Berlin. Ein Mann erkennt in den Travertin-Fliesen seiner Eltern den Abdruck eines menschlichen Kiefers. Ein Fund von archäologischer Bedeutung.
Ob der Mann Geschwister habe, die vermisst werden? Oder handelt es sich bei dem Abdruck vielleicht um Jimmy Hoffa, den legendären amerikanischen Gewerkschaftsboss, der in den 80er Jahren verschwand? Als ein Zahnarzt das Bild einer Bodenfliese aus seinem Elternhaus auf Reddit postet, scherzen viele Nutzer noch. Ist das Muster auf der Fliese wirklich der Abdruck eines menschlichen Kiefers? Die Geschichte eines der unwahrscheinlichsten archäologischen Funde der letzten Jahre nimmt ihren Lauf.
„Meine Eltern haben gerade ihr Zuhause mit Travertin-Stein renovieren lassen“, schrieb der Mann mit dem Reddit-Nutzernamen „Kidipadeli75“ über das Bild der Fliese. „Das sieht aus wie ein Teil eines Unterkiefers. Könnte er zu einem Hominiden gehören? Ist das üblich?“, fragte er die Reddit-Community für Fossilien. Als er das Haus seiner Eltern in Europa besuchte, fiel ihm das ungewöhnliche Muster auf dem Stein auf. Bei näherer Betrachtung erkannte er dank seiner zahnärztlichen Ausbildung einen Unterkiefer mit mehreren Zähnen.
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Travertin-Stein: Wie kamen menschliche Überreste in die Fliese?
Der Abdruck habe den Zahnarzt an die CT-Scans erinnert, die er bei der Arbeit betrachte, berichtete die „Washington Post“. „Da ich auf zahnärztliche Implantate spezialisiert bin, arbeite ich mit dieser Art von Bild jeden Tag“, schrieb er dem US-Medium in einer E-Mail. Der Kiefer gehöre eindeutig zu einer Menschenart, kommentiert der Paläoanthropologe John Hawks von der University of Wisconsin in der Zeitschrift „The Atlantic“ den Fund. Doch wie kam der Knochen mit den Zähnen in die Bodenfliese?
Travertin ist ein meist gelblicher oder brauner Kalkstein, der an Marmor erinnert. Er bildet sich, „wenn in Wasser aufgelöstes Calciumcarbonat durch einen Wandel der chemischen Bedingungen fest wird“, zitiert „Architectural Digest“ Dr. Andrew Leier, Geologe an der University of South Carolina. Üblicherweise vollziehe sich dieser Prozess an heißen Quellen, wenn das Wasser aus dem Boden schießt und langsam eine dünne Schicht nach der anderen auf Gestein bildet.
Vor allem in Italien wurde der Stein schon von den alten Römern als Baumaterial eingesetzt. Im Mittelalter verwendete man Travertin für den Großteil der thüringischen Stadt Bad Langensalza. Die Fliese Travertin mit dem menschlichen Fossil soll ursprünglich aus der Region Denizli im Westen der Türkei stammen, wo sich der Kalkstein vor 0,7 bis 1,8 Millionen Jahren gebildet hat. Ein jüngeres Verbrechen könne also ausgeschlossen werden.
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Fossilien: Gebäude mit Travertin-Verkleidung sind oftmals prähistorische Schatzgrube
Dass Fossilien in Travertin-Stein gefunden werden, ist kein Einzelfall. Vor allem die Überreste von Tieren und Pflanzen werden bei dem Entstehungsprozess von Travertin eingeschlossen und tauchen erst bei dem Abbau wieder auf. An mit Travertin beschichteten Gebäuden wie dem Museum „The Getty Center“ in Los Angeles können aufmerksame Beobachtern die Abdrücke solcher Fossilien erkennen.
Der Entdecker des Kieferknochens steht mittlerweile im Austausch mit einem internationalen Forschungsteam, berichtet „The Atlantic“. Zusammen planen sie, die Fliese für genauere Untersuchungen zu entfernen. Ob es sich bei dem Kiefer um moderne Menschen oder einen entfernteren Verwandten handelt, können die Wissenschaftler dann mit Sicherheit bestimmen. Das Unternehmen, das die Fliese verkauft hatte, sei ebenfalls bereits kontaktiert worden.
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Zahnarzt: Ließ sich der Besitzer des Kiefers seine Zähen ziehen?
Eine wichtige Erkenntnis konnte allerdings bereits alleine von dem Bild abgeleitet werden: Der Frühmensch müsse die prähistorische Version eines Zahnarztbesuchs genossen haben. „Es scheint fehlende Zähne zu geben und Knochengewebe hat die Stellen aufgefüllt, in denen mal Zähne waren“, schrieben die forensischen Zahn-Experten Amber D. Riley und Anthony R. Cardoza „Architectural Digest“ in einer E-Mail. „Ein anderer Mensch könnte eingegriffen haben und einen Zahn wegen einer Verletzung oder Krankheit entfernt haben“, so Riley und Cardoza.
Experten raten Besitzern eines mit Travertin ausgekleideten Hauses dazu, sich die Oberfläche des Steines genauer anzuschauen. So seien bereits die Fossilien von Hirschen, Mammuten und Reptilien in Fliesen aus dem türkischen Steinbruch gefunden worden. Auch menschliche Fossilien wurden bereits mehrfach entdeckt. Die Fragmente einer Schädeldecke in Travertin gelten gar als der erste Hinweis auf den Homo erectus in der Türkei.