Wird die Nordsee fast jedes Jahr eine “Jahrhundertflut“ erleben? Forscher berechnen für viele Küstengebiete ein düsteres Szenario.
Von Jahr zu Jahr häufen sich die schrecklichen Bilder aus Küstenregionen in aller Welt: durchbrochene Dämme, ertrunkenes Vieh und überschwemmte Ortschaften – Jahrhundertfluten sind keine Frage von Jahrhunderten mehr. Künftig könnten extreme Anstiege des Meeresspiegel viel häufiger die Küsten heimsuchen. Die Sturmfluten von 1962 und 1976 in Hamburg und der Nordsee geben einen Vorgeschmack auf das, was noch kommen könnte. Auch die Jahrhundertflut von 1953, die rund 2500 Menschen in den Niederlanden und Großbritannien das Leben kostete sowie der Hurrikan Katrina, der 2005 den Süden der USA überflutete, mahnen zu mehr Küstenschutz im Angesicht des Klimawandels.
Eine Studie, die die Auswirkungen des Klimawandels auf die Häufigkeit solcher Naturkatastrophen in einem Computermodell berechnet hat, kommt nun zu erschreckenden Ergebnissen. Demnach könnten sogenannte Jahrhundertfluten schon 2050 alle neun bis 15 Jahre auch an der Nordsee auftreten. Selbst wenn Klimaschutzmaßnahmen greifen und die CO2-Emissionen 2040 ihren Höchsstand erreichen sollten, werde es den Forschern zufolge zu diesem Szenario kommen.
Bis 2100 könnten Jahrhundertfluten sogar jährlich die Küsten bedrohen, sollten keine wirksameren Maßnahmen gegen den Klimawandel getroffen werden. Diese Prognose treffe laut den Wissenschaftlern der University of Alabama für fast alle der untersuchten Küstengebiete in den USA, Japan, Ozeanien und Europa zu. Dramatische Nachrichten für die rund 600 Millionen Menschen, die in flachen Küstengebieten wie in Niedersachsen oder Schleswig-Holstein leben und besonders vom Anstieg der Meeresspiegel bedroht sind.
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Völlig neues Risiko für Küstengebiete
Jahrhundertfluten müssen nicht nur zwangsläufig alle 100 Jahre vorkommen. Vielmehr spricht man von einer Jahrhundertflut, sobald ein Gewässer eine Pegelhöhe erreicht, die im Schnitt nur alle 100 Jahre erreicht oder überschritten wird. Eine Jahrhundertflut kann also auch mehrere Male innerhalb weniger Jahre einen Küstenabschnitt treffen oder über ein Jahrhundert gar nicht vorkommen.
Die Wissenschaftler untersuchten für ihre Studie die Daten von 300 Pegel-Messststationen, die weltweit in Küstengebieten installiert sind. Mithilfe der Aufzeichnungen aus den letzten 100 Jahren berechneten sie unter Einbezug des Klimawandels die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Jahrhundertfluten. Deren Frequenz soll sich laut den Forschern innerhalb der nächsten 25 Jahre um das sechs- bis elffache erhöhen, sodass beispielsweise die Nordsee-Regionen alle neun bis 15 Jahre mit einer Jahrhundertflut rechnen müssten.
Besonders der durch die Klimaerwärmung steigende Meeresspiegel sowie die daraus folgenden Extremwetterereignisse machen die Jahrhundertfluten laut der Studie von Jahr zu Jahr immer wahrscheinlicher. Demnach seien Küstenschutzmaßnahmen, die auf Grundlage vergangener Rekordpegel getroffen wurden, völlig unangemessen. Mit den steigenden Meeresspiegel sei die Infrastruktur in Küstennähe einem völlig neuem Risiko ausgesetzt.
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Mehr Küstenschutz und bessere Klimaschutzmaßnahmen könnten zukünftige Flutkatastrophen verhindern
Obwohl der durchschnittliche Meeresspiegel steigt, sind die Auswirkungen von Region zu Region unterscheidlich. So könnten laut der Studie die Wasserlevel in äußerst nördlichen und südlichen Breitengraden sogar sinken. Weil dort schwere Eisschilder durch die Klimaerwärmung abschmelzen, erhebt sich die Erdkruste. Dagegen würde in anderen Gebieten wie dem Golf von Mexiko der Meeresspiegel umso schneller steigen.
Für die Forscher sind die Schlussfolgerungen aus den Ergebnissen ihrer im Wissenschaftsmagazin "Earth's Future" veröffentlichen Untersuchung klar: mehr Küstenschutz und eine deutliche Reduzierung der CO2-Emissionen im Sinne des Pariser Klimaschutzabkommens. Andernfalls müssen viele Küstenorte um ihre Existenz fürchten. (os)
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