupt. Wenn es um die Rechte von Schwulen und Lesben geht, ist Israel eine regenbogenbunte Insel in einer weitgehend homophoben Weltgegend. Auch das dürfte die Veranstalter in ihrer Entscheidung bestärkt haben.

Beim Versuch, jedes noch so zarte pro-palästinensische Statement aus der Show herauszuhalten, schießen sie zugeich übers Ziel hinaus: So muss Bambie Thug aus Irland die eigene Körperbemalung mit den komplett harmlosen Worten „Waffenstillstand“ und „Freiheit“ ändern. Israel beim ESC 2024 starten zu lassen, ist richtig. In Watte packen muss man das Land aber deswegen nicht.