Berlin. Fitness-Influencerin Sophia Thiel spricht in einem neuen Buch über die Gefahren von sozialen Medien für die Gesundheit und Psyche.
- Als Fitness-Influencerin wurde Sophia Thiel bekannt
- Doch der Ruhm hatte seinen Preis – und Thiel nahm eine Auszeit
- Inzwischen ist sie zurück und spricht im Interview über ihre Erfahrungen mit Social Media
Sophia Thiel galt als eine der erfolgreichsten Fitness-Influencerinnen Deutschlands. Millionen Fans bei YouTube und Instagram bewunderten ihren muskulösen Körper, bis sie im Mai 2019 völlig überraschend aus der Öffentlichkeit verschwand. Fast zwei Jahre lang war es still um die junge Frau. Erst als sie sich zurückmeldete, verriet sie den Grund für ihre Auszeit: Hinter der fröhlich-fitten Fassade kämpfte die Influencerin gegen Depressionen und eine Essstörung. In „Generation Hoffnung“, dem neuen Buch von FUNKE-Journalistin Amelie Marie Weber, spricht die 28-Jährige schonungslos ehrlich über diese Probleme und setzt sich für einen offeneren Umgang mit mentaler Gesundheit ein.
Frau Thiel, wie wurde aus dem kleinen Mädchen aus Rosenheim eine der erfolgreichsten Fitness-Influencerinnen Deutschlands?
Sophia Thiel: Ich hatte von klein auf Probleme mit meinem Gewicht, war eher kräftig und wurde deshalb gemobbt. Im Teenager-Alter beschloss ich deshalb, etwas an meinem Körper zu ändern. Ich aß kaum mehr, fiel deshalb manchmal in Ohnmacht, musste sogar eine Klasse wiederholen, weil meine Noten so schlecht wurden. Was mich damals zunächst rettete, war Bodybuilding. Mich faszinierten die Stärke und Kraft, die hinter dieser Sportart stecken und ich stellte fest, dass ich schnell Erfolge erzielte. Bald nahm ich an Bodybuilding-Wettkämpfen teil, postete Fotos von meinem gestählten Körper im Internet und wurde eine der ersten weiblichen Fitness-Influencerinnen in Deutschland.
Sophia Thiel: So sehr litt sie unter dem Fitness-Wahn
Vom Moppelchen zum Muskelpaket. Von außen betrachtet war das die Erfolgsgeschichte schlechthin.
Thiel: Innen drin fühlte es sich aber ganz anders an. Der Kraftsport hatte mir anfangs Halt gegeben, aber ich verlor mich immer mehr in einem Kontrollwahn. Ich habe täglich trainiert und kämpfte permanent gegen meinen Körper – voller Härte und Gewalt.
Die harte Arbeit zahlte sich vermeintlich aus: Das lang ersehnte Sixpack wurde sichtbar. Waren Sie so glücklich wie erwartet?
Thiel: Nein. Glück hat für mich sehr viel mit Freiheit zu tun und ich war damals alles andere als frei. Vielmehr war ich gefangen in einem engen Korsett. Ich hatte damals meinen Traumkörper und war dennoch so unglücklich wie noch nie. Glück ist kilo-unabhängig.
Deshalb haben Sie sich dann eine Auszeit genommen. Wie kam es dazu?
Thiel: Es war kurz vor der FIBO 2019, der größten Fitnessmesse der Welt. Ich war nicht in Topform, mein Körper machte nicht mehr mit. In den Medien wurde ständig über meine Figur diskutiert und mit früheren Wettkampfbildern verglichen. Das alles hat mich sehr getroffen. Deshalb habe ich beschlossen, eine Pause einzulegen.
Social Media weckt falsche Erwartungen an sich selbst
Warum mussten Sie Social Media dafür komplett verlassen?
Thiel: Soziale Medien lösten einen großen Druck in mir aus. Ich fühlte mich von unzähligen Augen beobachtet und hatte das Gefühl, die Leute warteten nur darauf, dass ich zunehme oder mir etwas Dummes passiert. Ich dachte, ich könnte erst wieder in Form kommen, wenn ich mich diesem Druck für eine Weile entziehe.
Würden Sie sagen, dass soziale Medien gefährlich sind?
Thiel: Gerade bei Social Media wird meistens zuerst das Äußere kommentiert. Es ist erwiesen, dass soziale Medien schädlich für die mentale Gesundheit sind. Man bekommt dort das Gefühl, dass andere immer besser sind und man selbst nie gut genug. Dieses ständige Vergleichen ist eine endlose Kette. Keiner ist wirklich bei sich selbst. Wenn ich das nicht beruflich machen würde, würde ich meinen Social-Media-Konsum auf ein Minimum begrenzen.
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Sie haben Bücher mit Abnehm-Tipps veröffentlicht und andere durch Ihre Fotos motiviert, ebenfalls zu trainieren. Wie fühlt es sich an, Teil des Problems gewesen zu sein?
Thiel: Man wird irgendwann betriebsblind. Als Creator denkt man, dass man nur die positiven Dinge zeigen sollte, weil man sonst wie eine Versagerin dasteht. Ich glaubte damals auch, dass ich allein mit meinen Problemen sei und habe mich geschämt. Auf jeden Fall wollte ich niemandem etwas Schlechtes. Eigentlich wollte ich zeigen, wie viel Spaß das alles macht – aber ich selbst habe mir keinen Spaß erlaubt.
Sophia Thiel: „,So gut es geht‘ ist das neue ‚Perfekt‘.“
Was hat Ihnen geholfen, da rauszukommen?
Thiel: Ich hatte das Gefühl, dass ich alles verliere, wenn ich nicht endlich etwas ändere. Also bin ich widerwillig zur Therapie gegangen. Letztlich war das die beste Entscheidung, die ich treffen konnte. Ich bekam die Diagnose Essstörung. Das war ernüchternd und gleichzeitig habe ich mich gefragt, warum keiner offen über diese Probleme spricht. Ich wusste, dass ganz viele genau das gleiche durchleiden, auch Männer. Es hat mich so aufgeregt, dass niemand mal nach außen zeigt, wie es wirklich ist. Und dann habe ich Anfang 2021 entschieden, zurückzukommen und meine Geschichte zu erzählen.
Das muss schwierig sein …
Thiel: Es war eher befreiend. Dadurch, dass ich offen mit meinen Gefühlen umgehe und sage, wie es mir wirklich geht, ist viel Druck von mir abgefallen. Ich muss nicht mehr permanent unfehlbar wirken. Inzwischen engagiere ich mich in verschiedenen Projekten, die auf Depressionen und mentale Gesundheit aufmerksam machen. Je öfter man darüber redet, desto normaler wird es auch.
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Was ist Ihr wichtigster Rat an Menschen, die mit sich hadern?
Thiel: Mentale Gesundheit ist die Basis von allem. Wenn es einem schlecht geht, wird man keinen Erfolg haben – ob im Sport, im Beruflichen oder in Beziehungen. Deshalb muss dieses Fundament stimmen. Wir müssen weg von dieser absurden Perfektion im Leben. „So gut es geht“ ist das neue „Perfekt“.
Neuerscheinung: „Generation Hoffnung“
„Generation Hoffnung: Wie junge Menschen zwischen Klimawandel, Krieg und Selfie-Sucht die Zukunft gestalten“ von Amelie Marie Weber, Klartext Verlag, 19,95 Euro, ISBN 978-3837525694