Berlin. Der Angriff der Terror-Organisation Hamas auf Israel liefert schreckliche Bilder. Eine Psychologin klärt auf, was Sie tun können.
Menschen, die auf einem Festival erschossen wurden. Von Raketen zerstörte Häuser. Männer, Frauen und Kinder verschleppt. Der Angriff der Terror-Organisation Hamas auf Israel liefert Bilder des Grauens. Das führt zu einer enormen Belastung für die Seele, so Psychologin Felicitas Heyne. Sie verrät, mit welchen Strategien wir uns schützen können.
Was bewirkt die Darstellung der Kriegszenen, die Bilder von Tod und Gewalt bei den Menschen?
Felicitas Heyne: Das Gehirn kann bei bewegten Bildern nicht wirklich unterscheiden, ob das, was da gezeigt wird, real ist. Also ob diese Schrecken sie selbst betreffen. Das ist erschwerend der Fall bei der Verbreitung der Bilder über die Social-Media-Kanäle. Hier sind die Szenen extrem drastisch, sie sind ungefiltert und vor allem sind sie ständig verfügbar.
Israel: Was Bilder vom Krieg im Gehirn bewirken
Wozu führt die Kombination aus der Grausamkeit der Darstellung in Verbindung mit der ständigen Präsenz der Szenen?
Heyne: Es kommt zu einem Anstieg des Stresslevels. Es entsteht eine innere Unruhe, die sich bis hin zu Angstzuständen steigern kann. Wir haben ja mittlerweile keine wirkliche Ruhe mehr vor den schlechten Nachrichten. Früher hat man morgens die Zeitung gelesen und abends die Tagesschau geguckt. Das heißt: Es gab in der Zwischenzeit eine Verschnaufpause, in der unser Stresslevel heruntergefahren werden konnte. Das bleibt heute aus.
Das heißt, wir befinden uns in einer Dauerschleife der negativen Nachrichten?
Heyne: Ganz genau. Unser System ist also immer auf Kampf und Flucht programmiert und nicht auf Ruhe. Dieses Wechselspiel unseres Nervensystems zwischen Sympathikus und Parasympathikus ist massiv gestört.
Rat der Psychologin zur bewussten Ablenkung
Wozu führt diese Störung?
Heyne: Sie führt zu einer Anspannung und zu einem Teufelskreis: Wenn wir uns ablenken wollen, kommt schnell das schlechte Gewissen, ob Ablenkung überhaupt sein darf angesichts der Katastrophen.
Darf Ablenkung denn sein?
Heyne: Ablenkung muss sogar sein. Wir müssen uns ganz bewusst ablenken und ganz bewusst dankbar sein, dass wir in der Herbstsonne sitzen und unsere Weinschorle trinken können. Nicht aus dem Gefühl der Schadenfreude. Nein, aus dem bewussten Gefühl der Dankbarkeit heraus, dass unsere Realität eben nicht selbstverständlich ist.
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Was kann man noch tun, um den Eindrücken der Gewaltdarstellungen zu entkommen?
Heyne: Das allererste Mittel ist natürlich Mediendisziplin. Wir sollten uns ein bis zwei Nachrichtenkanäle einrichten, denen wir vertrauen. Mehr nicht. Und dann nicht stündlich drauf schauen, sondern vielleicht zwei bis drei Mal am Tag. Und ganz wichtig ist dabei, dass wir uns bewusst machen: Dieser Krieg ist grausam. Aber unser Leben ist nicht unmittelbar bedroht.
Kann man etwas tun, um das Gefühl der Ohnmacht zu bekämpfen?
Heyne: Aktivität hilft. Das hat man schon aus Zeiten von Corona und dem gelernt. Wer sich ehrenamtlich engagiert, in Hilfsgruppen oder Friedensinitiativen, kommt häufig besser mit der belastenden Situation klar.
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Kann die Belastung auch bis zur Depression führen?
Heyne: Das kann passieren. Man hat in Studien festhalten können, dass der Bedarf an Therapien gegen die Angst schon nach Corona enorm gestiegen war. All diese Katastrophen strapazieren die Seele. Gerade junge Menschen sind betroffen.
Wann braucht man professionelle Hilfe. Und wie bekommt man sie?
Heyne: Eine kurzfristige Verschlechterung der Stimmungslage ist durchaus noch hinnehmbar. Man spricht dann von „Anpassungsreaktion“, das kann eine Woche oder so schon dauern. Eine dauerhafte Überlastung erkennt man daran, dass einem über einen längeren Zeitraum Dinge, die man immer gerne getan hat, einfach keinen Spaß mehr machen. Dass man passiv wird, zu nichts mehr Lust hat. Dass sich die Gedanken immer nur um die Katastrophe drehen.
Selbsthilfegruppen können Hilfe bieten
Allerdings ist es nicht leicht, einen Termin bei einem Therapeuten zu bekommen.
Heyne: Die Wartezeiten sind extrem lang. Das ist eine Katastrophe. Selbst bei Privatzahlern gibt es schon eine lange Warteliste. Man sollte sich trotzdem auf alle Wartelisten setzen lassen und auch immer wieder mit Nachfragen nerven, ob man nicht eher einen Termin bekommen kann.
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Wo gibt es sonst noch Hilfe?
Heyne: Ich empfehle Selbsthilfegruppen. Zum Beispiel über die Inititative KISS. Aber auch über Caritas, Diakonie oder Pro Familia können Lebensberatungshilfen angeboten werden. Es ist so wichtig, sich auszutauschen. Wer merkt, dass er nicht alleine ist mit seinen Emotionen, fühlt sich direkt stärker. Es hat wirklich einen enormen Effekt. Zu spüren, dass andere Ähnliches empfinden, ist ungeheuer entlastend und gibt Kraft.