Berlin. Internationale Künstlerinnen und Künstler rufen zum Boykott deutscher Kulturveranstaltungen auf. Was genau dahinter steckt.
Künstlerinnen und Künstler weltweit rufen zu einem Boykott deutscher Kultureinrichtungen und Veranstaltungen auf. Unter den Unterstützenden ist unter anderem die französische Literaturnobelpreisträgerin Annie Ernaux. Was steckt hinter der Kampagne „Strike Germany“?
Auf ihrer Website wirft die Kampagne Deutschland vor, zu israelfreundlich zu sein. Das Recht der freien Meinungsäußerung, besonders bei Solidaritätsbekenntnissen mit Palästina, würde unterdrückt werden. Aktuell sind mehr als 1200 internationale Künstlerinnen und Künstler unter den Unterstützenden.
Unterschrieben haben auch bekannte Personen aus der Kunstszene. Neben Annie Ernaux stehen unter anderem die libanesische Musikerin Yasmine Hamdan oder die Schauspielerin Indya Moore auf der Liste. Moore ist aus der Netflix-Serie „Pose“ bekannt. Wer die Kampagne ins Leben gerufen hat, ist bisher unklar.
Annie Ernaux wird Nähe zur BDS-Bewegung vorgeworfen
Dass Ernaux‘ Name auf der Liste steht, wird den ein oder anderen nicht überraschen. Sie ist bereits in der Vergangenheit mit ihrem israelkritischen Engagement aufgefallen. 2022 wurde ihr bei der Verleihung des Literaturnobelpreises Nähe zur BDS-Bewegung vorgeworfen.
Dazu hatte die 83-Jährige 2018 mit weiteren Künstlerinnen und Künstlern zu einem Boykott der Kultursaison „Frankreich-Israel“ aufgerufen. Auch den Eurovision Song Contest 2019 in Tel Aviv unterstützte sie nicht. Öffentlich will sich die Schriftstellerin jedoch nicht äußern, wie ihr deutscher Verlag Suhrkamp mitteilte.
BDS steht für „Boykott, Desinvestition und Sanktionen“. Die Bewegung richtet sich unter anderem gegen die Zusammenarbeit mit Israel in Kultur und Wirtschaft. Die Bundesregierung betrachtet die BDS-Bewegung als antisemitisch.
In einem Interview mit der Bildungsstätte Anne Frank erklärte der Publizist Alex Feuerherdt dazu: „BDS dämonisiert und delegitimiert Israel, misst den jüdischen Staat mit anderen Maßstäben als jedes andere Land dieser Welt und negiert sein Existenzrecht.“ Die Bewegung erfülle sämtliche Kriterien aller seriösen Antisemitismusdefinitionen.
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Boykott bringt erste Konsequenzen
Der Aufruf hat schon zu ersten Absagen geführt. Einige Kunstschaffende boykottieren den Berliner Techno-Club Berghain im Rahmen des CTM-Festivals für experimentelle und elektronische Musik. Sie werfen dem Club vor, den DJ Arabian Panther wegen seiner „pro-palästinensischen Haltung“ ausgeladen zu haben.
Die bosnische Schriftstellerin Lana Bastašić trennte sich von ihrem deutschen Verlag S. Fischer. Auf Instagram verkündete sie, dass sie es als ihre „moralische und ethische Pflicht“ betrachte. Der Verlag hätte es nicht nur versäumt, sich zu dem „anhaltenden Genozid“ in Gaza zu äußern, sondern auch „zur systemischen und systematischen Zensur in Deutschland.“
Boykott „Strike Germany“: Das wird gefordert
Auf der Website wurden drei Forderungen formuliert. Die Kampagne verlangt von Deutschland, nicht länger die sogenannte IHRA-Definition (International Holocaust Remembrance Alliance) als Maßstab für Antisemitismus zu nehmen. Die Definition unterscheide nicht klar genug zwischen Antisemitismus und Kritik am Staat Israel.
In der IHRA-Definition heißt es: „Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen.“ Die Bundesregierung erweiterte: „Darüber hinaus kann auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Angriffe sein.“
Boykott-Bewegung wirft Deutschland „Racial Profiling“ vor
Dazu kritisiert die Boykott-Bewegung, dass Deutschland mit der Streichung von öffentlichen Fördergeldern drohe, wenn Kunstschaffende keine uneingeschränkte Unterstützung gegenüber dem Staat Israel zeigten. Damit würde „eine versteckte Form des Racial Profiling“ ermöglicht werden.
Damit könnte die Ankündigung des Berliner Kultursenators Joe Chialo gemeint sein, öffentliche Fördergelder für Kulturprojekte künftig an eine Antidiskriminierungsklausel zu binden.
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Kulturministerium reagiert zurückhaltend
Das Ministerium für Kultur und Medien reagierte nach einem Bericht der „Rheinischen Post“ zurückhaltend auf „Strike Germany“. „Zu Boykottaufrufen in der Kultur hat die Kulturstaatsministerin (Claudia Roth; Anm. d. Red.) mehrfach betont, dass sie davon nichts hält. Sie schätzt die Situation in der deutschen Kultur auch völlig anders ein“, zitierte die Zeitung das Ministerium.