Rom. Bei Ausgrabungen haben Forscher Malereien entdeckt, die ihnen Schockierendes über die Psyche von Kindern in der Antike verraten.
Wie lebten Kinder in Pompeji am Fuß des Vesuvs, bevor der Vulkan im Jahr 79 n. Chr. die altrömische Stadt im Süden Italiens verschüttete? Mit dieser Frage beschäftigen sich die Forschenden in der archäologischen Stätte bei Neapel, die unter der Leitung des deutschen Direktors Gabriel Zuchtriegel immer wieder neue Funde ans Licht bringen. Die Archäologen haben jetzt Kinderzeichnungen an den Wänden eines antiken Hauses entdeckt, die wichtige Informationen über die Kindheit vor 2000 Jahren liefern.
Die Zeichnungen zieren die Wände der „Casa dei casti amanti“ (Haus der keuschen Liebenden), einem Bau der antiken Stadt, der seinen Namen einem bekannten Fresko mit zwei sich küssenden Liebenden zu verdanken hat. Bei den Kinderbildern handelt es sich um Skizzen von Gladiatoren, Tieren und Jägern, die mit Kohle auf Wände eines Innenhofs gezeichnet wurden. Außerdem entdeckten die Forscher den Abdruck einer kleinen Hand. Daraus schließen sie, dass die Zeichnungen von einem Kind im Alter von circa fünf Jahren mit Holzkohle aus der Küche des Hauses angefertigt wurden.
„Dank einer Studie mit Experten der Kinderneuropsychiatrie der Universität Federico II. von Neapel haben wir festgestellt, dass diese stilisierten Figuren tatsächlich von einem Kind in diesem Alter gezeichnet worden sein könnten“, betonte Zuchtriegel im Gespräch mit Journalisten. So gehe aus den Zeichnungen deutlich hervor, dass selbst kleine Kinder zwischen fünf und sieben Jahren regelmäßig Zeuge der Kämpfe zwischen Gladiatoren und Tieren in der Arena geworden seien.
„Extremen Formen von Gewalt“ gehörten für sie zum Alltag – „mit allen möglichen Auswirkungen auf die psycho-mentale Entwicklung pompejanischer Kinder“, schreiben die Experten des archäologischen Parks in einer Mitteilung. Dies sei vergleichbar mit Darstellungen von Gewalt in Videospielen oder den sozialen Medien – „mit dem Unterschied, dass in der Antike das Blut, das in der Arena vergossen wurde, real war und dass nur wenige es als Problem ansahen“.
Auch spannend: Angst vor Supervulkan bei Neapel – Urlauber stornieren Reisen
Sensationelle Funde im „Haus der keuschen Liebenden“
Neben den Kinderzeichnungen wurden im „Haus der keuschen Liebenden“ auch die Überreste zweier Opfer, einer Frau und eines Mannes, entdeckt, die nach Annahme der Experten bei der Arbeit von dem Vulkanausbruch überrascht wurden. Das Haus ist für Besucher geöffnet und kann über einen Weg aus Holzstegen besichtigt werden. Man kann somit die laufenden Restaurierungsarbeiten von oben beobachten und die Räume bewundern, die bei den jüngsten Ausgrabungen zum Vorschein gekommen sind.
Das Haus gehörte einst einem wohlhabenden Bäcker. Neben dem berühmten Wandbild im „Triclinum“ genannten Speisesaal sind auch der Garten, eine Mühle und Ställe mit versteinerten Skeletten von Maultieren und einem Esel erhalten geblieben. Zu sehen sind außerdem ein mit mythologischen Figuren und Göttern geschmückter Raum und das einzigartige Bild eines Kindes, das die Kapuze und den Mantel eines Reisenden trägt.
Der Rundgang auf den Holzstegen bietet einen umfassenden Blick auf den gesamten Häuserblock sowie auf die Architektur der Häuser, die abwechselnd als Produktions-, Geschäfts- und Wohnräume genutzt wurden. Die Fassaden und einige Räume des Insula genannten Wohnblocks wurden 1912 ausgegraben. Ein freigelegter Balkon wurde im Zweiten Weltkrieg bei einem Bombenangriff zerstört. Tiefer gehende Ausgrabungsarbeiten begannen 1982 und dauerten bis 2004. 2010 wurde das Haus für Besucher geöffnet – allerdings zunächst nur vorübergehend.
- Polen: Archäologen lösen 400 Jahre altes Rätsel um „Vampirfrau“
- Unterwasser-Archäologie: Wrack von legendärem U-Boot aus Zweitem Weltkrieg gefunden
- Kannibalismus: Archäologen machen schaurige Entdeckung in Jamestown-Kolonie
- Altes Ägypten: Krebsoperationen schon vor 4300 Jahren?
- Antike: Archäologen entdecken römischen Luxus-Swimmingpool
Der archäologische Park von Pompeji, der immer wieder sensationelle Funde zutage bringt, ist eine der wichtigsten Touristenattraktionen des Landes. Derzeit gibt es besonders viele offene Baustellen: An 28 Orten werden Ausgrabungen durchgeführt, in die ein Gesamtbetrag von über 100 Millionen Euro fließt. „In regelmäßigen Abständen und in zunehmendem Maße enthüllt Pompeji wunderbare neue Entdeckungen und bestätigt sich als außergewöhnliche Schatzkammer“, erklärte der italienische Kulturminister Gennaro Sangiuliano unlängst.